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Kraftwerk-Premiere in 3D

Bereits seit den frühen 70er-Jahren ist die Musik von Kraftwerk mit den Entwicklungen modernster Technologien verbunden. Im Kunstbau des Lenbachhaus in München wird nun zum ersten Mal die von Kraftwerk programmierte Bild- und Tonwelt als Gesamtkunstwerk außerhalb des Konzertsaals erfahrbar.

Von Andi Hörmann | 17.10.2011
    1, 2, 3, 4 - gepixelte, grüne Zahlen formen sich zu einem 3D-Gebirgsrelief. Computer Welt.

    Matthias Mühling:

    "Es ist das erste Mal, dass man so in Ruhe und so kontemplativ sich auf das Zusammenspiel von Bild und Ton bei Kraftwerk konzentrieren kann."

    Bunte Pillen regnen vor der Leinwand herab. Vitamin. In rotem Hemd und schwarzer Krawatte treten die vier animierten Kraftwerk-Mitglieder optisch aus den Projektionsfläche hervor und greifen nach dem Zuschauer hinter seiner 3D-Brille. Mensch-Maschine.

    Matthias Mühling:

    "Auf den drei Projektionen läuft quasi der Song ab. Und es sind neun Songs, die man hier sehen kann."

    Matthias Mühling, Kurator der Kraftwerk 3D-Videoinstallation, steht in dem etwa 100 Meter langen Kunstbau im Münchner Lenbachhaus vor gut fünf Meter hohen Projektionsflächen. In Glasvitrinen ist das Kraftwerk-Bühnenkostüm ausgestellt: Eine Art schwarzer Neopren-Anzug mit leuchtenden Neonstreifen.

    "Wenn man jetzt sagt: Kraftwerk wandert ins Museum, dann hat das so etwas Despektierliches. Das gefällt mir überhaupt nicht! Weil ein Museum ist ein unglaublich lebendiger Ort. Da ist Kraftwerk absolut richtig. Weil Kraftwerk eben ein Musikprojekt ist, das sich auf Vorkriegsavantgarde bezieht: Auf Fritz Lang`s Metropolis auf El Lissitzkys Proun."

    Der Futurismus von Metropolis, die geometrisch-räumlichen Proun-Malereien: ein Spiel mit Dimensionen. Die zeitgenössische Kunst mit ihren Wurzeln in der klassischen Moderne: In der Musik und den Visuals von Kraftwerk wird sie zitiert. Und mehr noch: Kraftwerk sind und waren immer auch abstrakte Kunst - in Bild und Ton. Für das Lenbachhaus in München - mit einer der größten Kandinsky-Sammlungen - ist diese Musiklegende ein popkulturelles Highlight: Hohe Kultur, in kühlen Klängen und leuchtenden Bildern.

    "Es ist eine Kombination aus Konzeptkunst, Minimal-Art und so einer gewissen ornamentalen Redundanz. Und das hat auch die Musik. Wir haben natürlich auch Minimal in unserer Sammlung. Insofern verstehen wir Kraftwerk als Fortsetzung der Konzept- und Minimalkunst des 20. Jahrhundert."

    Kraftwerk, die Pioniere der elektronischen Musik, wirken im Lenbachhaus mit ihren überdimensionalen 3D-Projektionen majestätisch. Mit dem Einzug ins Museum besteigt die Musiklegende für vier Wochen einen wohlverdiente Thron. Was der Besucher hier erfährt, erlebt er sonst nur bei den Live-Shows.

    "Im Konzert gibt es eben diesen einen Effekt des Live-Erlebnisses, indem man ganz viele Nachbarn neben sich hat. Und hier ist der Unterschied, dass die Projektionen deutlich größer sind als bei dem Konzert, dass es auf unterschiedlichen Projektionswänden auch unterschiedliche Bilder gibt, die miteinander korrespondieren oder sich gegenseitig ergänzen. Und man hat im Gegensatz zum Konzert die Möglichkeit, sich den Loop ein paar mal anzuschauen, das in Ruhe zu genießen, und sich wirklich darauf zu konzentrieren, was Bild und Ton zusammen machen."

    Zur Ausstellungseröffnung spielen Kraftwerk - mit ihrem einzigen verbliebenen und 65 Jahre alten Gründungsmitglied Ralf Hütter - drei restlos ausverkaufte Konzerte in München. Das Publikum - im Alter zwischen 16 und 66 - zeigt sich durchweg euphorisiert von den Düsseldorfer Helden der elektronischen Musik-Avantgarde. Das Publikum:

    "Absolut großartig! Kraftwerk mal in 3D: Das gab es so ja glaube ich auch noch nicht. Das war sehr minimalistisch. Das funktioniert wahrscheinlich noch 2500."

    "Sehr geil. Sehr, sehr schöne Visuals und guter Sound."

    "Es war wunderbar. Ganz toll! Wirklich. Der Sound und 3D - das hat super harmoniert. Toll. Klasse. Ich war begeistert."

    Die Reduktion in Perfektion: Zeitlos und zukunftsweisend, minimal und monumental. Die visualisierte Musik von Kraftwerk hat dabei immer auch etwas Visionäres. Damals wie heute. So steht für den Kurator Matthias Mühling Kraftwerk nach wie vor für kritischen Zeitgeist.

    "Wir diskutieren in den letzten Tagen darüber, was Online-Überwachung sein sollte, wie sie verfassungsmäßig korrekt sein könnte, weil eben der Bundestrojaner höchstwahrscheinlich enttarnt worden ist. Und das was wir jetzt genau passend im Hintergrund hören ist Computer Welt. Das ist der erste Popsong, der sich das zum Thema macht und das ist 1981 gewesen. Das ist 30 Jahre her. Kraftwerk ist so aktuell wie nie."