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Komplex und komisch

Ursprünglich sollte es eine kleine Retrospektive werden. Aber das ist bei Künstlern, die kontextuell arbeiten, kaum möglich. Die Umgebung der jeweiligen Ausstellung muss einbezogen werden, und so hat Christian Philipp Müller, der seit vielen Jahren in New York lebende Schweizer Künstler, das Basler Sankt-Alban-Tal ausgekundschaftet.

Von Christian Gampert |
    Dort liegt das Museum für Gegenwartskunst, in dem nun die Ausstellung stattfindet, eine ehemalige Papierfabrik, die Ende der 1970er Jahre von Wilfried und Katharina Steib streng sachlich umgebaut wurde. Ein gläserner Übergang verbindet wie eine Brücke die beiden Gebäudeteile, darunter rauscht der kanalartige Sankt-Alban-Teich, der hier eine Stromschnelle bildet. Und nicht weit von hier steht jene Papiermühle, in der Bütten und Papier für die alte Buchdruckerstadt Basel geschöpft wurden und die heute ein historisches Museum ist.

    All diese Elemente bindet Müller nun in seine Arbeit ein: Die Wasserkraft ist in Form eines riesigen, flachgelegten Wasserrads im ansonsten leeren Hauptraum des Museums präsent. Es wirkt wie ein hölzerner, klobiger, runder Container, ein Ideenspeicher, der aber nur momentan stillsteht. An den Wänden mehrere Assoziationsanreger: drei Wasserkaraffen mit je zwei Trinkgläsern, Titel "Basler Trinkwasser"; dann Wäschekörbe mit weißem Linnen; und eine ganze Wand mit dem "Bibliotheksinventar" der Basler Papiermühle, also einem umfangreichen Bücherverzeichnis.

    Man sieht folglich, was hier getan wurde; als Beglaubigungsschreiben hat Christian Philipp Müller seinen selbst erworbenen "Gautschbrief" aufgehängt, ein auf mittelalterliche Traditionen zurückgehendes Drucker-Diplom. In der Tat hat Müller vor seinem Kunststudium zunächst Schriftsetzer gelernt. Und er spinnt den Kontext noch weiter aus: In der Papiermühle, wo heute Schulklassen die Handarbeit des Papierschöpfens nachvollziehen können, hat er Körbe voller Kleiderspenden aus der Basler Bevölkerung hinterlassen. Aus diesen Stofffetzen wird im Verlauf der Ausstellung Papier gemacht. Und Müller kurbelt das Rad der Geschichte noch eine Umdrehung weiter vor: in dem neben dem Museum für Gegenwartskunst" gelegenen "plug.in", einem Forum für neue Medien, hat er Massen von Computern installiert, regalweise, und zwar aus allen Phasen des digitalen Zeitalters, vom ganz frühen Apple und Atari bis zu neueren Schnellrechnern.

    Wir sehen also eine kleine Geschichte der Medien vom Buchdruck bis heute, ein Konzept des Warenkreislaufs - aus Lumpen wird Wert geschöpft - und, schlussendlich, auch eine Geschichte der Ausstellungen, die Christian Philipp Müller bislang veranstaltet hat. Natürlich hat Müller sich auf einige wichtige Statements beschränkt: Aus der "Grünen Grenze", seinem Beitrag zur Biennale in Venedig 1993, zitiert er die Fotoserien "illegaler Grenzübertritt", in denen er als Tourist mit Sonnenhütchen die Grenzen zum österreichischen Staatsgebiet auf unwegsamem Gelände überwand, aus dem Unterholz hin zu den Gasthöfen. Das spielt selbstironisch mit der Furcht vor den Fremden in Zeiten der Migration. Auch der aus dem Zentrum gerückte "Runde Tisch" aus dem Venedig-Pavillon ist zu sehen.

    Weitere Reminiszenz: Müllers Münchner Projekt "Vergessene Zukunft". Hier sind besonders die Kinoschaukästen "Anders als du und ich" und diverse Filmeinspielungen neu installiert, die die - heute skurril wirkende - Angst vor der Homosexualität aus den 1950er Jahren montieren. Schließlich der Bezug auf das Werk anderer Künstler, vor allem Beuys, dem Müller eine Vitrine mit Performance-Objekten widmet, und On Kawara, dessen Datumsbilder er auf sein eigenes Geburtsdatum umschreibt. Ein vorzüglicher Katalog resümiert Müllers bisherige Arbeiten von den absurden Führungen durch eine - als Rokoko-Garten vorgestellte - Neubausiedlung in Düsseldorf-Hellerhof bis zu Müllers Seiltanz-Akten auf dem Kasseler Friedrichsplatz, wo er zwischen Joseph Beuys' Eiche und Walter de Marias "Vertikalem Erdkilometer" hin- und herbalancierte.

    Eine kleine Christian-Philipp-Müller-Documenta in der alten Basler Papierfabrik am Wasser, ums Wasserrad herum - und alles kommt neu in Fluss.