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Konfrontation zwischen Liebe und Gesellschaft

Auf Frankreichs Bühnen zählt Molière zu den wichtigste Dramatikern, allein in Paris gibt es pro Spielzeit mindestens 15 Inszenierungen. Seltsamerweise ähneln sich diese in ihrer Fadheit fast alle. hat. Lukas Hemleb und seinen Schauspielern ist es gelungen, mit dem wunderbar melodiösen Pathos der Verssprache das emotionale Feuer in Molières "Der Menschenfeind" neu zu entzünden.

Von Ute Nyssen |
    "Le Misanthrope", "Der Menschenfeind", gilt vielen Bewunderern Molières als seine beste Komödie, obwohl dieses handlungsarme, wenn auch an inneren Konflikten ungewöhnlich reiche, Stück nur schmerzhafte Disharmonien zwischen den Figuren vorführt. Die Uraufführung im Jahre 1666 errang übrigens nur mäßigen Beifall. Lukas Hemlebs Neuinszenierung an der Comédie Française dagegen kann jedenfalls einen starken künstlerischen Erfolg verzeichnen.

    Im Untertitel spricht Molière vom "gallebitteren Verliebten". Und der schwermütige Ton, der von Beginn an diese Liebesgeschichte durchzieht, klingt damit schon an. Das helle Grau des Bühnenbilds unterstützt die lastende Stimmung. Zwei hohe Wände, die hinten im spitzen Winkel zusammenlaufen, bilden mit der unsichtbaren Wand zum Zuschauerraum einen dreieckigen Raum. Je nach Beleuchtung wird er durchsichtig und gibt den Blick auf Beobachter hinter den Kulissen frei. Dieser abgezirkelte Raum setzt der Bewegungsfreiheit der Figuren enge Grenzen, die Hemleb sie desto exzessiver nutzen lässt. Sie stoßen sich an den Wänden, lassen sich auf dem glatten Parkett zu Boden fallen, werfen ausladend die Arme in die Luft, und ihre ekstatische barocke Körpersprache vermittelt dem Zuschauer, dass diese Menschen nicht aus ihrer Haut herauskönnen. Die Leidenschaft, die "Passion", versetzt nicht allein das Liebespaar in eine ständige Anspannung, sondern auch die Mitspieler ihrer Tragödie, in der jeder gegen jeden agiert.

    Alceste, der Menschenfeind, liebt die leichtfertige junge Célimène, ob sie ihn liebt, bleibt bis zum Schluss ein Rätsel. Intrigen tragen zum Scheitern dieser Beziehung bei. Aber in der Darstellung der zeitlos aktuellen Konfrontation zwischen Liebe und Gesellschaft stimmt melancholischer noch, dass nicht nur die Gesellschaft von zerstörerischen Impulsen getrieben wird, sondern ebenso die beiden Protagonisten. Gegensätze ziehen sich an, aber hier vernichten sie sich und entwickeln doch zugleich eine erhebliche Sprengkraft, die zu irritierten Reaktionen ihrer Umwelt führt. Hemleb hat das teils sehr komisch herausgearbeitet, zum Beispiel in einem theatralischen Duell zwischen zwei weiteren Anbetern der Heldin, das in Ton und Gestik den Liebeskampf zwischen Katern imitiert.

    Alceste lehnt die Albernheit und Falschheit ab und gerät zunehmend in qualvollen Widerspruch zu seiner erotischen Abhängigkeit von Célimène, die ihrerseits dieser gehässigen Infantilgesellschaft distanzlos verfallen ist. Am Ende zieht er sich in die Einsamkeit zurück, auf der Strecke bleibt die Liebe.

    Molières modernstes Stück zieht ohne Gott, König oder Schicksal zu bemühen, das bittere Resümee, dass nur wir selbst die utopische Versöhnungskraft der Liebe unterlaufen. Hemlebs Leistung, und die der Schauspieler deren Gruppenspiel er so stimmig herausarbeitet, dass jeder einzelne immer präsent bleibt, auch wenn er nichts sagt, beruht auf den Bildern von Härte und Zärtlichkeit, mit denen er diese Menschen ihrem Schmerz Ausdruck verleihen lässt, mit Judasküssen und Händchenhalten. Das Lachen besorgen mit vulgärem, ja obszönen Unterton hinter der höfischen Fassade, die Figuren selber und schlagen es so dem Zuschauer aus der Hand.

    In Frankreich ist Molière der wichtigste Dramatiker geblieben, allein in Paris gibt es pro Spielzeit mindestens 15 Inszenierungen. Seltsamerweise ähneln sich diese in ihrer Fadheit fast alle. Die Angst vor vermeintlich traditionellen Publikumserwartungen erstickt die ungebärdige Aufsässigkeit von Molières Figuren. Hölzern müssen diese ihren Text so aufsagen, als wäre er tatsächlich für den Schulunterricht geschrieben und das Ergebnis steht ganz im Gegensatz zu den temperamentvollen Inszenierungen heutiger Dramatiker, die Frankreich zu bieten hat. Hemleb und seinen Schauspielern ist es trotz historischer Kostüme gelungen, mit dem wunderbar melodiösen Pathos der Verssprache das emotionale Feuer in Molières Drama auf der Bühne neu zu entzünden.