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Krebs und Kernkraft

Vor zwei Jahren musste Energiekonzern Vattenfall erleben, wie zurückgehaltene Informationen nach dem Brand eines Transformators im Atomkraftwerk Krümmel und schwerwiegenden Kurzschlüssen in Brunsbüttel das Vertrauen der Öffentlichkeit erschütterten. Die Firma hat anscheinend daraus gelernt und intensiviert die Pressearbeit. Das erste in einer Reihe von Pressegesprächen widmete sich gleich einem heiklen Thema: der Häufigkeit von Leukämiefällen bei Kindern, die in der Nähe von Kernkraftwerken leben.

Von Axel Schröder |
    Rund zwanzig Journalisten hat Vattenfall eingeladen, zum Auftakt einer ganzen Reihe von Pressegesprächen zum Thema Atomkraft. Bei Gebäck und Sprudel steht ein Vortrag auf dem Programm. Und das erste Thema scheint mutig gewählt: der Leiter des Kinderkrebsregisters aus Mainz, Dr. Peter Kaatsch stellt die sogenannte KiKK-Studie vor. Sie untersucht die Häufigkeit von Leukämiefällen bei Kindern, die in der Nähe von Kernkraftwerken wohnen:

    "Wir haben um die 16 Kernkraftwerke, die längere Zeit in Deutschland in Betrieb waren, Landkreise definiert - nicht wir, sondern unsere Auftraggeber: das Bundesamt für Strahlenschutz hat ein Expertengremium einberufen und die haben vorgegeben, welche Regionen untersucht werden sollen."

    Peter Kaatsch hat die Studie geleitet, er referiert über das Forschungsdesign, über statistische Wahrscheinlichkeiten, und er erklärt das Ergebnis der Studie:

    "Bei unserer bundesweiten Kernkraftwerk-Studie ist herausgekommen, dass bei Kinder, die in fünf Kilometer Nähe im Umkreis um die 16 Kernkraftwerke wohnen, das Risiko, eine Leukämie zu kriegen, erhöht ist."

    Aber dieses Ergebnis, so Kaatsch, hat ihn nicht überrascht, denn bisher deuten alle Studien darauf hin, dass in Reaktornähe öfter Kinder erkranken als anderswo. Besonders in der Elbmarsch, in Nähe des Vattenfall-Reaktors Krümmel. Diese Gegend fällt aus dem Rahmen und bildet ein sogenanntes Leukämie-Cluster: in den letzten 19 Jahren erkrankten dort 16 Kinder an Blutkrebs, statistisch erwartbar wären gerade mal fünf Krankheitsfälle gewesen. Vor anderthalb Jahren, nach Veröffentlichung der Studienergebnisse ging ein Aufschrei durch die Medienlandschaft. Aber die Aufregung dauerte nicht lang, denn Kaatsch und sein Forscherteam berichten nicht nur von der Häufung der Leukämiefälle, sondern sie liefern gleichzeitig auch eine nüchterne Deutung:

    "Wir glauben nicht, dass es an der Strahlenexposition liegen kann. Weil die nämlich um den Faktor 1000 bis 10.000fach niedriger ist als die natürliche Strahlenbelastung, der jeder Bundesbürger unterliegt."

    Warum Vattenfall gerade die KiKK-Studie zum Thema ihrer Pressegespräche macht, erklärt Konzernsprecherin Barbara Meyer-Bukow:

    "Dass wir jetzt dieses Thema Leukämiecluster gewählt haben, ist schlicht und einfach darauf zurückzuführen, dass neulich dieser neue Leukämiefall in der Nähe von Lüneburg aufgetreten ist."

    Und zwar wieder ganz in der Nähe des Atomreaktors Krümmel. Der 17. Leukämiefall innerhalb von 19 Jahren. Für Vattenfall ist aber in puncto KiKK-Studie offenbar weniger der Anstieg von leukämiekranken Kindern rings um die Atommeiler entscheidend, sondern etwas anderes, so Barbara Meyer-Bukow:

    "Diese KiKK-Studie zeigt uns, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen den Kernkraftwerken und den Leukämieerkrankungen festzustellen ist, dass es keine plausiblen Erklärungen für diese Erkrankungsfälle gibt."

    Einen Zusammenhang zwischen radioaktiver Strahlung und Kinderkrebs kann die Studie tatsächlich nicht herstellen. Aber genauso wenig, so Dr. Peter Kaatsch kann ein Einfluss des AKW-Betriebs auf die Körper der drum herum wohnenden Kinder ausgeschlossen werden:

    "Ausschließen kann man das mit unserer Studie nicht! Unsere Studie diente auch nicht dazu, etwas zu beweisen oder auszuschließen. Ich würde soweit auf keinen Fall gehen, zu sagen, es ist auszuschließen."

    Am Ende bleibt die entscheidende Frage offen: Was könnte die Leukämiehäufungen auslösen, wenn nicht die Strahlung? Im heute erscheinenden "Deutschen Ärzteblatt" regt Peter Kaatsch an, weiter zu forschen: zum einen zur besonderen Strahlensensibilität von Kindern. Hier sollten alte Modelle überprüft werden. Und vielleicht, so Kaatsch, könnten auch geographische Besonderheiten von AKW-Standorten eine Rolle spielen. Oft lägen die Reaktoren an Flüssen und in ländlichen Regionen, wo Landwirte Pestizide auf die Äcker sprühten, so Kaatsch. Ein Einfluss dieser Faktoren auf die Häufung von Leukämiefällen lässt sich bisher allerdings auch nicht belegen.