"Das eine wäre der Hochmut, wenn der Mensch mit der technischen Erschließung der Schöpfung sich zum alleinigen Herrn dieser Schöpfung machen will, ohne dass er an Kriterien gebunden wäre. Also Stichwort wäre vielleicht eine totale Instrumentalisierung oder Ausbeutung, wie das in den ökologisch ethischen Debatten länger schon diskutiert wird. Und das andere wäre die Trägheit, wenn er zurückschrecken würde vor Möglichkeiten, möglicherweise auch mit biotechnischen Innovationen am Erhalt und Weiterentwicklung der Schöpfung und des Lebens in der Schöpfung mitzuarbeiten, wenn sie denn auch förderlich sein können, sowohl für sein eigenes Leben, aber auch das tierisch-pflanzliche Leben."
Kaum eine moderne wissenschaftlich-technische Entwicklung hat so grundlegende Kontroversen hervorgerufen wie die Gentechnik. Wie tief darf der Mensch in die Natur, erst recht in die menschliche Natur eingreifen? Es gibt keine eindeutige Antwort, wie Jens Ried, evangelischer Theologe an der Universität Marburg, gerade ausführte. Nutzen und Schaden der Gentechnologie müssen von Fall zu Fall geprüft werden.
Die synthetische Biologie, eine noch junge Disziplin, ist eine Fortführung der Gentechnologie. Und vergangene Woche fand in Freiburg sozusagen als Weltpremiere eine Tagung zur Ethik der synthetischen Biologie statt.
Die synthetische Biologie versucht nicht länger nur, einzelne Gene eines Organismus auszutauschen, sondern biologische Systeme zu erschaffen, die in der Natur nicht vorkommen. Neuschöpfungen also - wenn auch zunächst nur mikroskopisch kleine, einzellige Gebilde - die dann für die Menschheit arbeiten sollen; Mikroorganismen zum Beispiel, die zur Produktion von Arzneimitteln entwickelt werden.
Auf zwei Wegen versuchen Forscher, dieses Ziel zu erreichen. Einerseits wollen sie das Genom, also das Erbgut existierender Bakterien, so weit minimieren, dass nur noch deren Stoffwechsel- und Fortpflanzungsfunktionen übrig bleiben. Sodann soll das Bakterium sozusagen eine neue Software bekommen, indem ihm neue Genomsequenzen implantiert werden.
Andere Forscher wiederum wollen Leben ganz neu erschaffen. Sie arbeiten am Aufbau einer künstlichen Zelle, die vom Menschen erdachte Baupläne enthalten soll. Bislang freilich - das muss man dazu sagen - ist dieses Experiment nicht gelungen. Doktor Joachim Boldt vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg:
"Man kann zwei Forschungsrichtungen unterscheiden, die diese beiden Aspekte abdecken. Es gibt den Versuch, von Grund auf einzellige Lebensformen zu erschaffen, aus Grundbausteinen komplexeren chemischen Molekülen, die aber selbst noch nicht lebendig sind. Das andere große Feld geht von oben nach unten vor: Man nimmt sich ein existierendes Bakterium und versucht dann, dessen Genom so zu minimieren, dass nur noch die zum Überleben notwendigen Funktionen bestehen bleiben; und hat dann ein Lebewesen, einen Organismus, der als Basis dienen kann für spezifisch ausgeformte Mechanismen, wenn man entsprechende Gensequenzen wieder implantiert, in diesen neuen Organismus, der einem dann genau ermöglicht, zielgenau definierte Lebensformen zu erschaffen."
Noch betreibt man vor allem Grundlagenforschung. Aber es mangelt nicht an Visionen, wie man die Neuschöpfungen aus dem Reagenzglas nutzen könnte. Sie sollen die Menschheit von Plagen befreien, die sie bisher nicht beherrschen kann. Anwendungsfelder im Bereich der Pharmazie, der Medizin wie der alternativen Energiegewinnung sind angedacht. Die Industrie ist interessiert und fördert die Forschung großzügig.
"Die Anwendungsfelder, das sind bisher Visionen. Es gibt ein Beispiel, das viel zitiert wird, da geht es darum, dass man ein Bakterium hat, was ein bestimmtes Arzneimittel produzieren soll, beziehungsweise die Vorläufersubstanz für ein Arzneimittel bei Malaria. Da ist man sich aber auch unter den Wissenschaftlern nicht ganz einig, soll man das schon zur synthetischen Biologie zählen oder noch zur klassischen Gentechnik. Die Anwendungsfelder, über die man spekuliert, sind aber ganz ähnlich wie bei der Gentechnik, nämlich zum Beispiel die Produktion von Energieträgern; also Ethanol oder Wasserstoff, um unsere Abhängigkeit vom Öl zu verringern. Es geht um die Produktion von Arzneimitteln, die möglicherweise sehr viel effektiver erfolgen kann, als das bisher der Fall ist. Es geht auch um die Ideen, aber das ist ein bisschen Science-Fiction, dass man Viren so verändert mit Biosensoren ausstattet, dass sie im menschlichen Körper Krebszellen aufspüren können, oder Zellen, die anfangen, sich zu Krebszellen zu entwickeln, um dann dort schon ganz gezielt bestimmte Wirkstoffe freizusetzen, die diese Entwicklung verhindern können. Auch darüber wird spekuliert, ob so etwas möglich sein könnte."
Der Philosoph Immanuel Kant hielt vor über 200 Jahren für ausgeschlossen, dass es je einen "Newton des Grashalms" geben könne; einen Forscher also, der zur Konstruktion von Leben fähig wäre. Doch mit der synthetischen Biologie rückt "Life from Scratch", das "Leben vom Reißbrett” in die Nähe des Machbaren. Biologen, Chemiker und Ingenieure arbeiten am "Leben aus dem Labor". An einem - wenn auch primitiven - Leben, das nicht im Laufe der Evolution aus anderen Lebewesen entstanden ist. Professor Doktor Giovanni Maio, Bioethiker und Mitveranstalter der Freiburger Tagung:
"Ich denke, das Besondere der synthetischen Biologie ist ihre Zielsetzung. Sie benutzt zwar die Mittel der Gentechnik. Aber sie hat die Zielsetzung, sich komplett von der Natur zu lösen, und nicht nur die natürlichen Vorgaben zu verändern und komplett neue biologische Systeme zu kreieren. Und das macht das Innovative der synthetischen Biologie aus, also die Neuerfindung der Natur sozusagen. Elemente zu schaffen, die es bisher in der Natur in dieser Form nicht gab, sondern allein in der menschlichen Vorstellung hergestellt werden."
Was aber heißt das für unser Verständnis vom Leben, wenn Leben neu designed, neu gestaltet werden kann? Wie definiert die synthetische Biologie überhaupt Leben, fragten die Philosophen auf der Freiburger Tagung? Es ist ausgestattet, fassen Biologen bündig zusammen, mit der Fähigkeit zur Reproduktion, der Fähigkeit, sich selbst zu erhalten sowie der Evolutionsfähigkeit - will heißen: sich von einer Generation zur nächsten verändern zu können.
Auch wenn man zugesteht, dass methodische Reduktionen eine Voraussetzung für naturwissenschaftliches Arbeiten sind, warnen Bioethiker, dass mit solchen Definitionen eine Verdinglichung des Lebens betrieben werde. Und die suggeriere zugleich dessen Beherrschbarkeit. Die jedem Leben innewohnende Fähigkeit, sich in Wechselwirkung mit anderen Organismen unvorhersehbar zu verändern, werde hierbei tendenziell unterschätzt. Und damit werde wiederum eine Kontrollierbarkeit von Lebensprozessen unterstellt, die so eben nicht gegeben ist. Doktor Oliver Müller vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin in Freiburg:
"Das Problem bei der synthetischen Biologie ist auch, dass eine ganz bestimmte Definition von Leben verwendet und unterstützt wird, eine Definition von Leben, die an Minimalaspekten ausgerichtet ist, die sehr an Versuchsanordnungen, an Laborbedingungen erinnert. Und das wird sehr schnell dann auch von führenden Wissenschaftlern als Creation of Life bezeichnet, und hier ist es tatsächlich so, dass der Lebensbegriff wegkommt von unseren traditionellen Vorstellungen, hin zu einem Lebensbegriff, der relativ funktional und technizistisch gebraucht wird. Das heißt, die Bedeutungsvielfalt von dem, was wir unter Leben verstehen, wird durch den sehr reduktiven Blick, wie Leben verwendet wird, in der Biologie, ausgespart."
Aufgrund der starken Vernetzung der synthetischen Biologie mit dem Ingenieurwesen und der Informatik ist, ihrem Vokabular entsprechend, technisch. Da dienen entsprechend präparierte Mikroorganismen als "Chassis" für in sie einzubauende "Biomodule", sogenannte "Biobricks". Standardisierte Biobausteine also - DNA-Sequenzen - die sich besonders einfach miteinander kombinieren lassen. In studentischen Wettbewerben wird dazu aufgerufen, mithilfe solcher "Biobricks" Mikroorganismen mit Eigenschaften auszustatten, die besonders "ungewöhnlich" und "cool" sind; Bakterien zum Beispiel, die nach Banane oder Minze riechen. Und solche Neuschöpfungen werden dann gern als "Living Machines" bezeichnet. Damit aber, so die Analyse des Freiburger Philosophen Doktor Joachim Boldt, werde die Grenze zwischen Lebewesen und Dingen verwischt. Und dies könne möglicherweise weitreichende Folgen für die Einschätzung und den Umgang mit Lebendigem haben.
"Dass mit einer Begrifflichkeit operiert wird, die zwei Bereiche zusammenbringt, nämlich das Lebendige und das Maschinelle, die wir auch im Bereich der synthetischen Biologie mit allen Produkten, die wir da absehbar kennen, doch sehr gut auseinanderhalten können. Und wo es irreführend ist, wenn man diese beiden Bereiche so in einem Begriff zusammenbringt und davon redet, dass man es mit einer Living Machine zu tun hätte, weil man damit suggeriert, dass diese lebenden Organismen, die man da vor sich hat, rein maschinell erklärbar sind und in ihrem Verhalten eventuell auch vorhersagbar sind. Und die Biologen wissen ja, dass das nicht stimmt."
Wird sich also das menschliche Selbstverständnis verändern, wenn der Mensch die Natur nicht mehr nur manipuliert, um sie für sich nutzbar zu machen, sondern seine eigene Welt kreiert? Wandelt sich der "Homo Faber", also der Mensch als Techniker, zum "Homo Creator", zum Schöpfer von Leben, wie Oliver Müller in seinem Vortrag ausführte?
"Wenn man sagt, der Homo Faber will die Natur beherrschen, um die Natur für uns nutzbar zu machen, und da wahlweise was Gutes oder einfach was Marktgängiges zu entwickeln, hat die synthetische Biologie in ihrem Menschenbild als Grundlage, dass es tatsächlich möglich ist, neue Lebensformen zu schaffen, zu kreieren. Also der Aspekt des Schöpferischen spielt eine weitaus größere Rolle, weil dahinter eigentlich das Menschenbild steht, dass der Mensch quasi auch Schöpfer von biologischen Entitäten sein kann."
Der Marburger Theologe Jens Ried wandte dagegen ein, aus theologischer Perspektive sei und bleibe der Mensch doch wohl eher ein "Homo Plagiator". Er schaffe ja keineswegs etwas radikal Neues. Denn er beziehe sich in seinen Kreationen stets zurück auf bereits vorgefundene Moleküle und Strukturen, die er lediglich überarbeite oder neu kombiniere.
"Ich würde von meinem Standpunkt eher sagen, der Mensch eher als ein Plagiator als ein Kreator. Aus Nichts Etwas schaffen, das ist Etwas, was dem Menschen nicht möglich ist. Er kann nur mit dem arbeiten, was er schon vorfindet, sei es als Materie schon vorfindet oder sei es als Idee. Er kann schon lebende Organismen erzeugen, das kann man ja gar nicht abstreiten, das ist ja das, worauf die synthetische Biologie hinaus will, und was, denke ich, auch irgendwann auf die eine oder andere Weise gelingen wird. Nur, was er da macht, ist nicht neu. Die Zelle, die folgt ja einem Plan, den es gibt, das ist ja der Natur oder der Schöpfung, wie wir sagen würden, abgeschaut."
Jens Ried hebt deshalb vor allem auch die nützlichen Aspekte der synthetischen Biologie hervor. Ein Problem sieht er allerdings in der Selbstdarstellung gewisser Forscher, wenn sie zum Beispiel hochmütig behaupten, es sei an der Zeit, den 3,6 Milliarden alten genetischen Code neu zu schreiben. Auch durch mediale Berichterstattungen, die Designermikroben als "Frankensteins Kreaturen" bezeichnen, komme es zu erheblichen Fehleinschätzungen, sodass Teile der Öffentlichkeit verunsichert reagieren.
"Eine Gefahr, die nicht so greifbar [ist], die ich aber für wichtig halte, ist, dass die synthetische Biologie, wenn sie falsch verstanden wird, falsche Assoziationen weckt. Wir haben jetzt auf dieser Tagung schon öfter über das frankensteinische Monster gesprochen. Das wäre …, denke ich, ist ein großes Problem, dass es nicht darum geht, irgendwelche furchterregenden Kreaturen zu erwecken. Sondern dass es tatsächlich darum geht, Mikroorganismen, wie wir sie ja auch in Kläranlagen zum Beispiel zur Reinigung des Wassers benutzen, eben synthetisch zu erzeugen, damit sie andere Dinge erzeugen. Oder ein anderes Beispiel, die Insulin erzeugenden Bakterien, da würde ja niemand großartige ethische Bedenken gegen anmelden."
Inwieweit die synthetische Biologie also wirklich unser Menschenbild und unseren Blick auf die Natur verändern wird, bleibt umstritten. Eine weit fassbarere Herausforderung allerdings geht von Sicherheitsfragen aus, die sich mit den neuen Technologien stellen. Sicherheitsfragen, die sich in der englischen Sprache unterscheiden lassen als Biosafety einerseits und Biosecurity auf der anderen Seite. Joachim Boldt:
"Fragen der Biosecurity, dabei geht es um Fragen der Gefahren eines intendierten, bewussten Missbrauchs. Also mit anderen Worten, Bioterrorismus wäre so ein Beispiel. Und es hat dazu auch schon Versuche und Experimente gegeben, die zeigten, dass mit den Mitteln der synthetischen Biologie es möglich ist, zum Beispiel pathogene Viren nachzubauen. Das war unter kontrollierten Bedingungen. Diese Experimente haben gezeigt, dass es möglich ist für jemanden, der da sinistere Absichten hat, mit den Mitteln der synthetischen Biologie solche Organismen herzustellen."
Biosafety wiederum bezeichnet den Komplex unvorhersehbarer Risiken und Nebenwirkungen, die verursacht werden könnten, wenn Designerlebewesen mit der natürlichen Umwelt in Kontakt kämen. Welche Schäden könnte ein künstlich hergestellter Organismus bewirken, wenn er zum Beispiel aus dem Labor entweichen würde? Für solche Fälle planen Forscher, die Selbstzerstörung des Organismus in sein Programm mit einzubauen. Aber was passierte zum Beispiel, wenn bei solchen "selbstmörderischen Bakterien" ihre Mutationsfähigkeit, als eine Eigenschaft des Lebendigen, deutlich würde? Wenn also einige der Bakterien sich spontan verändern würden, deshalb länger lebten, sich durchsetzten und den programmierten Selbstmord zunichtemachten? Giovanni Maio, Direktor des Freiburger Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin:
"Ab dem Moment, wo man neues Leben kreiert haben sollte, wird es natürlich ein Widerspruch in sich sein, wenn man sagt, es ist zwar neues Leben, aber wir haben dieses Leben vollkommen unter Kontrolle, weil sich ja Leben gerade dadurch auszeichnet, dass es aus sich heraus autonom weiterentwickelt und eine Veränderbarkeit in sich bereits trägt und eine Entwicklungsfähigkeit in sich trägt und von daher auch den Aspekt der Spontaneität in sich trägt. Also man kann nicht sagen, wir schaffen jetzt neues Leben und das ist unter Kontrolle. Sondern dann müssten wir sagen, wenn wir tatsächlich neues Leben schaffen, dann können wir nicht genau sagen, wie sich dieses Leben entwickeln wird, wie es dann auch interagieren wird mit anderen Systemen. Und deswegen ist da die Risikobewertung eine sehr schwierig."
Kaum eine moderne wissenschaftlich-technische Entwicklung hat so grundlegende Kontroversen hervorgerufen wie die Gentechnik. Wie tief darf der Mensch in die Natur, erst recht in die menschliche Natur eingreifen? Es gibt keine eindeutige Antwort, wie Jens Ried, evangelischer Theologe an der Universität Marburg, gerade ausführte. Nutzen und Schaden der Gentechnologie müssen von Fall zu Fall geprüft werden.
Die synthetische Biologie, eine noch junge Disziplin, ist eine Fortführung der Gentechnologie. Und vergangene Woche fand in Freiburg sozusagen als Weltpremiere eine Tagung zur Ethik der synthetischen Biologie statt.
Die synthetische Biologie versucht nicht länger nur, einzelne Gene eines Organismus auszutauschen, sondern biologische Systeme zu erschaffen, die in der Natur nicht vorkommen. Neuschöpfungen also - wenn auch zunächst nur mikroskopisch kleine, einzellige Gebilde - die dann für die Menschheit arbeiten sollen; Mikroorganismen zum Beispiel, die zur Produktion von Arzneimitteln entwickelt werden.
Auf zwei Wegen versuchen Forscher, dieses Ziel zu erreichen. Einerseits wollen sie das Genom, also das Erbgut existierender Bakterien, so weit minimieren, dass nur noch deren Stoffwechsel- und Fortpflanzungsfunktionen übrig bleiben. Sodann soll das Bakterium sozusagen eine neue Software bekommen, indem ihm neue Genomsequenzen implantiert werden.
Andere Forscher wiederum wollen Leben ganz neu erschaffen. Sie arbeiten am Aufbau einer künstlichen Zelle, die vom Menschen erdachte Baupläne enthalten soll. Bislang freilich - das muss man dazu sagen - ist dieses Experiment nicht gelungen. Doktor Joachim Boldt vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg:
"Man kann zwei Forschungsrichtungen unterscheiden, die diese beiden Aspekte abdecken. Es gibt den Versuch, von Grund auf einzellige Lebensformen zu erschaffen, aus Grundbausteinen komplexeren chemischen Molekülen, die aber selbst noch nicht lebendig sind. Das andere große Feld geht von oben nach unten vor: Man nimmt sich ein existierendes Bakterium und versucht dann, dessen Genom so zu minimieren, dass nur noch die zum Überleben notwendigen Funktionen bestehen bleiben; und hat dann ein Lebewesen, einen Organismus, der als Basis dienen kann für spezifisch ausgeformte Mechanismen, wenn man entsprechende Gensequenzen wieder implantiert, in diesen neuen Organismus, der einem dann genau ermöglicht, zielgenau definierte Lebensformen zu erschaffen."
Noch betreibt man vor allem Grundlagenforschung. Aber es mangelt nicht an Visionen, wie man die Neuschöpfungen aus dem Reagenzglas nutzen könnte. Sie sollen die Menschheit von Plagen befreien, die sie bisher nicht beherrschen kann. Anwendungsfelder im Bereich der Pharmazie, der Medizin wie der alternativen Energiegewinnung sind angedacht. Die Industrie ist interessiert und fördert die Forschung großzügig.
"Die Anwendungsfelder, das sind bisher Visionen. Es gibt ein Beispiel, das viel zitiert wird, da geht es darum, dass man ein Bakterium hat, was ein bestimmtes Arzneimittel produzieren soll, beziehungsweise die Vorläufersubstanz für ein Arzneimittel bei Malaria. Da ist man sich aber auch unter den Wissenschaftlern nicht ganz einig, soll man das schon zur synthetischen Biologie zählen oder noch zur klassischen Gentechnik. Die Anwendungsfelder, über die man spekuliert, sind aber ganz ähnlich wie bei der Gentechnik, nämlich zum Beispiel die Produktion von Energieträgern; also Ethanol oder Wasserstoff, um unsere Abhängigkeit vom Öl zu verringern. Es geht um die Produktion von Arzneimitteln, die möglicherweise sehr viel effektiver erfolgen kann, als das bisher der Fall ist. Es geht auch um die Ideen, aber das ist ein bisschen Science-Fiction, dass man Viren so verändert mit Biosensoren ausstattet, dass sie im menschlichen Körper Krebszellen aufspüren können, oder Zellen, die anfangen, sich zu Krebszellen zu entwickeln, um dann dort schon ganz gezielt bestimmte Wirkstoffe freizusetzen, die diese Entwicklung verhindern können. Auch darüber wird spekuliert, ob so etwas möglich sein könnte."
Der Philosoph Immanuel Kant hielt vor über 200 Jahren für ausgeschlossen, dass es je einen "Newton des Grashalms" geben könne; einen Forscher also, der zur Konstruktion von Leben fähig wäre. Doch mit der synthetischen Biologie rückt "Life from Scratch", das "Leben vom Reißbrett” in die Nähe des Machbaren. Biologen, Chemiker und Ingenieure arbeiten am "Leben aus dem Labor". An einem - wenn auch primitiven - Leben, das nicht im Laufe der Evolution aus anderen Lebewesen entstanden ist. Professor Doktor Giovanni Maio, Bioethiker und Mitveranstalter der Freiburger Tagung:
"Ich denke, das Besondere der synthetischen Biologie ist ihre Zielsetzung. Sie benutzt zwar die Mittel der Gentechnik. Aber sie hat die Zielsetzung, sich komplett von der Natur zu lösen, und nicht nur die natürlichen Vorgaben zu verändern und komplett neue biologische Systeme zu kreieren. Und das macht das Innovative der synthetischen Biologie aus, also die Neuerfindung der Natur sozusagen. Elemente zu schaffen, die es bisher in der Natur in dieser Form nicht gab, sondern allein in der menschlichen Vorstellung hergestellt werden."
Was aber heißt das für unser Verständnis vom Leben, wenn Leben neu designed, neu gestaltet werden kann? Wie definiert die synthetische Biologie überhaupt Leben, fragten die Philosophen auf der Freiburger Tagung? Es ist ausgestattet, fassen Biologen bündig zusammen, mit der Fähigkeit zur Reproduktion, der Fähigkeit, sich selbst zu erhalten sowie der Evolutionsfähigkeit - will heißen: sich von einer Generation zur nächsten verändern zu können.
Auch wenn man zugesteht, dass methodische Reduktionen eine Voraussetzung für naturwissenschaftliches Arbeiten sind, warnen Bioethiker, dass mit solchen Definitionen eine Verdinglichung des Lebens betrieben werde. Und die suggeriere zugleich dessen Beherrschbarkeit. Die jedem Leben innewohnende Fähigkeit, sich in Wechselwirkung mit anderen Organismen unvorhersehbar zu verändern, werde hierbei tendenziell unterschätzt. Und damit werde wiederum eine Kontrollierbarkeit von Lebensprozessen unterstellt, die so eben nicht gegeben ist. Doktor Oliver Müller vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin in Freiburg:
"Das Problem bei der synthetischen Biologie ist auch, dass eine ganz bestimmte Definition von Leben verwendet und unterstützt wird, eine Definition von Leben, die an Minimalaspekten ausgerichtet ist, die sehr an Versuchsanordnungen, an Laborbedingungen erinnert. Und das wird sehr schnell dann auch von führenden Wissenschaftlern als Creation of Life bezeichnet, und hier ist es tatsächlich so, dass der Lebensbegriff wegkommt von unseren traditionellen Vorstellungen, hin zu einem Lebensbegriff, der relativ funktional und technizistisch gebraucht wird. Das heißt, die Bedeutungsvielfalt von dem, was wir unter Leben verstehen, wird durch den sehr reduktiven Blick, wie Leben verwendet wird, in der Biologie, ausgespart."
Aufgrund der starken Vernetzung der synthetischen Biologie mit dem Ingenieurwesen und der Informatik ist, ihrem Vokabular entsprechend, technisch. Da dienen entsprechend präparierte Mikroorganismen als "Chassis" für in sie einzubauende "Biomodule", sogenannte "Biobricks". Standardisierte Biobausteine also - DNA-Sequenzen - die sich besonders einfach miteinander kombinieren lassen. In studentischen Wettbewerben wird dazu aufgerufen, mithilfe solcher "Biobricks" Mikroorganismen mit Eigenschaften auszustatten, die besonders "ungewöhnlich" und "cool" sind; Bakterien zum Beispiel, die nach Banane oder Minze riechen. Und solche Neuschöpfungen werden dann gern als "Living Machines" bezeichnet. Damit aber, so die Analyse des Freiburger Philosophen Doktor Joachim Boldt, werde die Grenze zwischen Lebewesen und Dingen verwischt. Und dies könne möglicherweise weitreichende Folgen für die Einschätzung und den Umgang mit Lebendigem haben.
"Dass mit einer Begrifflichkeit operiert wird, die zwei Bereiche zusammenbringt, nämlich das Lebendige und das Maschinelle, die wir auch im Bereich der synthetischen Biologie mit allen Produkten, die wir da absehbar kennen, doch sehr gut auseinanderhalten können. Und wo es irreführend ist, wenn man diese beiden Bereiche so in einem Begriff zusammenbringt und davon redet, dass man es mit einer Living Machine zu tun hätte, weil man damit suggeriert, dass diese lebenden Organismen, die man da vor sich hat, rein maschinell erklärbar sind und in ihrem Verhalten eventuell auch vorhersagbar sind. Und die Biologen wissen ja, dass das nicht stimmt."
Wird sich also das menschliche Selbstverständnis verändern, wenn der Mensch die Natur nicht mehr nur manipuliert, um sie für sich nutzbar zu machen, sondern seine eigene Welt kreiert? Wandelt sich der "Homo Faber", also der Mensch als Techniker, zum "Homo Creator", zum Schöpfer von Leben, wie Oliver Müller in seinem Vortrag ausführte?
"Wenn man sagt, der Homo Faber will die Natur beherrschen, um die Natur für uns nutzbar zu machen, und da wahlweise was Gutes oder einfach was Marktgängiges zu entwickeln, hat die synthetische Biologie in ihrem Menschenbild als Grundlage, dass es tatsächlich möglich ist, neue Lebensformen zu schaffen, zu kreieren. Also der Aspekt des Schöpferischen spielt eine weitaus größere Rolle, weil dahinter eigentlich das Menschenbild steht, dass der Mensch quasi auch Schöpfer von biologischen Entitäten sein kann."
Der Marburger Theologe Jens Ried wandte dagegen ein, aus theologischer Perspektive sei und bleibe der Mensch doch wohl eher ein "Homo Plagiator". Er schaffe ja keineswegs etwas radikal Neues. Denn er beziehe sich in seinen Kreationen stets zurück auf bereits vorgefundene Moleküle und Strukturen, die er lediglich überarbeite oder neu kombiniere.
"Ich würde von meinem Standpunkt eher sagen, der Mensch eher als ein Plagiator als ein Kreator. Aus Nichts Etwas schaffen, das ist Etwas, was dem Menschen nicht möglich ist. Er kann nur mit dem arbeiten, was er schon vorfindet, sei es als Materie schon vorfindet oder sei es als Idee. Er kann schon lebende Organismen erzeugen, das kann man ja gar nicht abstreiten, das ist ja das, worauf die synthetische Biologie hinaus will, und was, denke ich, auch irgendwann auf die eine oder andere Weise gelingen wird. Nur, was er da macht, ist nicht neu. Die Zelle, die folgt ja einem Plan, den es gibt, das ist ja der Natur oder der Schöpfung, wie wir sagen würden, abgeschaut."
Jens Ried hebt deshalb vor allem auch die nützlichen Aspekte der synthetischen Biologie hervor. Ein Problem sieht er allerdings in der Selbstdarstellung gewisser Forscher, wenn sie zum Beispiel hochmütig behaupten, es sei an der Zeit, den 3,6 Milliarden alten genetischen Code neu zu schreiben. Auch durch mediale Berichterstattungen, die Designermikroben als "Frankensteins Kreaturen" bezeichnen, komme es zu erheblichen Fehleinschätzungen, sodass Teile der Öffentlichkeit verunsichert reagieren.
"Eine Gefahr, die nicht so greifbar [ist], die ich aber für wichtig halte, ist, dass die synthetische Biologie, wenn sie falsch verstanden wird, falsche Assoziationen weckt. Wir haben jetzt auf dieser Tagung schon öfter über das frankensteinische Monster gesprochen. Das wäre …, denke ich, ist ein großes Problem, dass es nicht darum geht, irgendwelche furchterregenden Kreaturen zu erwecken. Sondern dass es tatsächlich darum geht, Mikroorganismen, wie wir sie ja auch in Kläranlagen zum Beispiel zur Reinigung des Wassers benutzen, eben synthetisch zu erzeugen, damit sie andere Dinge erzeugen. Oder ein anderes Beispiel, die Insulin erzeugenden Bakterien, da würde ja niemand großartige ethische Bedenken gegen anmelden."
Inwieweit die synthetische Biologie also wirklich unser Menschenbild und unseren Blick auf die Natur verändern wird, bleibt umstritten. Eine weit fassbarere Herausforderung allerdings geht von Sicherheitsfragen aus, die sich mit den neuen Technologien stellen. Sicherheitsfragen, die sich in der englischen Sprache unterscheiden lassen als Biosafety einerseits und Biosecurity auf der anderen Seite. Joachim Boldt:
"Fragen der Biosecurity, dabei geht es um Fragen der Gefahren eines intendierten, bewussten Missbrauchs. Also mit anderen Worten, Bioterrorismus wäre so ein Beispiel. Und es hat dazu auch schon Versuche und Experimente gegeben, die zeigten, dass mit den Mitteln der synthetischen Biologie es möglich ist, zum Beispiel pathogene Viren nachzubauen. Das war unter kontrollierten Bedingungen. Diese Experimente haben gezeigt, dass es möglich ist für jemanden, der da sinistere Absichten hat, mit den Mitteln der synthetischen Biologie solche Organismen herzustellen."
Biosafety wiederum bezeichnet den Komplex unvorhersehbarer Risiken und Nebenwirkungen, die verursacht werden könnten, wenn Designerlebewesen mit der natürlichen Umwelt in Kontakt kämen. Welche Schäden könnte ein künstlich hergestellter Organismus bewirken, wenn er zum Beispiel aus dem Labor entweichen würde? Für solche Fälle planen Forscher, die Selbstzerstörung des Organismus in sein Programm mit einzubauen. Aber was passierte zum Beispiel, wenn bei solchen "selbstmörderischen Bakterien" ihre Mutationsfähigkeit, als eine Eigenschaft des Lebendigen, deutlich würde? Wenn also einige der Bakterien sich spontan verändern würden, deshalb länger lebten, sich durchsetzten und den programmierten Selbstmord zunichtemachten? Giovanni Maio, Direktor des Freiburger Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin:
"Ab dem Moment, wo man neues Leben kreiert haben sollte, wird es natürlich ein Widerspruch in sich sein, wenn man sagt, es ist zwar neues Leben, aber wir haben dieses Leben vollkommen unter Kontrolle, weil sich ja Leben gerade dadurch auszeichnet, dass es aus sich heraus autonom weiterentwickelt und eine Veränderbarkeit in sich bereits trägt und eine Entwicklungsfähigkeit in sich trägt und von daher auch den Aspekt der Spontaneität in sich trägt. Also man kann nicht sagen, wir schaffen jetzt neues Leben und das ist unter Kontrolle. Sondern dann müssten wir sagen, wenn wir tatsächlich neues Leben schaffen, dann können wir nicht genau sagen, wie sich dieses Leben entwickeln wird, wie es dann auch interagieren wird mit anderen Systemen. Und deswegen ist da die Risikobewertung eine sehr schwierig."