Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Kritik an Ungarn
"Diese Regierung paktiert mit dem Teufel"

Ungarn wurde gestern beim Sondertreffen der EU-Innenminister in Brüssel in Sachen Umverteilung von Flüchtlingen einfach überstimmt. Doch der ungarische Premierminister Viktor Orban lässt keine Gelegenheit aus, sich als starken Führer zu präsentieren - bereit, gegen den Mainstream zu schwimmen. Kritiker im eigenen Land tun sich schwer.

Von Stephan Ozsvath | 23.09.2015
    Ungarns Premierminister Viktor Orban in Brüssel
    Ungarns Regierungschef Orban erntet nicht nur Kritik, es gibt auch Zustimmung. (dpa / picture alliance / Olivier Hoslet)
    "Nationale Konsultation" steht auf Plakaten überall in Ungarn: Und weiter – "Das Volk hat entschieden: Wir müssen unser Land schützen." Premier Viktor Orbán lässt keine Gelegenheit aus, seinem Volk zu erklären: gegen wen, nämlich muslimische Zuwanderer.
    "Ungarn ist ein 1000-jähriges Land mit christlicher Kultur, sagte er jüngst vor jungen Polizisten. Wir wollen nicht, dass eine weltweite Völkerwanderung Ungarn verändert."
    Die Regierung in Budapest setzt sich auch als Verteidigerin der Schengen-Grenze, von europäischen Normen, in Szene. Kritik an dieser Haltung kommt vom ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány.
    "Diese Regierung lügt. Sie bezieht sich – vielleicht erstmals überhaupt – auf europäische Normen. Dass sie deshalb die Grenzen schützt. An einem Tag schlägt sie die Flüchtlinge, am nächsten bringt sie sie mit Bussen ins Grenzgebiet Kroatien – Österreich. Diese Regierung ist keine des christlichen Erbarmens und Respekts, wie so oft betont, sondern paktiert mit dem Teufel."
    Der Grenzzaun – 175 Kilometer lang in Richtung Serbien, 41 Kilometer an der Grenze zu Kroatien, plus geplanter Verlängerung in Richtung Rumänien – er sorgt für Verstimmung bei den Nachbarn. Denn am Eingang macht Ungarn dicht, am Ausgang in Richtung Österreich schickt die Regierung in Budapest Tausende Flüchtlinge weiter. Eine autistische Politik, die viel Porzellan zerschlägt, meint Gábor Gyulai vom Budapester Helsinki Komitee.
    Alleingänge Budapests könnten Konsequenzen haben
    "Ungarn ist ohnehin schon das schwarze Schaf der EU. Aber auch die Beziehungen zu den Nachbarstaaten kann das empfindlich berühren. Ungarn sieht in dieser Hinsicht Kroatien, Serbien, Slowenien, Rumänien, und sogar Österreich und Deutschland nicht als Partner, sondern sogar als Gegner. Daraus können sich ernste Folgen in der Nachbarschaftspolitik ergeben, etwa in der Wirtschaft - aber es kann sich auch negativ auf die ungarische Minderheit in den Nachbarstaaten auswirken."
    Es könne sein, dass sie die Alleingänge Budapests ausbaden müsse, so Gyulai. Doch es gibt nicht nur den Chor der Kritiker. Applaus bekommt Viktor Orbán vom ehemaligen EU-Kommissar Verheugen, der sagt: Ungarn mache die Drecksarbeit für Europa. Unterstützung kommt auch von der CSU in Deutschland, die auf diesem Weg Kritik an Bundeskanzlerin Merkel üben kann – und von den osteuropäischen Staaten, die sich gegen die Flüchtlings-Quote wehren. Eins ist Viktor Orbán in Europa jedenfalls garantiert, meint der Budapester Außenpolitik-Experte Daniel Bartha: Aufmerksamkeit.
    "Viktor Orbán sieht sich selbst als starken europäischen Führer, der fähig und willens ist, gegen den Mainstream zu schwimmen, sagt er. Er sieht: Er hat Unterstützer. Er sieht, in Europa ist ein Gutteil der öffentlichen Meinung gegen Multikulti und gegen Zuwanderung. In diesem Sinne ist seine Anerkennung– bezogen auf die öffentliche Meinung – gestiegen."