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Konferenz-Fimmel in deutschen Büros

In Deutschland herrscht ein wahrer Konferenzwahn. Laut der Studie einer Münchner Unternehmensberatung trifft man sich hierzulande häufig als in anderen Ländern. Allerdings gilt jedes zweite Meeting als unproduktiv.

Von Rüdiger Maack |
    Das Grauen hat einen Namen. Falsch, das Grauen hat viele Namen: Teamsitzung. Jour fixe. Koordinierungstreffen. Meeting.

    "Ich hatte einmal eine Telefonkonferenz gehabt, mit ich glaube 12 Teilnehmern, die sich über drei Stunden hingezogen hat. Und da war am Ende wirklich nur jeder froh, noch wach zu sein, wenn er es denn war, man kann das ja nicht überprüfen bei einer Telefonkonferenz und es war dann wirklich so, dass der Leiter, der einen großen Monolog gehalten hat, Fragen stellte und es kam dann nichts, sodass man schon den Eindruck haben musste: Sind die noch da? Sind die mal kurz raus oder so?"

    Stefan heißt nicht Stefan – aber niemand wollte vor dem Mikrofon seinen richtigen Namen sagen – die Sitzungskultur in deutschen Firmen ist vertraulich. Vermutlich zu Recht – kaum irgendwo sonst wird so regelmäßig Arbeitszeit vernichtet wie in Sitzungen, sagt der Mann, den wir Stefan nennen und der bei einem mittelständischen Unternehmen arbeitet.
    "Es wäre oftmals viel effektiver, wenn sich zwei Personen mal informell zufällig auf dem Flur träfen und übern Thema reden und dann ist die Sache gegessen. Aber nein, es wird ein Meeting anberaumt mit Wochen Vorlauf wegen Terminschwierigkeiten und dann sitzt da ein Haufen Leute. Wir koordinieren uns zu Tode. Den Eindruck haben wir natürlich verstärkt, weil die Ansprüche an die eigene Evaluierung immer größer werden und man eigentlich nicht mehr richtig zum Arbeiten kommt, weil man ständig nur evaluiert und koordiniert."

    Thomas arbeitet bei einer international tätigen Institution, die Branche ist eine andere, die Probleme sind dieselben.
    "Du koordinierst und evaluierst dann ja verstärkt, wie Du Deine Effizienz steigern kannst, die du aber durch die Evaluierungs- und Koordinierungsmanie immer weiter verlierst. Das ist ein Widerspruch in sich. Das ist auch nicht aufzulösen."

    Im Vergleich mit anderen Ländern sind die Deutschen besonders sitzungsverliebt. Das sagt eine Münchner Unternehmensberatung, die zum Thema eine Studie erstellt hat. Ergebnis: Deutsche treffen sich besonders häufig, aber: Jedes zweite Meeting ist unproduktiv, jeder zweite Teilnehmer weiß hinterher nicht, was er jetzt zu tun hat.

    Annette arbeitet in einem Unternehmen mit mehreren Tausend Angestellten und ausgeprägtem Sitzungswesen und kennt Sitzungen, die besonders nerven.
    "Wenn's zu lange dauert, wenn unnötigerweise diskutiert wird über Dinge, die eigentlich geklärt sind, Grundsatzfragen, die schon vor Wochen oder Monaten geklärt wurden, noch mal auf den Tisch kommen. Es gibt immer wieder welche, die sich aufspielen wie die Alphatiere und das Gefühl haben, sie wären nebenbei auch so Chef in der Abteilung und müssten mal erzählen, was besser laufen könnte, vor allem bei Projekten, die sie gar nicht betrifft."

    Auch Susanne heißt nicht Susanne – in ihrer Firma, einem Dienstleistungsbetrieb, haben findige Vorgesetzte sogar mal versucht, Sitzungen mehr Drive zu geben: In den ersten fünf Minuten sollte jeweils ein Teilnehmer ein kurzes Referat halten über ein Thema. Interessant fand Susanne.

    "Aber das waren dann auch meistens die einzigen fünf Minuten, die sich gelohnt haben."

    Die Probleme sind bekannt – aber nirgendwo im weiten Feld der Arbeitsökonomie bekommt der ratlose Chef wissenschaftliche Hilfe: Unis und Institute interessieren sich nicht für Meetings. Jedenfalls nicht für Meetings als Forschungsfeld.

    "Vielleicht ist es zu praxisnah."

    Dr. Michael Knörzer ist Privatdozent bei den Wirtschaftswissenschaftlern der Frankfurter Universität. Und er berät Unternehmen.

    "Das Problem ist meistens: Die Ziele von solchen Meetings sind unklar, die Leute sind schlecht vorbereitet, das heißt, man versucht meist während des Meetings das nachzuholen, was man im Rahmen einer guten Vorbereitung versäumt hat."

    Knörzer glaubt: Eigentlich geht es in Meetings gar nicht so sehr um die Themen.

    "Vielleicht ist es teilweise eine Art soziale Veranstaltung. Man muss ja irgendwie schauen, dass man die Arbeitszeit bis 19 Uhr ausdehnt, weil allzu früh nach Hause gehen, geht ja auch nicht und dann muss man schon irgendwas machen."

    Ein Marktforschungsinstitut hat ausgerechnet, dass der deutsche Angestellte pro Woche sieben Meetings besucht, jedes fünfte dauert länger als fünf Stunden. Kein Wunder, dass sich da dann mal der Körper wehrt. Annette und Stefan gehen schon mal auf Stand-by-Betrieb:

    "Mein Blick weitet sich und vielleicht denk ich dann auch mal an was anderes."
    "Ich bin sogar mal bei einem Meeting eingeschlafen und wurde dann durch einen Tritt unter dem Tisch ans Schienbein von meinem Gegenüber wieder geweckt."

    Der Blick des Wissenschaftlers ist gnadenlos: Grundproblem bei Sitzungen sind nicht nur zu viele Teilnehmer, unklares Ziel, schlechte Vorbereitung. Grundproblem sind oft die Teilnehmer selbst.

    "Es gibt einem auch die Bestätigung, was Wichtiges zu tun, schließlich hat man andere Leute um sich versammelt und dadurch kommen möglicherweise solche Effekte zustande, dass Menschen gern an solchen Meetings teilnehmen, weil sie ja auch ein Arbeitsnachweis darstellen. Man macht ja was in der Zeit und so eine gewisse Wichtigkeit kommt da auch drin zum Ausdruck."

    Heerscharen von Trainern und Beratern verdienen ihr Geld damit, dem Grundproblem abzuhelfen: Menschen treffen sich und kommunizieren, aber nicht alle wissen dasselbe und meinen dasselbe. Ein unlösbares Problem.

    "Ich denke, es ist ganz ähnlich wie bei Familienfesten oder Problemen in der Beziehung: Auch da gibt es sehr viele Ratgeber, sehr viele Coaches und trotzdem werden die Probleme vermutlich nie aus der Welt geschafft werden."