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Krabbeltiere für das Aroma

Das kleine Dorf Würchwitz in Sachsen-Anhalt pflegt eine alte Tradition. Seit Jahrhunderten wird dort Milbenkäse zubereitet. Auf Grund seiner weltweit einzigartigen Herstellung und seines guten Geschmacks bezeichnen ihn die Würchwitzer als Trüffel unter den Käsesorten.

Von Kristin Hendinger |
    Eine alte Pflasterstraße führt durch das kleine Dorf Würchwitz. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Keine Menschen sind auf der Straße. Doch plötzlich baut sie sich vor dem Durchreisenden auf, eine in Marmor gemeißelte Riesenmilbe - das Wahrzeichen des Dorfes. Hinter dem Denkmal steht ein kleines, weiß gestrichenes Bauerngut. Die Käserei in kleinem Stil, von Helmut Pöschel. Der 62-jährige Rentner stellt Käse mit Hilfe von Zuchtmilben her.

    "Es gibt Zigtausend Milbenarten. Das ist eine wilde Milbe, die man vor 500 oder 1000 Jahren regelrecht gezüchtet hat. Sie heißt Altenburger Käsemilbe - Tyroglyphus casei L. "

    In einem schmalen, kühlen Kellergewölbe leben Millionen der winzigen Haustiere in mehreren 50 mal 50 Zentimeter großen Holzkisten. Mit bloßem Auge sind die Spinnentiere normalerweise nicht wahrnehmbar. Doch die Masse macht's! Und die sieht wie braunes Mehl aus, das sich bei genauem Hinsehen leicht bewegt.

    Dazwischen liegen Quarkröllchen - fünf Zentimeter lang, zwei Zentimeter dick. An ihnen leisten die Milben ganze Arbeit. Dank ihrer Tatkraft entsteht nach drei Monaten aus dem Quark würziger Käse.

    "Die Milbe will praktisch den Käse auffressen und beim Fressen muss dieser Käse eingespeichelt werden. Die Milbe kann ihn nur flüssig aufzehren und bei diesem Prozess dringen die wertvollen Enzyme des Speichels von der Milbe in den Quark ein und lassen ihn so würzig werden und vor allem so haltbar. "

    Damit die Milben den Käse während der Arbeit nicht auffressen, werden sie von Helmut Pöschel mit Roggenmehl gefüttert. Liebevoll streut er das Mehl in eine der Kisten. Mit seinen großen Händen wendet er alles wie in einer Teigschüssel. Die Quarkröllchen werden aus Kuh-, Ziegen- Schafsmilch oder sogar Büffelmilch hergestellt. So entstehen verschiedene Käsesorten. Nach drei Monaten sieht der Käse bernsteinfarben aus. Je älter er wird, desto dunkler wird er auch. Nach einem Jahr ist er außen schwarz. Dieser schwarze Käse sei der Traum aller Gourmets, so Pöschel. Ein Rentnerehepaar aus dem Erzgebirge, das die Käserei besucht, bekommt verschiedene Kostproben auf einem Butterbrot serviert.

    "Also mal zulangen und schön lange kauen. Er hat eine leicht bittere Note.

    Wie würden Sie den Geschmack des Käses beschreiben?

    Er schmeckt einfach richtig gut. Ich hätte jetzt kein Ekelgefühl oder so was, wenn ich das esse.

    Haben Sie das Gefühl, dass Milben in Ihrem Mund herumkrabbeln ?

    Nein überhaupt nicht.

    Nachdem es wunderbar serviert wurde, nicht alle kleinen Tierchen darauf waren, muss ich sagen, die Kostproben waren spitze. Hans Rosenthal wäre hochgesprungen."

    Helmut Pöschel, der sich gern als Obermilbe bezeichnet, ist nicht der einzige in Würchwitz, der Milbenkäse herstellt. Von 350 Einwohnern halten sich zehn Familien Millionen der krabbeligen Achtbeiner im Keller und produzieren Milbenkäse. Doch nur Helmut Pöschel ist beim Patentamt in München gelistet und darf den Käse auch vertreiben - beispielsweise an Gourmetrestaurants. Die andern dürfen den Käse nur privat herstellen. So auch die 92-jährige Lisbeth Brauer.

    "Meine Mutter hat es schon gemacht, die Oma, ach den Käse gibt es schon lange. Der hält sich lange und schmeckt gut."

    Der Milbenkäse, der sich wegen der Enzyme der Milben jahrelang hält, macht Würchwitz berühmt. Mit Frühlingsbeginn hofft Helmut Pöschel wieder auf viele Besucher. Seine Freundin, die 80-jährige Dorfdichterin Lena Löffler, hat für die Milbenvoyeure schon den passenden Reim parat.

    Als Barbarossa auf seiner Pfalz in Kayna weilte,
    ein Page flugs nach Würchwitz eilte,
    um in der Blumenmühle den Käse zu holen,
    denn die Müllerin war im ganzen Zeitzer Land
    für ihren wunderbaren Milbenkäse bekannt.