Sonntag, 19. Mai 2024

Archiv


Kriegsopfer Schildkröten

Meeresschildkröten leben zwar im Wasser, sie brauchen aber einen Strand, um sich fortzupflanzen. Strände, die den Schildkröten dazu die Möglichkeit bieten, gibt es rund ums Mittelmeer immer weniger. Im Libanon kämpfen zwei Frauen darum, dass die Schildkröten auch weiterhin Nistplätze finden. Der Krieg zwischen Israel und der Hisbollah hat ihre Arbeit stark beeinträchtigt.

Von Anne Françoise Weber | 17.08.2006
    Noch 16 Tage nach Kriegsbeginn haben Mona Khalil und Habiba Syed jeden Morgen die neuen Schildkrötennester am Strand von Mansouri gezählt – keine 15 Kilometer von der libanesisch-israelischen Grenze entfernt, während sich Israel und die Hisbollah über ihre Köpfe hinweg beschossen. Danach mussten die beiden Frauen fliehen, ihr Leben war in Gefahr. Habiba Syed erinnert sich an die letzten Tage vor Ort:

    "Die letzten zehn Nester konnten wir nicht mehr schützen. Wir wussten, wo sie sind, aber wegen der Bombardierungen konnten wir sie nur mit einem Band markieren. Die israelischen Kriegsschiffe vor der Küste waren eine Gefahr, deswegen mussten wir sehr schnell arbeiten. Wahrscheinlich wurden die letzten 10 bis 15 Nester von Füchsen und Hunden geöffnet, sie fressen vermutlich auch die ersten frisch geschlüpften Schildkrötenjungen. Es wird eine traurige Saison."

    Dabei hatte alles so gut angefangen in diesem Jahr. Mehr Nester denn je hatten die beiden Frauen seit Mitte Mai am Strand gefunden, bis zu ihrer Flucht aus dem Kriegsinferno waren es 78. Ein Rückblick in friedlichere Zeiten, an einem Juni-Morgen um sechs Uhr: Aufmerksam suchen Mona und Habiba wie jeden Tag den knapp anderthalb Kilometer langen Strand von Mansouri nach Spuren ab. Zwei lange Bahnen, die vom Wasser hinaufführen, oben dann eine Mulde von rund einem Meter Durchmesser: das ist der Hinweis darauf, dass hier eine Schildkröte ihre Eier abgelegt hat – vermutlich eine Unechte Karettschildkröte, denn die Spuren der Suppenschildkröte sind größer und seltener:

    "An der Smiley-Form können wir sehen, dass die Schildkröte hier den Strand hinaufgekommen ist. Das hier ist vielleicht ein Nest, und da ist sie wieder hinunter gekrabbelt."

    Die Frauen stochern mit Bambusstöcken im Sand, um das Nest genau zu lokalisieren. Dann graben sie es auf, prüfen seinen Zustand und legen Maschendraht darüber, der hungrige Füchse und Hunde abhalten soll. Bleibt danach nur noch, alle Spuren im Sand zu verwischen, damit keine Strandbesucher neugierig nachgraben. Die Nester brauchen vor allem Ruhe – die es an libanesischen Stränden nur noch selten gibt. Eigentlich hätten Mona und Habiba gerne, dass der Strand von Mansouri unter Naturschutz gestellt wird – zumal die Anwohner oft mit Dynamit fischen, was für alle Meerestiere sehr schädlich ist. Aber die beiden können es sich mit ihrer Nachbarschaft nicht völlig verderben:

    "Wir haben jetzt eine Zwischenstufe entdeckt, kein wirkliches Naturreservat, aber ein Dekret, das Leute daran hindert, den Strand zu verbauen. Die Anwohner könnten den Strand immer noch nutzen. Aber sobald sie davon gehört haben, haben sie Angst bekommen: Nein nein, wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Ich glaube, sie haben Pläne für die Zukunft – dieser Strand hat viele Möglichkeiten."

    Nach 34 Tagen Krieg, in denen der Südlibanon besonders in Mitleidenschaft gezogen wurde, denkt vorerst niemand an Investitionen. Für die Schildkröten wird es trotzdem kein gutes Jahr. Zwar sind Mona und Habiba wieder da, um den bis Mitte Oktober schlüpfenden Schildkrötenbabies den Weg ins Meer zu zeigen. Dort aber lauert die nächste Gefahr. Während des Krieges wurde der Öltank eines Kraftwerks südlich von Beirut getroffen, 15 000 Tonnen Schweröl sind bereits ins Mittelmeer geflossen. Noch treibt die Strömung die giftige Brühe nach Norden:

    "Wir wissen noch nicht, was die Jungen tun, ob sie nach Norden schwimmen, dort bleiben, wo sie ins Meer gekommen sind, oder nach Süden ziehen. Hoffentlich wagen sie sich nicht in den Norden – wenn sie bleiben, wo sie sind oder nach Süden schwimmen, dann ist das kein Problem."

    Noch schwieriger ist einzuschätzen, wie sich die Erdölkatastrophe insgesamt auf die Schildkröten auswirken wird. Mona und Habiba hoffen, dass die erwachsenen Tiere vorerst weit von der Küste entfernt bleiben. Bis zur Nistsaison nächsten Sommer sollte dann zumindest der Strand von Mansouri wieder ganz sauber sein.