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Kultur aus dem Kloster

Geisteswissenschaftliche Forschung konzentriert sich bislang vor allem auf Individuen, der "Ort" an sich indes wird wenig beleuchtet. Nicht so bei einem zweitägigen Symposium des Forschungszentrums "Musik und Gender", das sich dem Kloster" als Ort kulturellen Handelns widmete.

Von Eva-Maria Götz |
    Dieses geistliche Lied stammt aus dem Liederbuch des Zisterzienserinnenklosters Wienhausen in Norddeutschland und datiert vom Ende des 14. Jahrhunderts. Es wurde nicht nur von Nonnen gesungen, es wurde höchstwahrscheinlich auch von einer Frau komponiert. Denn hinter Klostermauern war möglich, was außerhalb dieses Raumes nicht denkbar war: Frauen lebten und arbeiteten als Künstlerinnen.

    "Da gibt es eben diese wunderbaren Phasen, wo es regelrechte Talentexplosionen gibt von Frauen, die in Klöstern komponieren, das viele Klöster vor allem mit Frauen aus Patrizierfamilien richtig zu Orten der Musik wurden. Sie haben auch Handschriften gemalt, sie haben Teppiche gewebt, sie haben Weißstickereien gemacht, sie haben geschrieben. Es sind alle möglichen Formen denkbar."

    Sagt Susanne Rode-Breymann, Professorin für Musikwissenschaften und Leiterin des Forschungszentrums Musik und Gender in Hannover. Viel zu oft, so moniert sie, würde in der Wissenschaft ausgeblendet, welchen Einfluss Frauen auf das Entstehen von Kunst gehabt hätten:

    "Man kann sich eigentlich so ein inneres Bild vorstellen, man würde beispielsweise aus einem Konzertsaal alle Frauen schwarz malen. Also wir haben ja ganz viele Situationen, wo Musik aufgeführt wird, ob im Konzertsaal, ob in der Kirche, wo Frauen immer dabei waren. Nicht unbedingt im dem genial-kreativen Sinne wie Männer, aber eben tragend, fördernd, zuhörend, Kinder erziehend, Kinder heranführend, und das ist eben etwas, was kulturelle Praxis bedeutet, dass ich eben tätig bin und mich beteilige an Kultur."

    Bis zur Reformation verbrachte rund ein Drittel aller Töchter aus Adels- und Patrizierfamilien ihr Leben in einem Kloster. Zeit also, sich von der Vorstellung der Nonne als fremdbestimmten Opfertyp zu verabschieden, wie sie vor allem im letzten Jahrhundert in Filmen und Romanen dargestellt wurde, meint Professor Linda Maria Koldau von der Universität Frankfurt:

    "Grundsätzlich bietet das Kloster einen großen Freiraum, weil die Frauen da Möglichkeiten hatten und Entfaltungsspielräume, die ihnen in der Welt einfach verwehrt waren. Und ich denke, natürlich war das zunächst mal ein riesiger Schock, wenn so ein Mädchen, zehn Jahre alt oder noch jünger, aus seiner Familie herausgerissen wurde und in ein Kloster gebracht wurde. Bis man sich daran gewöhnt hat. Dann wurde es einfach eine Lebensform, die man als gegeben hingenommen hat, und ich denke, wo die sich auch so nach und nach bewusst geworden sind, was die an diesem Leben haben."

    Gesungen und musiziert wurde im Kloster den ganzen Tag und oft noch in der Nacht, sagt Linda Maria Koldau

    "Das was jetzt erst mal institutionalisiert ist, dass ist die Liturgie, also der gottesdienstliche Gesang. Das kann bis zu acht Stunden am Tag gehen. Dann ist im Hintergrund Musikunterricht, denn die Nonnen und Novizinnen müssen ja lernen, wie das zu singen ist. Das ist Unterricht in Theorie und Gesang und da haben wir ja das Besondere, dass Frauen das selbst unterrichten, also etwas, was es außerhalb in der Welt nicht gibt. Dann gibt es den privaten, also nicht gottesdienstlichen Bereich. Viele Lieder mit Kehrversen weisen darauf hin, dass das Lieder aus dem Arbeitskontext waren, also wenn die da saßen und Handarbeiten gemacht haben. Dann die persönliche private Andacht in der eigenen Zelle und schließlich kommt der Bereich der Instrumentalmusik."

    Und nicht nur als Lehrerinnen waren die Frauen dabei aktiv.

    "Es gibt ja bestimmte Ämter in der Klosterstruktur und ein ganz festes Amt, dass schon von frühester Zeit vorkommt, ist die Cantrix. Die hat dann ihre Assistentin, die Susentrix, die müssen sich aufteilen, weil ja manchmal antiphonal gesungen wird, also die eine leitet die eine Gruppe an, die andere die andere Gruppe. Das ist etwas, was wir seit dem Mittelalter durchgängig haben. Und im 17. Jahrhundert kommt dieser große Umschwung, der "stile concertante", der "konzertierende Stil" erobert von Italien her rasend schnell Europa, dadurch differenziert sich das liturgische Musikleben. Dann steht der Cantrix eine Kapellmeisterin zur Seite, das ist die Frau, die ist für die Figuralmusik, für die mehrstimmige Musik und das Orchester."

    Viele Klöster wurden nach heutigen Begriffen fast etwas wie Eliteschulen für musikalisch Hochbegabte, die vor Eintritt in den Orden eine Aufnahmeprüfung machen mussten und dann gezielt an der Geige, einem Blasinstrument oder im Gesang ausgebildet wurde. Für Kontemplation blieb da wenig Zeit. Linda Maria Koldau:

    "Es gibt wunderbare Quellen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, also einen ganz bösen Bericht einer alten Mater im Kloster Enzigkofen, die da wirklich mit dem Finger genau auf die Missstände weist und sagt, also die da, die wollen nur noch figural im Gottesdienst singen und die singen nur, weil so viele Leute da sind. Aber wenn dann anschließend das private Chorgebet kommt, dann behaupten sie, sie sind zu müde und sie können nicht mehr, aber eben haben sie noch Waldhorn und Trompete geblasen."

    Dass sich solche Hochkultur nur in relativen Friedenzeiten und in solchen Klöstern entfalten konnte, die wohlhabend waren, machte Barbara Eichner in ihrem Vortrag deutlich. Außerdem mussten sich die Frauen jederzeit ihren Freiraum innerhalb der kirchlichen Hierarchien erkämpfen. Mit Spottversen und Karikaturen reagierten sie heimlich auf die tägliche Konfrontation mit höhergestellten Männern. Während in Klosterschulen gut ausgebildete Mönche auch außerhalb Klostermauern Karriere machen konnten, blieb das Wirken der Nonnen auf den enge Umfeld beschränkt. Doch ihre Werke, wie sie zum Beispiel im Wienheimer Liederbuch festgehalten sind, leben weiter.