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Kondom-Müdigkeit

Immer mehr Menschen in Deutschland stecken sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten an. Insbesondere die Zahl der Syphilis-Erkrankungen steige dramatisch an, warnen Experten. Sie werten dies als Zeichen, dass weniger Menschen Kondome benutzen. Und das ist riskant. Denn ungeschützter Geschlechtsverkehr stellt das größte Risiko für eine Ansteckung mit dem Immun-Schwäche-Virus HIV dar, betonen sie anlässlich des Kongresses "HIV im Dialog", der diese Woche in Berlin stattfindet.

William Vorsatz |
    Safersex hat in den letzten zwei Jahrzehnten nicht nur die AIDS-Raten in Schach gehalten. Das veränderte Sexualverhalten dämmte nebenbei auch andere Geschlechtskrankheiten ein. Vor zehn Jahren träumten die Experten gar davon, die Syphilis total auszurotten. Doch die Hoffnung war trügerisch. Die alte Lustseuche hat sich zurückgemeldet. Die Zahl der Ansteckungen wächst seit vier Jahren, nimmt derzeit jährlich um ein Viertel zu. Mittlerweile werden schon 180 neue Fälle pro Monat gemeldet. Ulrich Marcus vom Robert-Koch-Institut Berlin:

    Wir haben eine besonders starke Zunahme bei Männern, und zwar in erster Linie bei homosexuellen Männern, in mehreren Großstädten, Berlin ist betroffen, Frankfurt ist betroffen, Hamburg, München, Köln, Düsseldorf

    Syphilis: Ein paar Penizillinspritzen und nach zwei Wochen ist alles vergessen. Oder etwa nicht? Die Infektion muss rechtzeitig erkannt werden, sonst kann es auch heute noch zu fatalen Folgeschäden kommen. Schwer, da die Symptome vielen Menschen heute kaum noch bekannt sind. Gerade zu Beginn fällt die Krankheit kaum auf.

    Nach der Infektion, das dauert vier bis sechs Wochen, bis dieses Primärstadium auftritt, da bildet sich zunächst erst mal ein schmerzloses Geschwür an der Eintrittstelle des Erregers. Das kann also an den Genitalien sein, das kann im Analbereich sein, das kann aber auch im Mund oder Rachenbereich sein, und gerade im Mund oder Rachenbereich kann eben ein solches schmerzloses Geschwür unbeachtet bleiben.

    Der Oralbereich ist gegen HIV-Übertragungen relativ immun, deshalb wird er beim geschützten Sex meist vernachlässigt. Ein willkommenes Einfallstor für Syphilisbakterien. Die Gefahr: mit ihrem Angriff auf die Schleimhäute durchlöchern die Bakterien eine wichtige Schutzbarriere und machen den Syphilis-Kranken auch zu einer leichten Beute für HIV-Viren.

    Der Faktor, um den das Infektionsrisiko steigt, ist etwa das Fünf bis Zehnfache.

    Wer Syphilis und AIDS hat, gefährdet andererseits auch seine Sexualpartner extrem, denn die HIV-Konzentration in den Körperflüssigkeiten steigt durch die Syphiliserkrankung stark an. Aber es gibt noch einen anderen Zusammenhang zwischen der bakteriellen und der Virusinfektion, wenn auch eher theoretisch. In ihren Modellen konstruieren Epidemie-Experten aus der Zahl der Syphilisfälle oft Prognosen für HIV und AIDS. Gerade in armen Ländern, wo HIV-Tests bisher kaum zu Verfügung stehen. Denn Syphiliserkrankungen zeugen von ungeschütztem Verkehr. Doch (Dr.) Marcus ist da eher skeptisch:

    Ich glaube, das sollte man sich sehr viel differenzierter anschauen. Nach den ersten Beobachtungen, die wir machen, in unserer Spezialstudie zu den Übertragungswegen, ist es so, das man hier sehr sehr differenziert schauen muss, wer tatsächlich was macht, wer welche Praktiken ausübt und welche Risiken einer Übertragung von Geschlechtskrankheiten da im Einzelnen bestehen

    Schon jetzt zeigen erste Auswertungen der aktuellen Studie: der Syphilisanteil in Deutschland ist nur zu einem Teil durch ungeschützten Verkehr zu erklären, also durch zunehmenden Verzicht auf Kondome. So legt der Anstieg der Syphilisfälle auch nur bedingt eine künftig höhere HIV-Rate nah. Um aber ein Comeback der vergessenen Syphilis zu verhindern, bieten die USA beispielsweise für Risikogruppen mehrmals pro Jahr Vorsorgeuntersuchungen an. In Deutschland wären die Robert-Koch-Experten schon froh, wenn ihr gut aufbereitetes Informationsmaterial besser verteilt würde und so mehr Gefährdete erreichen kann.

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    020806- Syphilis.ram