Mittwoch, 24. April 2024

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Kritik an Verbandspräsident Große
Machtkampf im deutschen Eisschnelllauf

Der kommissarische Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft, Matthias Große, entlässt kurz nach seiner Ernennung Bundestrainer Erik Bouwman. Von Athletenseite gibt es Kritik. Großes Lebensgefährtin, die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, hatte sich mit Bouwman überworfen.

Von Tobias Krone | 19.07.2020
Matthias Große beobachtet das Rennen seiner Lebensgefährtin Claudia Pechstein über die 1500 Meter Distanz.
Der kommissarische Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG), Matthias Große, im Jahr 2016. (picture alliance/dpa - Soeren Stache)
Er ist jetzt Präsident, wenn auch nur kommissarisch – und greift als erste Amtshandlung gleich einmal zu einer denkbar drastischen Maßnahme: Matthias Große. Auf einer Pressekonferenz Anfang Juli verkündet er, "dass die Zusammenarbeit mit dem Bundestrainer Erik Bouwman zum 31.7. beendet worden ist."
Nach nur einem Jahr als deutscher Bundestrainer ist der Niederländer Erik Bouwman seinen Job los. Die Begründung: "Ein Bundestrainer, der die Bewerbung eines Präsidentschaftskandidaten als größten Witz in der Sportgeschichte bezeichnet und die erfolgreichste Winterolympionikin als 'zum Kotzen' findet, ist nicht der richtige dafür."
Zur Erläuterung: Es war seine, Matthias Großes Präsidentschaftsbewerbung, die Erik Bouwman als "Witz" bezeichnete. Und die erfolgreiche Winterolympionikin, über die sich Bouwman mit der abfälligen Bemerkung äußerte, sie sei "zum Kotzen" – das ist Claudia Pechstein, mit 48 immer noch in Weltcuprennen auf dem Eis und zudem Matthias Großes Lebensgefährtin. Es gibt also einigen Anlass, persönliche Animositäten hinter dem Rausschmiss zu vermuten.
Die deutsche Eisschnellläuferin Claudia Pechstein und ihr Lebensgefährte Matthias Große (r) sitzen am 25.01.2018 bei einem Pressegespräch auf dem Müggelturm in Berlin.
Die deutsche Eisschnellläuferin Claudia Pechstein und ihr Lebensgefährte Matthias Große. (dpa / Picture Alliance / Nico Tapia)
Einen sportlichen Grund sieht der Aktivensprecher Moritz Geisreiter jedenfalls nicht. Er betont im Interview mit dem Deutschlandfunk, "dass die Athleten hinter ihm stehen und gern mit ihm weitertrainieren würden. Diejenigen, die eben betreut werden. Das ist ganz klar der Eindruck, der entsteht. Es gibt keinen außer Matthias Große und Claudia Pechstein, von dem ich gehört hätte, die sich positiv zu seiner Kündigung geäußert hätten. Keine einzige Stimme hat das befürwortet."
Skepsis unter Athletinnen und Athleten
Erik Bouwman will gegen seine Kündigung klagen. Er selber gibt keine Kommentare zu dem Fall ab. Doch unter den Läuferinnen und Läufern ist man alarmiert. Schon im Winter, als die Bewerbung Großes noch lief, hatten Moritz Geisreiter und der Aktivensprecher der Short-Track-Läufer/innen Leon Kaufmann-Ludwig eine Umfrage initiiert.
"Die Athleten waren fast alle ausdrücklich skeptisch gegenüber seiner Präsidentschaft. Und haben lediglich die Aspekte 'finanzielle Stärkung' und eine gewisse Struktur als Hoffnungspunkte gesehen, wobei diese Hoffnungspunkte wenn dann auch immer gekoppelt waren mit der Forderung, dass sie sich aber bitte nicht in die sportlichen Belange einmischen solle – also Thema Bundestrainer."
Die finanzielle Aussicht wäre gut – allerdings habe Matthias Große den Einstieg eines großen Sponsors daran geknüpft, dass er von den Verbandsmitgliedern auf der ordentlichen Hauptversammlung im September auch gewählt wird. Will da ein noch kommissarischer Präsident den deutschen Eisschnelllauf für seine persönlichen Machtspiele nutzen?
Noch kein Gespräch mit der Athletenvertretung
Der Deutschlandfunk hätte gerne mit Matthias Große darüber gesprochen. Doch die E-Mail mit der Interviewanfrage blieb bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet. Auch mit den Athleten und Athletinnen, die von den Aktivensprechern vertreten werden, habe Große seit seiner Amtsübernahme im Juni nicht gesprochen, sagt Moritz Geisreiter. Per E-Mail habe es zwar eine lose Zusage Großes gegeben, aber keinen konkreten Terminvorschlag. Der Aktivensprecher vermutet, der Präsident versuche die Kommunikation im Verband an sich zu ziehen. Denn, so erzählt Geisreiter, kurz nach der Wahl habe die Sportlerinnen und Sportler eine E-Mail erreicht "mit der Zitat ‚inständigen Bitte‘, dass sie sich doch nicht persönlich mit Journalisten austauschen mögen, sondern Journalistenanfragen gleich weiterleiten mögen an die Pressestelle der DESG."
Doch da die Pressesprecher/innen schon im Juni ihr Engagement beendet haben, lese die Presseanfragen gerade wohl nur einer: der Präsident. Läuferinnen und Läufer befürchteten Konsequenzen für unliebsame Äußerungen. Laut Insiderinformationen habe es eine Angstkultur im Verband auch schon die früheren Jahre über vor 2019 gegeben. Mit den vergangenen Monaten unter dem Bundestrainer Erik Bouwman sei das besser geworden. Nun drohe ein Rückfall. Fraglich ist auch der Verbleib des Sportdirektors Matthias Kulik, der sich in der Vergangenheit auch schon kritisch gegenüber dem Duo Pechstein-Große geäußert hat. Für den Deutschlandfunk war Kulik nicht zu erreichen. Und für Große?
"Zum Thema Sportdirektor kann ich Ihnen noch nichts sagen, weil der Sportdirektor a) in Elternzeit ist und b) es noch nicht für nötig gehalten hat, mit mir zu sprechen. Selbst auf Versuche hin nicht. Machen Sie sich bitte selber ein Bild, um zu denken, wie das ausgeht."
Insider/innen vermuten, dass es schlecht ausgeht für Matthias Kulik und auch er seinen Posten räumen muss – für eine Person, die in der Gunst des kommissarischen Präsidenten steht.