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Kriegverbrecher als Klienten

In Phnom Penh beginnt heute vor dem Roten-Khmer-Tribunal der erste Prozess gegen einen der fünf Angeklagten des Pol-Pot-Regimes. Aus Europa wird dazu ein Staranwalt anreisen, der sich als "Advokat des Teufels" - als Verteidiger von Kriegsverbrechern und Massenmördern - einen Namen gemacht hat: der heute 84-jährige Franzose Jacques Vergès. Der ehemalige Widerstandskämpfer ist ein engagierter Verfechter der Anliegen der Dritten Welt und einer, den das Böse zu faszinieren scheint.

Von Hans Woller |
    Eine Kupfertafel ziert die Tür zu Jacques Vergès’ Büro, zweisprachig, arabisch und französisch, eine Erinnerung an die Zeit in Algier, als er dort vor einem halben Jahrhundert die Unabhängigkeitskämpfer der Nationalen Befreiungsfront, des FLN verteidigte.

    Mit dem Habitus des kultivierten Großbürgers bittet der Hausherr in sein Reich, das einer luxuriösen Schatzkammer gleicht. Jacques Vergès ist umgeben von in Leder gebundener Weltliteratur und ausgewählten Kunstobjekten, oft Präsente dankbarer Klienten.

    Eine Buddha-Büste, die ihm ein Khmer, ein Freund geschenkt habe, seinen Namen verrate er aber nicht. Daneben eine aufgerichtete Schlange aus Glas

    "Ein Geschenk von Chayenne Brando, die mir ein ziemlich zweideutiges Kompliment gemacht und gesagt hat: weil du auch einer Schlange ähnlich bist."

    Langsam geht Jacques Vergès im auch tagsüber abgedunkelten Büro über dicke Teppiche hinter seinen Louis-XV-Schreibtisch – ein Mann, der Tabubrüche perfekt inszeniert, vom Bösen fasziniert scheint. Sein Credo: Jeder Angeklagte, auch der schlimmste Verbrecher, hat das Recht auf einen Anwalt:

    "Ich kämpfe für die Würde der Menschen. Ich akzeptiere nicht, dass ein Mensch, auch wenn er ein Krimineller ist, wie ein Tier behandelt wird. Es gibt in jedem Menschen einen Rest Menschlichkeit, den ihm niemand nehmen kann. Heutzutage gibt es aber, besonders bei uns im Westen, einen Hang zum Lynchen. Macht sich ein Mensch einer schlimmen Tat schuldig, wird er noch zusätzlich angeschwärzt und man vergisst, was es auch bei ihm an Positivem gibt. Ein Anwalt, der sich weigert einen Angeklagten zu verteidigen, ist wie ein Arzt, der sich weigern würde, Aidskranke zu behandeln, weil er gegen gewisse Sexualpraktiken ist."

    Als Sohn einer Einheimischen und eines Franzosen im heutigen Laos geboren, hat Vergès schon als 17-Jähriger im französischen Widerstand gegen die Nazi Besatzer gekämpft – 40 Jahre später aber den sogenannten Schlächter von Lyon, Klaus Barbie, verteidigt mit Argumenten, die die französische Gesellschaft damals schockierten:

    "Was man Barbie in Frankreich vorwarf, hatte Frankreich in Algerien selbst getan. Und ich gehe noch weiter; Barbie hat in Lyon weniger Menschen getötet, als General Aussares in Algier. Mit dem kleinen Unterschied, dass Oberst Aussaress später General wurde und die Ehrenlegion bekam. Ich habe vor dem Gericht damals gesagt, man muss aufhören, farbenblind zu sein. Bevor man andere verurteilt, muss man vor der eigenen Türe kehren."

    In den 84 Jahren seines Lebens hat Jacques Vergès in viele Abgründe geblickt - etwa als Funktionär der Studenten-Komintern zur Zeit der Schauprozesse in Prag. Moral ist für ihn etwas sehr Relatives, verkehren sich doch Gut und Böse im Lauf der Geschichte leicht ins Gegenteil:

    "Als ich die Gefangenen des FLN verteidigt habe, hat man sie noch als Banditen, Wegelagerer und Gauner bezeichnet. Heute rollt man für manchen unter ihnen, wenn er nach Frankreich kommt, den roten Teppich aus, den roten Teppich für die Großen der Welt - es sind eben 50 Jahre vergangen."

    Vergès nickt, ja der Terrorismus sei die letzte Waffe der Unterdrückten und zieht dabei, vor einem echten Gobelin sitzend, an der Havanna. Im Grunde seiner Seele ist der als kühler Zyniker Verschriene immer noch Antikolonialist, seine Empörung über Verbrechen, die die Europäer in den früheren Kolonien begangen haben, ist die Antriebsfeder für sein Handeln. Die Massaker der Roten Khmer in Kambodscha sind für ihn kein Völkermord:

    "Die Roten Khmer sind den Menschen aus der Zeit der Religionskriege ähnlich, als sich Katholiken und Protestanten gegenseitig umbrachten, das war im Namen Gottes, im Namen einer Überzeugung, eines Ideals und im Namen dieses Ideals haben sie Dinge getan, die ich natürlich als Verbrechen bezeichne."

    Der Besucher hat Mühe, ihm zu glauben, wenn er mit regungslosem Gesicht hinzufügt, er empfinde durchaus Abscheu vor den Verbrechen der Roten Khmer
    "Aber ich versuche eben die Motive der Menschen zu hinterfragen. Wissen Sie, ich vergleiche gerne Literatur und Justiz. Dostojewski etwa empfand Hass gegenüber den Nihilisten, aber alle seine Romanpersonen sind Nihilisten. Weil das Leute waren, die in ihm Fragen aufwarfen, die ihn herausforderten. Ich habe einmal gesagt, ich hätte Hitler verteidigt, weil er mich herausfordert, er macht mich stutzig. Einer, der fähig ist, die Hinrichtung von Millionen Menschen anzuordnen und gleichzeitig seinen Hund zu streicheln und seine Sekretärinnen mit Handkuss zu begrüßen. Erschreckend bei einem Kriminellen ist, dass auch er ein menschliches Wesen bleibt."