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Künstliche Kniegelenke

Kein Gelenk muss mehr aushalten als das Kniegelenk. Jeder Zweite hat das schon zu spüren bekommen und war wegen Problemen mit dem Knie in ärztlicher Behandlung. Häufige Beschwerden sind eingeschränkte Beweglichkeit und chronische Schmerzen. Oft ist ein künstliches Kniegelenk die letzte Rettung. Rund 80.000 mal wird solch ein Eingriff pro Jahr in Deutschland durchgeführt. Trotzdem versuchen die Ärzte an der Berliner Charité, den Schritt zum künstlichen Ersatz so lange wie möglich herauszuzögern. Mit welchen Methoden, das haben sie letzte Woche demonstriert auf dem 121. Chirurgenkongress in Berlin.

Von Wiiliam Vorsatz |
    Kniegelenke sind raffiniert konstruiert. Damit wir rennen, stemmen und uns bücken können, müssen sie ständig gut geschmiert sein: Fettkörper, Gelenkflüssigkeit, Schleimbeutel und Knorpelgewebe mindern die Reibung. Menisken, Kreuzbänder, Muskeln und Sehnen sorgen für Stabilität. Geschützt wird das Ganze schließlich durch die Kniescheiben. Aber Unfälle und Alterserscheinungen können das reibungslose Zusammenspiel stören. Die Patientin Hildegard Richter hat das fünfte Lebensjahrzehnt überschritten und ist eingeschränkt wie viele ältere Menschen:

    Also wenn ich jetzt länger als ne Stunde laufe, dann kriege ich Knieschmerzen. Oder Treppen rauf und runter laufen. Das ist auch nicht so gut. Also ich sehe immer, dass ich ne Rolltreppe bekomme oder einen Fahrstuhl. Und sonst geht es eigentlich jetzt. Aber wenn’s schlimmer wird, habe ich auch n paar Tabletten, die nehme ich dann ab und zu mal, sonst so kurze Strecken problemlos.

    Die Tabletten lindern allerdings lediglich die Symptome der Patientin, etwa ihre Schmerzen. Ursächlich können sie der Frau nicht helfen. An einem ihrer Kniegelenke hat sie bereits eine Knorpelglättung hinter sich. Dazu werden Unebenheiten im Gelenk einfach abgefräst. Dank sanfterer Operationsmethoden keine große Sache mehr. Fast überlall wird heute die Athroskopie eingesetzt, wörtlich übersetzt: Gelenkspiegelung. Der Chirurg Dr. Max Kääb von der Berliner Charité:

    Athroskopische Chirurgie am Kniegelenk, d. h, Schlüssellochtechnologie, wo man nur noch kleine Schnitte braucht, diese Technik hat sich weiter etabliert, es hat ja eine Verfeinerung der Techniken statt gefunden, man kann am Kniegelenk, wenn man jetzt vom dem Kniegelenkersatz absieht, fast alles minimalinvasiv, d.h. über die Schlüssellochchirurgie machen, dass ist sicherlich ein Fortschritt, große Schnitte entfallen, sondern das wird alles über den Monitor gemacht, die Verweildauer ist erheblich abgekürzt, nach so einer Kniegelenksspiegelung können sie in der Regel nach ein, zwei Tagen nach Hause gehen.

    Minimal statt total gilt auch für Meniskus- operationen. Früher haben die Chirurgen kaputte Minisken komplett entfernt. Inzwischen wissen sie, dass dies nach fünf, zehn oder spätestens 15 Jahren unweigerlich in einer Arthrose endet, das Gelenk wird steif. Deshalb entfernen die Ärzte heute nur noch völlig zerstörtes Gewebe. Den Rest versuchen sie zu nähen oder zu verankern. Bei Komplettverlust gibt es Versuche mit Fremdgewebe von Verstorbenen. Aber es kommt oft zu Abstoßungsreaktionen, außerdem passt der Ersatz selten so genau, wie es für ein gut funktionierendes Gelenk nötig ist. Verschiedene Experten experimentieren auch mit gezüchtetem Gewebe, aber bislang auch das noch ohne großen Erfolg. Weiter sind sie beim Knorpelgewebe.
    In der Knorpelchirurgie z. B. gibt es die Möglichkeiten der Knorpelzelltransplantation, das macht man seit ungefähr 8 Jahren, das war die ersten Jahre noch ziemlich belächelt, hat wenig Anhänger gefunden, jetzt hat sich aber in den letzten Jahren in klinischen Studien gezeigt, das diese Technik sehr gut ist, man muss hier natürlich aufpassen, kommt nicht für jeden Patienten infrage, sondern nur, wenn ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

    Dazu muss körpereigenes Knorpelgewebe vom Patienten entnommen werden. Maximal die Fläche eines halben qcm ist möglich. Das wird dann im Labor in einer komplizierten Prozedur vermehrt. Ein teures Verfahren. Aber die Ärzte an der Charité versuchen alles, um die natürlichen Gelenke zu erhalten. Gegen den Trend. Denn die schweren Operationen sind Routine geworden, werden gut honoriert und die Patienten haben danach erst einmal keine Beschwerden. Die Tücke: nach etwa 15 Jahren ist das künstliche Kniegelenk abgenutzt. Und die verschlissenen Materialien entzünden das umliegende Gewebe. Das Folgegelenk nach einer weiteren Operation hält in der angegriffenen Umgebung nur noch knappe zehn Jahre, ein weiteres etwa fünf. Max Kääb:

    Prothesen, da gibt es sicher auch Weiterentwicklungen, das ist gar keine Frage, aber Prothese sollte ja trotz allem, auch wenn’s sehr gute Möglichkeiten gibt, das sollte immer so eine Endstation sein, es ist nicht die erste Möglichkeit, die wir ins Auge fassen, sondern wir versuchen immer eine Prothese möglichst lange hinauszuzögern.

    Schon im Vorfeld. Beispielsweise durch Ersatz der ausgeleierten Kreuzbänder, um die Gelenke wieder stabil und verschleißarm zu machen. Eine einfache Operation, für die die Chirurgen körpereigene Sehnen nehmen. Wenn aber doch Prothese, dann künftig mit neuen Materialien, die haltbarer sind. Seit einiger Zeit ersetzt festeres hochmolekulares Polyäthylen in den Gelenkpfannen den weicheren Vorläufer, normales Polyätylen, Verschleißteil Nummer eins in den künstlichen Gelenken. Und wo Metall notwendig ist, kann Zirkonium verwendet werden, ein weiches, aber korrosionsbeständiges Element, das allerdings sehr teuer ist. Wie lange die neuen Prothesen dann wirklich halten, wird sich sehr viel später zeigen: nach über einem Jahrzehnt.