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Kultureller Wiederaufbau in Syrien
"Wir reden von einem Land, wo der Krieg nicht zu Ende ist"

In Berlin beraten Experten des Auswärtigen Amtes und der UNESCO zurzeit den kulturellen Wiederaufbau Syriens. Dabei gehe es weniger um einen konkreten Fahrplan, als darum, Rahmenbedingungen abzustecken, sagte Verena Metze-Mangold, Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission, im DLF. Letztendlich müssten die Syrer entscheiden, was davon umgesetzt werde.

Verena Metze-Mangold im Gespräch mit Änne Seidel | 03.06.2016
    Ruinen der zerstörten Antikenstadt Palmyra in Syrien.
    Letztendlich müssten die Syrer entscheiden, in welcher Weise ihr Land wieder aufgebaut werde, meint die Präsidentin der UNESCO-Kommission Verena Metze-Mangold. (dpa / picture alliance / Mikhail Voskresenskiy)
    Änne Seidel: Das Auswärtige Amt und die UNESCO haben eingeladen: Und zwar Archäologen, Altertumswissenschaftler, Denkmalpfleger, Architekten, Stadtplaner und Kuratoren aus 25 Ländern. Sie alle treffen sich noch bis morgen in Berlin und sprechen über Syrien, vor allem über das reiche Kulturerbe des Landes: Wie kann das, was noch übrig ist, vor dem Krieg gerettet werden? Und wie kann das, was bereits zerstört ist, wieder aufgebaut oder zumindest für die Nachwelt dokumentiert werden.
    Verena Metze-Mangold ist Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission, also Mitinitiatorin dieses Berliner Expertentreffens. Guten Tag!
    Verena Metze-Mangold: Guten Tag, Frau Seidel.
    Seidel: Frau Metze-Mangold, auf diese Fragen, die ich da gerade aufgezählt habe, da hat es ja in den vergangenen Wochen schon unzählige Antworten gegeben, vor allem mit Blick auf die Ruinen von Palmyra. Wozu jetzt noch eine Konferenz, wo all diese Antworten ja vermutlich einfach noch mal wiederholt werden?
    Metze-Mangold: Ich denke, das wird es nicht. Wir haben eine Fülle von Absichtserklärungen gehört in den letzten Wochen. Wir haben auch gewisse Auseinandersetzungen fast theoretischer Natur gehört.
    Wir haben einen ersten Assessment-Plan gesehen von der UNESCO selber. Die Vorsitzende des UNESCO-Welterbezentrums, Frau Rössler, ist mit einer Expertendelegation für einige Tage in Syrien gewesen und hat eine erste Aufnahme dessen, was man die Schadensbilanz nennen können muss, gemacht. Und ich glaube, jetzt geht es darum, tatsächlich praktisch sich abzustimmen, auf welcher Ebene welche Aktionen als Notfallmaßnahme zur Sicherung unmittelbar passieren muss.
    Wir müssen uns vorstellen, wir reden von einem Land, wo der Krieg nicht zu Ende ist. Das heißt, hier geht es darum: Wir sind erst mal sehr glücklich, dass wir aus 25 Staaten rund 170 Experten haben, wirklich von den, die Sie hier aufgezählt haben, allen verschiedenen Gewerken, die hier zusammen arbeiten und in verschiedenen Arbeitsgruppen miteinander versuchen, Schritte zu beschreiben, was auf der kommunalen Ebene und was in den nächsten mittelfristigen Zeiträumen zu geschehen hat.
    Über die Schrittfolge verständigen
    Seidel: Das heißt, am Ende dieses Treffens, also morgen, soll so etwas stehen wie ein konkreter Fahrplan, was wann wie zu tun ist, vielleicht sogar auch schon eine konkrete Aufgabenverteilung, wer sich um welche Kulturgüter kümmert. Kann man das so erwarten?
    Metze-Mangold: Ich würde sagen, das wäre ein Optimum, was man erwarten kann. Was ich mir aber tatsächlich verspreche ist, dass es eine Abstimmung der verschiedenen Rahmen gibt, auf der Ebene beispielsweise, was soll in den Kommunen passieren, was soll im Bereich Dokumentation und Archive passieren, was soll bei der Weiterbildung der Experten passieren, dass sie sich abstimmen. Dann wäre der Gegenstand der letzten Arbeitsgruppe, was sind die tatsächlichen Pläne für die Aktionen, um in der Zukunft das Welterbe in Syrien zu sichern und sich darüber zu verständigen, in welchen Schrittfolgen das zu passieren hat.
    Einen Rahmen setzen
    Seidel: Ich habe es vorhin schon mal ein bisschen angedeutet: Als die syrische Armee damals Palmyra vom IS zurückerobert hat, da ist ja ein regelrechter Wettstreit ausgebrochen, wie die Stadt nun am besten wiederaufzubauen ist und wer das am besten übernimmt. Und es wirkte damals nicht unbedingt so, als würden da immer alle an einem Strang ziehen. Meinen Sie wirklich, dass so ein Treffen wie das in Berlin das ändern kann?
    Metze-Mangold: Ja. Ich glaube, man muss es begreifen als einen Rahmen zu setzen. Ich kann Ihnen ein Beispiel nennen. In Angkor Wat ist das passiert. Da gab es auch enorme Hilfsbereitschaft, dieses Welterbe nicht der Zerstörung zu überlassen, auch der Naturzerstörung dort, sondern in einer miteinander abgestimmten Hilfsorganisation, weit über 100 Millionen damals, zu investieren, aber miteinander abgestimmt.
    Das kann durchaus bedeuten, dass man sagt, das Land kümmert sich insbesondere um diese Dinge, hier haben sie ihre große Expertise, aber man macht das abgestimmt und nicht unilateral, man präsentiert sich als der Große vor Ort mit der Flagge irgendwo, sondern man macht es tatsächlich in der klugen Nutzung der Bereitwilligkeit zu helfen, aber in einer tatsächlich multilateral abgestimmten Vorgehensweise.
    Seidel: Trotzdem ist es ja, denke ich, nicht ganz von der Hand zu weisen, dass das Engagement mancher Länder in Syrien auch mit politischen Hintergedanken verbunden ist ... Ich möchte da nur erinnern an das russische Sinfoniekonzert in den Ruinen Palmyras vor Kurzem, da hat sich Russland ja ganz klar als Retter des syrischen Kulturerbes in Szene gesetzt. Wie wollen Sie als UNESCO, als Kulturorganisation, in dieser politischen Gemengelage die Unabhängigkeit bewahren?
    Metze-Mangold: Ich glaube, man muss immer unterscheiden - und das ist einer der großen Vorzüge der UNESCO -, was auf der politischen Ebene passiert in direkter Umsetzung von bestimmten Wünschen, eine Deutungshoheit zu erlangen, und auf der anderen Seite die Bereitschaft der Experten, miteinander zu arbeiten. Wir haben hier zum Beispiel mehr russische Museumsleiter und die arbeiten seit vielen Jahren auf Expertenebene auch mit den deutschen Experten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, des Deutschen Archäologischen Instituts etc. eng zusammen. Sie kennen sich, da ist eine Vertrauensbasis und denen geht es um dasselbe Ziel, dieses Welterbe klug und abgestimmt zu erhalten und nicht zum Gegenstand von Propaganda zu machen.
    Seidel: Trotzdem können sich vermutlich weder die russischen Museumsleiter, von denen Sie nun sprachen, noch der Chef der syrischen Antikenbehörde, der ja auch zu Gast ist, vollständig freimachen von dem, was die Regierungen dieser Länder wollen.
    Metze-Mangold: Auf gar keinen Fall. Sie stehen möglicherweise auch unter Druck. Der von Ihnen eben erwähnte Chef der syrischen Antikenbehörde durfte in letzter Minute nicht ausreisen. Die offizielle Erklärung heißt, er ist erkrankt.
    Wir wissen, dass er möglicherweise tatsächlich erkrankt ist. Wir wissen aber nicht, was zusätzlich noch eine Rolle gespielt hat.
    Das ist Teil unserer politischen Realität. Umso entscheidender ist, dass Wissenschaftler miteinander, dass Experten miteinander arbeiten und ihre langjährige Vertrauensbasis nutzen, international und im Rahmen der UNESCO, die diese Sonderorganisation für tatsächlich Kultur, Wissenschaft, Bildung und Kommunikation ist, zu nutzen als Rahmengeber für die abzustimmenden Pläne.
    Im Endeffekt müssen es die Syrer entscheiden, in welcher Weise tatsächlich in ihrem Land etwas wieder aufgebaut wird, und deswegen bin ich auch ausgesprochen froh, dass wir sehr viele syrische Experten hier unter unseren internationalen Experten wissen.
    "Wir setzen ganz bewusst auf diese Netzwerk-Verfahren"
    Seidel: Sie haben vorhin schon mal das Stichwort Weiterbildung angesprochen. Gestern gab es zum Auftakt der Konferenz erst mal ein Nachwuchstreffen mit jungen Wissenschaftlern aus aller Welt. Setzten Sie ganz bewusst auch auf den Nachwuchs, da der politisch vielleicht noch weniger belastet ist als die ältere Generation?
    Metze-Mangold: Sie sind politisch insofern durchaus belastet, weil viele von ihnen im Ausland arbeiten oder studieren, unter anderem in Deutschland, was von vielen jungen Syrern, die in diesem Arbeitsfeld zuhause sind, hoch geschätzt wird wegen auch der hohen Qualität unserer Hochschulbildung.
    Wir setzen ganz bewusst auf diese Netzwerk-Verfahren und ich habe die Eröffnung dieses Young Expert Forums, des Forums junger Experten in diesem Arbeitsfeld, miterlebt. Als wir zusammenkamen, kannte keiner keinen sozusagen, aber als wir auseinandergingen gestern, kann man sagen, es ist eine Gruppe geworden und eine Gruppe, die gestern ihr Commitment so deutlich gesagt hat, das darin besteht, dass sie sagen, wir möchten ganz bewusst jetzt Mentoren haben, die uns bereits in die Hilfsprojekte mit einbeziehen, wir möchten uns neben unserer derzeitigen beruflichen Aktivität tatsächlich committen, einbezogen werden, mit aufbauen, und wir werden nie dieses Netzwerk, was wir hier gefunden haben, aufgeben. Und das ist eine ganz wunderbare Aussage, weil es uns selber allen die Hoffnung verleiht, dass es weitergeht.
    Im Übrigen haben sie darauf verwiesen, dass es wunderbar sei, in Deutschland zu sein, wo vor kaum mehr als einer Generation das Land am Boden lag, gerade auch Berlin und zu sehen, dass es gelingen kann, eine Nation und tatsächlich ein Land wieder komplett aufzubauen und zu einem blühenden Gemeinwesen zu machen, und das sollte uns sehr stolz machen.
    Seidel: Sagt Verena Metze-Mangold, Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission, anlässlich des Berliner Expertentreffens zum syrischen Kulturerbe. Vielen Dank für das Gespräch und dass Sie sich zeit genommen haben.
    Metze-Mangold: Vielen Dank, Frau Seidel.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Hinweis: Im Radioprogramm des Deutschlandfunks wird aus Sendezeitgründen eine etwas gekürzte Fassung dieses Gesprächs ausgestrahlt.