Freitag, 29. März 2024

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Konjunktur der Häme
"Der Humor hat seinen Ernst verloren"

Wer den Humor auseinandernimmt oder anzweifelt, setzt sich sofort der Gefahr aus, als humorloser Humorverderber zu gelten. Der Schriftsteller Friedrich Christian Delius traut sich trotzdem - und entdeckt eine ziemliche Sprachverwirrung.

Von Friedrich Christian Delius | 19.08.2018
    Der Schriftsteller Friedrich Christian Delius am 27.10.2011 in Darmstadt in der Centralstation im Vorfeld einer Lesung
    Der Schriftsteller Friedrich Christian Delius (picture alliance / dpa / Marc Tirl)
    Was, bitteschön, ist Humor? Wer anfängt, diesen Begriff zu definieren, gerät rasch in den Verdacht, humorlos zu sein. Der Schriftsteller F.C. Delius traut sich trotzdem und unternimmt eine kritische Betrachtung des Humors unserer Tage. Als Frage stellt er in den Raum: Begann mit der Epochenwende des Jahres 1989 auch eine Wende in der Witzkultur?
    Eine übersteigerte Humorempfindlichkeit unter den Deutschen, der Aufstieg der Spaßmachermedien in der Fernsehlandschaft, die neue Konjunktur der Häme und das über alles gestellte urteilende Ich sind die Wendepunkte, die Delius ausmacht. Die titelgebende Feststellung von Imre Kertész aus dem Jahr 1995, Jan Böhmermann, Jean Pauls 'Vorschule der Ästhetik' und die 'heute show' dienen als Beispiele, über Humor, Witz, Komödie, Satire, Ironie, Scherz und ihre tieferen Bedeutungen nachzudenken.
    Friedrich Christian Delius, geboren 1943 in Rom, lebt in Berlin. Georg-Büchner-Preisträger 2011. Zuletzt erschienen die Erzählung "Die Zukunft der Schönheit" (2018), der Roman "Die Liebesgeschichtenerzählerin" (2018) sowie der Essay "Warum Luther die Reformation versemmelt hat" (2017).

    "Der Humor hat seinen Ernst verloren"
    Als dieser Satz mir zum ersten Mal vor Augen kam, lachte ich auf, lachte von Herzen, entschieden und leise: Welch ein Treffer! Eine beiläufige, bescheidene Feststellung in den Aufzeichnungen "Der Betrachter" des verehrten Imre Kertész und zugleich eine Provokation. Der Satz wippt zwischen den Gegensätzen Humor und Ernst hin und her, spöttisch auf seiner vorgetäuschten Paradoxie schaukelnd. Auf den ersten Blick eine gelungene Formulierung über die allgemeine Verwahrlosung des Witzes und des Humors und doch viel mehr als ein wohlfeiler Alles‑geht‑abwärts‑Seufzer, als die lähmende Schwermut der Älteren, die den Verfall der Sitten, der Bildung, der Werte bejammern. Auf den zweiten Blick eine Einladung zum Widerspruch.
    Porträt des ungarischen Schriftstellers Imre Kertész aus dem Jahr 1999.
    "Der Humor hat seinen Ernst verloren" - diese Beobachtung hielt Imre Kertész in seinen Aufzeichnungen "Der Betrachter" fest (picture alliance / Bruni Meya)
    Der Satz vom verlorengegangenen Ernst des Humors wurde 1995 geschrieben, als der totalitäre Ernst in Osteuropa deutlich nachließ. Es scheint mir ebenso produktiv, ihn auf die westlichen, demokratischen Gesellschaften zu beziehen, die Kertész mit seinem Verweis auf die Postmoderne ebenfalls im geschärften Blick hatte. Die Postmoderne verstand er als
    "Abwertung des Lebens, der großen Dinge, des Stils und des Aufkommens von Verfälschung, Moralisiererei, Humorlosigkeit."
    Die Frage ist, ob mit der Epochenwende des Jahres 1989 auch eine Wende der Witzkultur begann. Mindestens vier Indizien dafür schossen mir durch den Kopf, als der Kertész-Satz zu funkeln begann:
    - die übersteigerte Humorempfindlichkeit:
    Der Ernst der deutschen Vereinigung vertrug zunächst mal keinen Humor - zum Beispiel hat kein "Titanic"-Titel so massive Empörung geerntet wie "Zonen-Gaby" mit "Meine erste Banane", die eine Gurke war. Schnell beleidigt zu sein, auf beiden Seiten, gehört seitdem eher zum guten Ton als gelassenes Lachen.
    - dann die Verleugnung der Widersprüche:
    Wenn klar ist, wer der Sieger ist, muss nicht mehr viel argumentiert, um bessere Denkweisen gerungen, mit Intelligenz gefochten werden. Das "anything goes" der Postmoderne hieß ja auch: Widerspruch ist nicht mehr gefragt oder nicht mehr ernst zu nehmen, Humor - also der zweifache, widerspruchsfreudige, selbstkritische Blick auf die Welt - auch nicht. Als Ausgleich: "Don‘t worry, be happy", es wird ja irgendwie weitergelacht.
    - drittens die neuen Spaßmacher:
    Nachdem die Privatsender in den '80er-Jahren
    "die Fernsehlandschaft umpflügten und sämtliche bis dahin bekannten Grenzen des guten Geschmacks überrannten"
    wie Gerhard Henschel in der "FAZ" schrieb, konnten sie in den Neunzigern aufblühen mit Comedians, die mehr Zoten als Witz zu bieten hatten, mit Rappern, die mit Menschenverachtung hausieren gingen, mit Moderatoren, die nichts so lächerlich machten wie Bildung, Schule, Respekt und Diskussionskultur.
    - viertens die Konjunktur der Häme nach 1989
    These: Fall der Mauer begünstigte die Ego-Kultur
    In den Feuilletons wurde es schick, im Ton der höheren Häme zu schreiben, nicht nur beim Meinungsgeplänkel, auch in der Kunst- und Literaturkritik. Gleichzeitig galten nun Ego-Argumente mehr als politische oder ästhetische Argumente. Das urteilende Ich, das abfertigende Subjekt, egal ob Comedian, Rapper oder Kritiker, durfte sich zur höheren oder höchsten Instanz aufpumpen. Schließlich der Machtzuwachs der Moderatoren, Kuratoren, Fernsehnasen, "Bild" wird das Leitmedium, vor dem Politiker und Showmenschen fast ausnahmslos kuschen, und so weiter.
    Auch wenn hier alles nur sehr grob skizziert ist, die These scheint mir schwer zu widerlegen: Der Fall der Mauern begünstigte die Ego-Kultur und die ist das Gegenteil der Humor-Kultur.
    Die Möglichkeiten, mit sprachlichen Mitteln Lachen zu erzeugen, sind so vielfältig, dass es hilfreich wäre zu präzisieren, von welcher Sorte Komik man jeweils spricht. Da haben wir den Scherz - also den Witz,
    die Satire - die ihren Gegner lächerlich macht, attackiert, verurteilt und etwas verändern will,
    drittens die Ironie - sie unterläuft Pathos, Tiefe, Enthusiasmus,
    dann Comedy - also das Lächerlichmachen von allem und jedem mit möglichst hoher Lachfrequenz
    und die tiefere Bedeutung Humor.
    Aber was, bitteschön, ist Humor? Wer anfängt, diesen Begriff zu definieren, gerät rasch in den Verdacht, humorlos zu sein. Man könnte sich also, um keine Humorwächter zu provozieren, mit dem Satz von Karl Valentin begnügen:
    "Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, eine komische."
    Aber die Frage ist ja: Wie wird die komische Seite sichtbar, wie wird Humor evoziert?
    Selbst Humoristen sind beim Definieren ihrer Fähigkeit überfordert, und die Formel
    "Humor ist, wenn man trotzdem lacht"
    trifft haarscharf daneben, weil das "trotzdem" einen etwas steifen protestantischen Ernst enthält und nicht jeder Humor das direkte Lachen, das eine subjektive Reaktion ist, zur Folge hat.
    Ich halte mich an Jean Paul: Humor ist
    "die Frucht einer langen Vernunft-Kultur"
    - also Ergebnis von Gelassenheit, Wissen, Weitsicht, Distanz. Humor zeigt sich dann, wenn der Blick auf die Welt, auf die Menschen nicht einseitig ist, sondern mindestens mit einer zweiten Perspektive relativiert wird, wenn also ideologisches, fanatisches, rechthaberisches, narzisstisches Denken verlacht, ja ausgeschlossen wird. Daraus ergibt sich drittens, dass Humor mehr auf eigene Unzulänglichkeiten und Fehler und den Weltzustand zielt als gegen Einzelne, und seien die noch so große Trottel oder Verbrecher.
    Jean Paul - Erzhumorist der deutschen Klassik
    Wer genauer wissen will, wie sich Humor, Witz, Komödie, Satire, Ironie, Scherz und ihre tieferen Bedeutungen voneinander unterscheiden, kann sich in der bewährten "Vorschule der Ästhetik" umtun. Vor über 200 Jahren hat Jean Paul, der Erzhumorist der deutschen Klassik, sich die Mühe des Differenzierens gemacht. In seiner Schrift finden sich aber auch erstaunliche Übereinstimmungen zum Thema Humor und Ernst, ja eine Verwandtschaft zu Imre Kertész.
    Auch für Jean Paul ist die Frage der Witzkultur eine gesellschaftliche:
    "Je unpoetischer eine Nation oder Zeit ist, desto leichter sieht sie Scherz für Satire an, so wie sie umgekehrt die Satire mehr in Scherz verwandelt, je unsittlicher sie wird ... Der Scherz fehlt uns bloß aus Mangel an - Ernste, an dessen Stelle der Gleichmacher aller Dinge, der Witz, trat, welcher Tugend und Laster auslacht und aufhebt."
    Wenn es nichts "Ernstes, Erhabenes" mehr gebe, dann könne es auch kein "Lächerliches" (positiv gemeint) geben, da das Lächerliche das Gegenteil, ja der "Erbfeind" des Erhabenen ist. Jean Paul sagt:
    "Nach jeder pathetischen Anspannung gelüstet der Mensch ordentlich nach humoristischer Abspannung; aber da keine Empfindung ihr Widerspiel, sondern nur ihre Abstufung begehren kann: so muss in dem Scherze, den das Pathos aufsucht, noch ein herabführender Ernst vorhanden sein. Und dieser wohnt im Humor."
    In einem Humor, der sich "geradezu an seinen Widersprüchen und Unmöglichkeiten" erfreut.
    Indem Jean Paul Kertész bestätigt, scheint er ihn auch zu widerlegen. Der Bayreuther Dichter kritisiert den Verfall des Humors nicht weniger deutlich als der Budapester Dichter. Sollen wir also bemängeln, dass Kertész' Erkenntnisse so neu nicht sind und vielleicht gar nicht so viel mit der Postmoderne, der Nachwendezeit zu tun haben wie er meinte? Nein, Jean Paul urteilt über einzelne Autoren, Kertész sehr pauschal. Zudem macht der an Jean Paul geschärfte Blick erst die Allgemeingültigkeit der Kertészschen Notiz deutlich.
    Als 2016 der bereits 20 Jahre alte Satz endlich auf Deutsch zu lesen war, habe ich ihn als allgemeingültigen, also auch als heutigen verstanden. Erfreut, dass hier mal einer ein saftiges Pauschalurteil, eine solide begründete Aussage gewagt hatte, die sich ohne größere Bedenken auf unsere gegenwärtige populäre Humorkultur übertragen ließ.
    Neue deutsche Lockerheit
    Dabei könnte man ganz zufrieden sein: Die Deutschen sind in den letzten 50 Jahren trotz aller Klischees deutlich lockerer und witziger, weniger ernsthaft und weniger prinzipiell geworden, und demokratisch reifer ebenfalls, keine Frage. Und es wird fleißig gelacht, jedenfalls im Fernsehen und in den großen Kabarett-Shows. Die neue Lockerheit scheint jedoch mehr und mehr von einer Flachwitzigkeit stimuliert zu werden und weniger von der Energie des Humors in dem beschriebenen Sinn als spielerische, intelligente Relativierung des eigenen Standpunkts. Allerdings bewegen wir uns hier auf unendlich weiten Feldern zwischen Kabarett-Witz und Fernsehsketches, Clowns-Rollen und YouTube-Gags, der Rivalitäten zwischen Komödie und Kalauer auf den Bühnen, Häme und Heiterkeit in den sozialen Medien, und so fort, das kann kein Mensch übersehen, summieren und bewerten, da sollte man den Verdacht zunehmender Flachheit nicht zu pauschalen Urteilen verdichten.
    Um die kommt man sowieso nicht ganz herum, selbst wenn man sich auf eines dieser Felder beschränkt, auf den "Lach-Stoff" des Fernsehens. Seit dort die Quote als allerheiligster Maßstab gilt, gibt es zwar mehr Lach‑Sendungen als je zuvor, aber die tragen, näher betrachtet, nur ausnahmsweise zur Verbreitung des Humors bei.
    Es verstärkt sich der Eindruck, die omnipräsenten Comedians mit der Devise
    "Humor ist, wenn hinten gelacht wird",
    die politischen Softkabarettisten oder die allzu lehrhaften Politkabarettisten erreichten nur selten noch die mittleren Höhen der Bosheit und witzigen Klugheit. Sie operieren immer weniger doppeldeutig, mit zweiter Perspektive, teilen mit gleicher Intensität in alle Richtungen aus und bleiben so als die einzigen Rechthaber übrig.
    Das zeigt sich vor allem daran, wie sie mit "den Politikern" umgehen. Was viele politische Journalisten vormachen, sich mit Personalia zufrieden zu geben, eifern die Unterhaltungskünstler auf dümmlichste Weise nach. Zu selten wird aus sorgfältig recherchierten Beiträgen, aus der Absurdität der Fakten Witz geschlagen. An ihren schlechten Tagen gefällt sich die halbe "heute show" darin, Politiker nur deshalb fertig oder lächerlich zu machen, weil sie Politiker sind oder weil man einen Halbsatz von ihnen aufspießen kann. Hohn, Geschimpfe, Rüpeleien, billiges Bashing werden als Witz verkauft - und stets nach Parteienproporz ausgestreut (damit niemand im Fernsehrat aufjault), nicht aber nach dem Witzpotenzial oder gar der Fragilität der Argumente dieser Politiker. Wenn alle Parteien, zum Beispiel CSU und Grüne, um nicht von der Linken und der AfD zu sprechen, vor den Comedians gleich sind, dann ist etwas faul, dann ersparen sie sich das Denken oder uns die Meinung. Eine gleichmacherische und dazu meinungspolitisch ausgewogene Satire ist keine Satire mehr.
    Zu viele Plattsatiren der "heute show" unterscheiden sich kaum noch von den Plattwitzen der traditionellen Karnevalisten auf der einen Seite - und von den Verachtungs- und Beschimpfungsgewohnheiten in den sogenannten sozialen Medien auf der anderen Seite. Die altbackenen Büttenreder und die asozialen Dauermeckerer und die neubackenen Showredner haben das gleiche Ziel: Schunkeln und Schenkelklopfen, also Quote und Klicks.
    Das Studiopublikum spielt da gerne mit und nimmt die unterschiedslose Abfertigung und Demütigung der Gewählten freudig lachend entgegen. Oder ist das alles nur eine Generationenfrage? Gewiss, wer mit dem Fernsehen aufgewachsen ist, nimmt sich vom Medium, was er oder sie braucht und gut findet, natürlich auch die Lachhäppchen, wenn Lachen angesagt ist.
    Das sei den Leuten gegönnt, trotzdem wird man fragen dürfen, ob die Fernsehsatire, wenn sie sich vor allem im unterschiedslosen Wegputzen von Politikern gefällt, bei den Zuschauern nicht doch die eigene Überheblichkeit fördert und es ihnen in populistischen Klischees allzu gemütlich macht.
    An Kertész erinnernd, könnte man sagen: Bei solchem Treiben geht auch der Ernst des Gedankens verloren, dass mit dem weitgehend argumentlosen Gießkannenhohn auf die Repräsentanten der Demokratie auch die Demokratie selbst in Richtung Tonne getreten wird.
    "Rohes Auslachen" hat wenig mit Humor zu tun
    Wo das "rohe Auslachen" blüht, würde Odo Marquard sogar von Wirklichkeitsvertreibung sprechen. Für den Philosophen ist Lachen ein Denken und Denken "die Fortsetzung des Lachens" mit einem wichtigen Unterschied:
    "Das gilt nicht vom rohen Auslachen: denn dadurch - durch Wegspotten - vertreibt man Wirklichkeiten aus unserem Leben. Wohl aber gilt es vom humoristischen Lachen: denn dadurch bittet man - liebevoll, spöttisch - zusätzliche Wirklichkeit, die offiziell geleugnet wird, wenigstens inoffiziell in unser Leben hinein: denn man lacht sie nicht aus, sondern man lacht ihr zu und lacht sie sich an."
    Auch wenn es, gerade in der "heute show" immer wieder geglückt durchtriebene Beiträge mit solchem Wirklichkeitsgewinn gibt, wenn aufklärerischer Echtwitz und Geniestreiche aufblitzen, das fernsehkompatible Kabarett kommt nur selten über das satirische Abfertigen einzelner Personen hinaus. Selbst wenn das gekonnt gemacht ist, hat das kaum etwas mit Humor zu tun, der nur dann Humor ist, wenn ihr Urheber die eigene Position mit infrage stellt. Satire, die vorwiegend mit dümmlichen Politikerabfertigungsschablonen hantiert, klärt nicht mehr auf, bietet keinen Wirklichkeitsgewinn, wird reaktionär und arbeitet den reaktionären Parteien zu.
    Das mag auch daran liegen, dass, sehr pauschal gesprochen, die Medien heute in vielem wirksamer, also mächtiger als die Politik sind. Wenn Moderatoren und Kabarettisten einflussreicher sind als sehr viele Politiker, wenn sie sich also über Schwächere lustigmachen, dann ist das sowohl degoutant wie unhumoristisch. Humor kommt nur von unten.
    Die meisten Berufswitzbolde und Spaßangeber scheinen überdies an "Selbstgefallsucht" zu leiden, wie Jean Paul sagen würde. Jedes Witzeln ist ein Strahlen in die Kamera, jede Pointe wird mit narzisstischem Dünkel unterfüttert: Seht mal, wie witzig, wie humorvoll, wie kontra wir sind, wir Deutsche sowieso und ich Comedian, ich Kabarettistin, ich Showmensch ganz besonders. Egal, ob die Kommerzialisierung diesen Narzissmus fördert oder umgekehrt: So gerät das zentrale Gebot für Humorproduktion in Vergessenheit, das trockenes Understatement fordert, also das Wissen um Doppelbödigkeit. Man entdeckt das noch bei Olli Dittrich, Olaf Schubert, Frank Barwasser (Pelzig), Maren Kroymann, Gerburg Jahnke und ihren "Ladies", zuweilen bei Nuhr. Nur wer sich klein macht, kann größeren Widerspruchsgeist und Widerspruchswitz entfalten (siehe Loriot), also den Humor, den von Ernst gespeisten.
    Humorkritiker haben einen schweren Stand
    Da will man in aller Ruhe über den Satz eines alten Ungarn und seine Aktualität nachdenken - und landet schnell auf einem Minenfeld. Unter allen Kritikern hat der Humorkritiker wahrscheinlich den undankbarsten Job, auch deshalb gibt es so wenige. Wer den Humor anderer Leute oder gar den der Humormacher auseinandernimmt oder anzweifelt, wer witzigen oder witzigseinwollenden Menschen Humorlosigkeit vorzuwerfen wagt, setzt sich sofort der Gefahr aus, als humorloser Humorverderber in die Ecke gestellt zu werden. Den Vorwurf, keinen Humor zu haben, möchte sich niemand gern einfangen, schon gar nicht Witzemacher, die sich einbilden, die Lockerheit gepachtet zu haben.
    Wenn überhaupt auf diesem Felde kritisiert und polemisiert wird, dann sprechen die meisten pro domo oder aus ihrer Zunft heraus, Kabarettisten argumentieren anders als Satiriker, Comedians der Bühne anders als Karikaturisten und so fort. Da kaum jemand die Begriffe Humor, Witz, Komödie, Comedy, Satire, Ironie, Scherz und so weiter zu klären versucht, herrscht überdies ziemliche Sprachverwirrung - auf einem Gebiet, das mit präziser Sprache operiert. Kurz, man redet hier mit Vergnügen aneinander vorbei und begnügt sich mit der Formel: Entweder hat man Humor oder man regt sich darüber auf, weil man keinen hat. Schön wär‘s, wenn die Sache so einfach wäre.
    Was Jean Paul in seiner Zeit als "Selbstgefallsucht" wahrnahm, was Kertész vor mehr als 20 Jahren an der "kleinlichen" Postmoderne kritisierte, begegnet uns heute in der Fixierung auf Identität und im blühenden, im Selfie-Kult schon wieder kollabierenden Narzissmus. Wer sich selbst oder seine eingebildete Identität im Spiegel oder auf dem spiegelnden Bildschirm oder auf den Pixeln rund um die eigene Nase sucht wie einst Narziss verliebt sein Eigenbild im Wasserspiegel betrachtend, vernachlässigt den zweiten, relativierenden, selbstironischen Blick und wird zur Distanz, also zum Humor immer weniger fähig sein.
    Wenig Humor in extrem rechten oder linken Szenen
    Noch stärker wirkt die modische Identitätsideologie mit ihren humortötenden Folgen. Die besonders bei harten Rechten und bei soften Linken beliebte Festlegung auf eine formelhafte Identität ignoriert nicht nur, dass jeder Mensch ein Vielfaches an Identitäten hat …
    Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Herkunft, Bildung, Religion, Arbeit, Alter, Kraft, politische Orientierung, sexuelle Orientierung, Intelligenz, Gene und so weiter,
    …wovon einige erfreulicherweise variabel sind. Mit der Reduzierung auf "die" oder "eine" Identität wird auch dem Humor der Boden entzogen.
    Identitäres Denken und identitäre Zuschreibungen entspringen dem Wunsch nach Widerspruchslosigkeit, negieren die Vielfalt des Einzelnen und führen zur Ideologie und Rassismus - und damit auch zur Vertreibung des Humors, der zum Blühen bekanntlich zwei Perspektiven braucht.
    Insofern überrascht es nicht, dass der Autor Till Raether in den rechten Szenen trotz systematischer Suche keinen Humor gefunden hat. Ein halbes Jahr lang hat er die Zeitschriften und Plattformen des sozialen Netzes der Rechten durchforscht und am Ende nicht mal gelungene Witze entdeckt. Raether beruft sich schließlich auf Alison Dagnes, die für die USA die gleiche Diagnose stellt:
    "Um gute Witze hinzubekommen, muss man sich selbst fürs Publikum verletzbar und angreifbar machen. Dieser Gedanke widerspricht einer rechten Ideologie der Stärke. Humor funktioniert am besten, wenn er aus einer Position der Schwäche kommt, wenn der Witz gemacht wird, um sich gegen einen Stärkeren zu wehren."
    Übrigens wehrte sich auch Imre Kertész immer dagegen, auf eine "Identität", und sei es die jüdische, festgelegt zu werden.
    "Ich habe mehrere Ichs, die alle einem einzigen Ich, meinem repräsentativen Ich, dienen. Doch meine sämtlichen Ichs - und damit auch ich selbst - wissen über das repräsentative Ich nur das wenigste."
    Spektakulärer Höhentiefpunkt deutscher Humorkultur: Böhmermanns Schmähgedicht
    Am 31. März 2016 starb Imre Kertész in Budapest. Und noch am gleichen Abend, als die ersten Nachrufe erschienen, erreichte die zeitgenössische deutsche Humorkultur einen spektakulären Höhentiefpunkt. Oder was geschah da, als Jan Böhmermann im Fernsehen einen gereimten Text auf den türkischen Staatspräsidenten vorlas? Sicher ist nur: Mit so viel Ernst ist lange nicht über Satire und Humor gestritten worden.
    Angefangen hatte es mit einer läppischen Reimwitzelei in einer Satiresendung des NDR, die Erdoğan und seine Lakaien erzürnen, nach Verboten rufen und eine diplomatische Krise provozieren ließ. Darauf reagierte Böhmermann mit einem Text, den er von vornherein als ein zu verbietendes Schmähgedicht bezeichnete. Ging die NDR-Satire noch auf die reale Unterdrückungspolitik des türkischen Staatspräsidenten los, beschränkte sich Böhmermann darauf, dem Präsidenten ungewöhnliche Sexualpraktiken vorzuhalten, ihn mit Zoten und Rassismen zu karikieren und sich an imaginären Tabugrenzen zu reiben.
    Solche Beschimpfungen dürften auch in Deutschland nicht verbreitet werden, sagte der Verbreiter, augenzwinkernd die unendliche Verbreitungskapazität eines mächtigen Senders und des noch mächtigeren Internets in Gang setzend. Früher hätte man das schlicht hinterfotzig genannt. Heute wurde der Moderator für sein "Kunstwerk" gepriesen vom Chef des Hauses Springer, für seine "Dekonstruktion von Humor" von der "Süddeutschen Zeitung", während Bernhard Pörksen im "Tagesspiegel" den irritierenden Widerspruch zwischen der "Inhaltsebene" (Beleidigung) und der "Metaebene" bewunderte, die verbotene Satire satirisch darzubieten.
    Genau da sahen andere Rot. Jeder Nazi oder sonstige Menschenhasser, meinte Caroline Fetscher, könne sich nun satirisch geben, das Verbotene genüsslich ausmalen und beispielsweise sagen:
    "Flüchtlinge verbrennen, das ist verboten, man darf also nicht sagen ... und so weiter."
    und
    "Ich wollte doch nur auf lustige Weise die Gesetze erläutern."
    Friederike Haupt beschrieb in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" anhand der Plattsatiren der "heute show" jene Witzigkeit, die Menschen gefalle,
    "die Humor von Hohn nicht unterscheiden."
    Böhmermanns Satire sage nichts aus über die Zustände in der Türkei und Erdoğan, aber indem man ihn
    "als Sodomisten bezeichnet, sagt man ausschließlich etwas über sich selbst. Man will der sein, der sich traut, sowas zu sagen. Man ist der Gute, der den Bösen beschimpft. Das ist Pubertät, nicht Humor und nicht Politik."
    Gerhard Henschel verwies auf den eigentlichen Tabubruch in den frühen '80er‑Jahren, als die Privatsender
    "sämtliche bis dahin bekannten Grenzen des guten Geschmacks überrannten."
    Er skizzierte den Niedergang der Satire in Relation zum Aufstieg des unflätigen Schimpfens, Fluchens, der Rapper-Rotzigkeit und zeigte am Beispiel eines Schimpfmonologs von Gerhard Polt den Unterschied:
    "Es liegen Welten zwischen diesem Sprachkunstwerk und Jan Böhmermanns Zoten. Aber erkennt noch jemand den Unterschied, nachdem wir dreißig Jahre lang mit Zoten zugetextet wurden?"
    Kurz: viele Argumente, babylonische Verwirrung der Kriterien und Begriffe. Die ergiebigsten Argumente allerdings, die von Jean Paul und Imre Kertész, spielten da überhaupt keine Rolle. Auch das ist eine Pointe.
    Zur Entwirrung könnte auch hier Jean Paul helfen. Wie viel Humor steckt in dieser "Schmähkrititik"?
    Kriterium 1: eine allgemeine Torheit?
    Nein, die unterstellten Macken eines Einzeltrottels.
    Kriterium 2: Doppelter Boden der Vernunft?
    Nein, davon kann beim Beschimpfen nicht die Rede sein.
    Und 3: Sprachwitz?
    Nicht nur mit Polt verglichen: null.
    Und 4: Ein Ich, das sich und seine Weltsicht relativiert?
    Nichts dergleichen. Keines der vier Humorkriterien ist hier zu finden, dieser Text besteht aus astreinem Nichthumor. Vom "Kunstwerk" ganz zu schweigen.
    Abwehr gegen jede Form von Ernsthaftigkeit
    Trotzdem erreichte der geschmacklose und humorlose Text einen höheren Witz, allein durch die Präsentation, die Moderation: Böhmermann und sein Gesprächspartner Kabelka erklärten Erdoğan erst einmal umständlich, dass so etwas wie die NDR-Satire in Deutschland erlaubt sei, gedeckt von Kunstfreiheit, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, es gebe hier nun mal Satire, Kunst und Spaß, die seien erlaubt. Es sei aber auch hier nicht alles erlaubt, etwa sogenannte Schmähkritik, die bestraft und gelöscht werden könnte. Das klinge vielleicht etwas kompliziert, also wollten sie ihm das an einem Beispiel erklären. So etwas dürfe man nicht machen, das werde auch in Deutschland verboten, wiederholte der Moderator, bevor er das anstößige Produkt vorlas.
    Böhmermann, schrieb Jost Müller-Neuhof, tue nichts anderes
    "als das komische Versagen der Kollegen vom NDR ironisch aufzugreifen, es mit Erdoğans überempfindlicher Reaktion zu kontrastieren, um dann ein Schmähgedicht vom Stapel zu lassen, das Erdoğan, 'extra 3' und dem Fernsehpublikum symbolisch den Weg weist, auf dem bei uns die Meinungsfreiheit an ihr Ende gelangt."
    Die Satire richte sich also nicht gegen Erdoğan, sondern gegen die Kollegen Satiriker. Nichthumor gegen Flachhumor, ein letztes Gefecht der professionellen Spaßmacher?
    Was haben diese Debatten und Gefechte mit Imre Kertész zu tun? Außer, dass sie an seinem Todestag ausbrachen? Natürlich hat Böhmermann den Mut gehabt, einen unsäglichen Halbdiktator mit kalkulierter Tabuverletzung so direkt und unverschämt wie nur möglich zu treffen, und er hat das Verdienst, auch vor Gericht standhaft zu bleiben. Wohlwollend kann man seine "Schmähkritik", eine traditionelle satirische Form übrigens, auch als Versuch lesen, wieder mehr Ernst in unsere selbstgefällige Humorkultur zu implantieren. Ein Satiriker bedient sich des Mittels des Nichthumors und erreicht damit größtmögliche Wirkung bis hin zum Prozess - ein solches Paradox sollte gewürdigt werden.
    Andererseits sind Böhmermanns Lust auf Abwertung und die gleichzeitige Abwehr gegen jede Form von Ernsthaftigkeit hübsche Belege der Richtigkeit von Kertész' Diktum. Denn der begabte Unterhalter hält es auch für witzig zu sagen, gar kein Satiriker sein zu wollen, er mache ja nur eine Quatschsendung. Mit dem gespielten Understatement verkleinert er sich selber, was ja ein Kriterium für Humor sein könnte, aber wo alles Quatsch und lachhaft wird im Sinne des "Anything goes" inszeniert er sich als Opfer, als bloßer Hampelmann seiner eigenen Einfälle. Wenn er wirklich, wie Müller-Neuhof meint, satirisch nicht auf Erdoğan, sondern auf die Schwachwitzmacher und Kabarettisten zielt, die, deutlich unbegabter als er, auf die zahlreichen öffentlich-rechtlichen Quotenleitern drängeln, dann erschöpft sich am Ende alles in persönlichen Hahnenkämpfen und branchenüblichen Verdrängungswettbewerben.
    Postmoderne schuld am Niedergang des Humors?
    Man kann Kertész vorhalten, die Postmoderne allzu vereinfacht für den Niedergang des Humors verantwortlich zu machen. Aber niemand hat bereits so früh und mit solch heiterer Radikalität wie er durchdacht, was erst heute vor aller Augen sichtbar wird, was vielen humorsüchtigen Leuten am kommerziellen Humor den Spaß verdirbt und im Fall Böhmermann sich zuspitzte: die produktive Frage nach dem Verbleib des Humors.