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"Kreatives" Wohnen

Aus sozialen Brennpunkten werden Szeneviertel, Industrieanlagen werden zum angesagten Klub. Durch Künstler und Intellektuelle verändern sich oft soziale Strukturen. Das wissen auch die Teilnehmer des Symposiums "Die kreative Stadt" in Stuttgart - und planen die Stadt der Zukunft.

Von Susanne Kaufmann |
    Zu den Projekten, die Stadtplaner und Wirtschaftsförderer derzeit beobachten, zählt das ehemalige Werksgelände von AEG in Nürnberg. Auf einer Fläche, so groß wie 800 Tennisplätze, sollen nun auch viele Kreative angesiedelt werden. Auf Bundesebene hat sich erstmals 2005 die Enquetekommission "Kultur in Deutschland" mit der Kultur- und Kreativwirtschaft befasst. Sie kam zu dem Ergebnis, dass ihre Bruttowertschöpfung annähernd der der Automobilindustrie entspricht.

    "Es gibt natürlich auch Bereiche, die sehr etabliert sind, Werbefirmen, die man natürlich schon lange kennt. Aber es gibt auch Leute, die sich auch ein bisschen schrill geben, die die Straße nutzen, die öffentlichen Räume eben auch bespielen. Und da ist also so ein bisschen diese Mischung zwischen Bewunderung, Anziehung und auch Stirnrunzeln, und das ist in einer sehr hektischen, ökonomisierten Welt natürlich 'ne Attraktion, und darauf schauen Stadtverantwortliche natürlich sehr viel mehr als früher","

    sagt Alain Thierstein, Inhaber des Lehrstuhls für Raumentwicklung an der TU München. Er hat die regionale Verteilung der Kreativwirtschaft in Deutschland untersucht: Berlin, Hamburg und München sind ganz vorn, der Raum Stuttgart, die Gegend um Frankfurt und das Ruhrgebiet. Franz Pesch, Stadtplaner an der Universität Stuttgart, hatte ein klares Ziel vor Augen, als er das Symposium zur Kreativen Stadt gemeinsam mit Kollegen und der Wirtschaftsförderung Stuttgart plante: ein Thema, das wirtschaftspolitisch so euphorisch behandelt wird, einmal kritisch zu betrachten.

    ""Wir wollen, dass auch die Probleme, die Schwierigkeiten, die Risiken deutlich werden, die mit dieser Thematik Kreativwirtschaft verbunden ist. Und wir würden ganz gerne dazu anregen, den Schutz der nicht so starken Wirtschaft auch im Zusammenhang mit der Kreativwirtschaft im Auge zu behalten. Also keine Verdrängung sondern Koexistenz der unter-schiedlichen Milieus in der Stadt."

    Wie in Karlsruhe, einer Stadt, die sich seit Mitte der 1990er-Jahre spürbar gewandelt hat. Dort zogen Künstler in das leer stehende Gebäude einer ehemaligen Waffenfabrik ein, und davon ausgehend entstand die Idee, im Hallenbau eine Hochschule für Gestaltung anzusiedeln und ein
    Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe (ZKM), das heute weltweit renomierte ZKM. Mittlerweile kooperieren auch die technischen Studiengänge der Karlsruher Uni mit der Kultur und jeder fünfte Absolvent orientiert sich Richtung Kreativwirtschaft. Barbara Rettenmaier arbeitet als Stadtplanerin bei der städtischen Fächer GmbH.

    "Die meisten Betriebe sind sehr klein, fallen damit unter die Gewerbesteuergrenze, Freibetragsgrenze, das heißt die wenigsten von den Betrieben bezahlen tatsächlich Gewerbesteuer. Hat aber glaube ich ne ganz, ganz minimale Auswirkung, weil die Firmen, die dann bezahlen, also in Karlsruhe gibt’s ne Firma, die heißt Game Forge, quasi der deutsche Marktführer für Onlinegames, die bezahlen mit 450 Leuten und nem unglaublichen Millionenumsatz sehr, sehr viel an Gewerbesteuer. Das heißt, die vielen Kleinen bilden den Nährboden für die Großen und bilden aber auch den Nährboden für Firmen, die dann am Standort in Karlsruhe bleiben oder sich dort ansiedeln, die aus den technologischen Bereichen kommen, aber eben die Kreativwirtschaft im Umfeld brauchen."

    Der Berliner Landschaftsarchitekt Klaus Overmeyer hat untersucht, wo sich die Kreativen am liebsten ansiedeln: Hoch im Kurs stehen etablierte Szenequartiere, Univiertel und Umbruchmilieus. Er fand heraus, dass oft sogar Klubs und Restaurants darüber entscheiden, wo sich kreative Menschen besonders wohl fühlen. Gleichwohl gibt es immer wieder Städteplaner, die sich um eine gezielte Ansiedlung bemühen. So wurde in Berlin-Kreuzberg eine einstige Kreisverkehrswüste, der Moritzplatz, symbolisch umbenannt: in Makerplatz. In die umliegenden Gebäude sollen Designer, Künstler und Visionäre ziehen.

    Berlin hat schon historisch eine große Nähe zur Kultur, sagt der Soziologe Harald Welzer, der selbst gerade aus dem Ruhrgebiet nach Berlin gezogen ist. Dass Kreative die Nähe von Kreativen suchen, sagt er, sei ein urwüchsiger Prozess.

    "Ich halte das für relativ illusionär, dass man also ganze Quartiere so planen kann, in der Hoffnung, dass dann dort die so genannte kreative Klasse einzieht. Die zeichnet sich, wenn sie denn kreativ ist, ja dadurch aus, dass sie selber etwas aufspürt, was für ihre Arbeits- und Lebensbedingungen tatsächlich interessant ist, und da sind sie den Stadtmarketingleuten natürlich Lichtjahre voraus."

    Orte, die von den Kreativen bevorzugt werden, sind oft ehemalige Industrieanlagen. Da ziehen Musiker, Künstler und Designer auch mal im Sinne einer Zwischennutzung ein. Etwa in Bremen auf das Areal des ehemaligen Güterbahnhofs, wo ursprünglich mithilfe eines Investors ein sogenannter Promotionpark entstehen sollte. Nun ist die Kulturbehörde froh, dass dort, auch wenn vorerst befristet, Künstler ihr Quartier bezogen haben. Es heißt, sonst hätte eine Verslumung des Gebiets gedroht.

    In Karlsruhe kümmert sich Stadtplanerin Barbara Rettenmaier um die neue Nutzung des denkmalgeschützten Schlachthofs.

    "Diese Gebäude sind sehr heterogen. Es gibt dort die Wohnung des Schlachthofdirektors, es gibt große Schlacht- und Kühlhallen, die nicht alle jetzt für klassisches Büro genutzt werden können, die gar net quasi für Wohnen genutzt werden können. Und die Kreativwirtschaft hat den großen Vorteil für diese Gebäude, dass sie sehr heterogene Räume auch sucht und braucht. Insofern ne relativ ideale Kombination."

    In die Wohnung des Schlachthofdirektors zogen sieben junge Produktdesigner ein, die Teile der gekachelten Schlachträume nun als Werkstatt nutzen. Und mit dem Umbau des Al-ten Schlachthofs in einen Kreativpark wird sich allmählich auch die städtische Umgebung wandeln.

    "Wenn dann ein Quartier so am Umbruch ist und die erfolgreicheren Firmen kommen, dann steigen diese Mieten im Verhältnis einfach sehr viel höher an. Bei uns ist das ein Sprung von vier Euro auf den Quadratmeter auf sechs Euro den Quadratmeter."

    Die Stadtplaner, die zum Symposium über Die kreative Stadt nach Stuttgart kamen, sehen trotz ihres grundsätzlich kritischen Blicks interessanterweise durchweg kein Problem darin, dass sich durch die Ansiedlung von Kreativen auch die soziale Struktur von Stadtvierteln verändert, weil günstiger Wohnraum verloren geht. Nochmal Alain Thierstein:

    "Ich verwende den Ausdruck Gentrifizierung nie, er hat keine analytische Kraft, er lässt uns nichts erkennen, es ist ein politischer Kampfbegriff. Ich glaube, es ist halt so, wenn Städte Entwicklungsperspektiven haben, dann verändern sie sich, und dann kommen neue Menschen dazu, andere gehen vielleicht wieder weg. Das ist nicht immer ganz freiwillig, aber eine Stadt, die sich verändert, die lebt. Eine Stadt, die sich nicht mehr verändert und eingefroren ist, die stirbt."