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Kunst in Zeiten des Krieges

Drei Jahre zuvor war eine Generation begeistert in den Ersten Weltkrieg gezogen, darunter viele Künstler, die das Ereignis zusätzlich poetisch bejubelten. 1917 war es damit vorbei. Die Ausstellung in Metz zeigt eine Momentaufnahme der Kunst und anderer Bilder aus dem Kriegsjahr 1917.

Von Kathrin Hondl | 27.05.2012
    In dieser Ausstellung muss niemand die Texttäfelchen neben den Ausstellungsstücken lesen, um das Entstehungsjahr zu erfahren: Alles stammt aus dem Jahr 1917. Mit diesem radikalen Konzept erinnert die Schau an die "Time Capsules" von Andy Warhol: Kartons, in denen der Künstler alles sammelte, was ihm in einer bestimmten Zeitspanne wichtig und bewahrenswert erschien – von Büchern über Skizzen und Zeitungsschnipsel bis hin zu Alltagsgegenständen. Die Kuratoren durchkämmten überall auf der Welt Museen und Archive nach Werken und Dokumenten von 1917, einem Jahr, das Historiker auch als "Epochenjahr" bezeichnen. Denn was damals geschah – vom Eintritt der Amerikaner in den Ersten Weltkrieg bis zur Revolution in Russland – war gravierend und folgenreich für den weiteren Verlauf der Geschichte. Und auch kunsthistorisch markiert 1917 einen Wendepunkt, sagt Laurent Le Bon, Direktor des Centre Pompidou-Metz.

    "Die Realität des Jahres 1917 sieht so aus: Die großen Genies der Kunstgeschichte sind noch da – Renoir, Monet, Rodin, Degas. Aber auch die jungen Avantgarden: 1917 war der Anfang von De Stijl, Dada befindet sich im Aufschwung, für Matisse ist es ein entscheidendes Jahr und auch für Picasso, der sich vom Kubismus abwendet."

    Von Picasso stammt das im wahrsten Wortsinn Paradestück der Ausstellung: der monumentale, mehr als 170 Quadratmeter große Bühnenvorhang für das Ballett "Parade" von Jean Cocteau und Erik Satie. Ein Bild, das mit seinen Gaukler- und Harlekinfiguren vor antiker Landschaft seltsam losgelöst wirkt, sowohl von der Kriegswirklichkeit des Jahres 1917 als auch von der Ästhetik der Avantgarden.

    "Picasso war in diesem Jahr gespalten", sagt Laurent Le Bon. "Denn hinter dem Vorhang tauchten dann kubistische Kostüme auf, die er entworfen hatte. Er war gespalten zwischen Kubismus und "Retour à l'ordre", der Rückkehr zu klassizistischen Darstellungsformen. Auch diese Rückkehr zur "alten Ordnung" ist eine Antwort auf den Krieg: In der Krise besinnt man sich zurück auf die Ursprünge, die Antike, um zu fragen: Wie ist dieser mörderische Wahn möglich in einem zivilisierten Europa?"

    Was passiert mit der Kunst im Krieg? Wie positionieren sich Künstler in dieser patriotisch aufgeheizten Zeit, wo Hunderttausende auf den Schlachtfeldern getötet und verletzt werden? Diesen Fragen geht die Ausstellung mit einer überbordenden Fülle an Objekten und Bildern nach. Da wird zum Beispiel ein Propagandafilm über den Einsatz von Feuerwaffen an die Wand projiziert, davor liegt ein original Torpedo aus einem deutschen U-Boot und gegenüber hängt ein futuristisches Gemälde mit dem Titel "Feuerwerk".

    Während die Futuristen den Krieg und seine Technologie verherrlichten, machten die Dadaisten analog zum Geschehen auf den Schlachtfeldern Tabula rasa in der Kunst, indem sie das bisherige Kunstverständnis in Schutt und Asche legten. Und während also Marcel Duchamp 1917 ein Pissoir zum Kunstwerk erklärte, zog sich Claude Monet in seinen Garten zurück, um Seerosen zu malen. Otto Dix wiederum, der selbst Soldat war, wurde zum Chronisten und zeigt in seinen Zeichnungen die grausame Wirklichkeit des Krieges. Und Fernand Léger, ebenfalls Soldat, entwickelte angesichts der zylinderförmigen Granaten und zerfetzten Körper in den Schützengräben seine kubistische Formensprache. Die Erfahrung des Krieges habe ihm mehr beigebracht als alle Museen der Welt, hat er rückblickend immer wieder gesagt.

    Die Ausstellung im Centre Pompidou-Metz macht deutlich, dass dies auf unterschiedlichste Art und Weise auch für die meisten anderen Künstler gilt. Mit mehreren Tausend Ausstellungsstücken – von Ikonen der modernen Kunst über Propagandaplakate, Zeitschriften und Filme bis hin zu Blumenvasen, die Soldaten im Schützengraben bastelten - präsentiert die Schau eine überbordende Zeitkapsel des Jahres 1917, und es wird klar: 1917 war ein "Epochenjahr", das erschreckend deutlich macht, wie nah Zerstörung und Kreativität einander sind.

    Infos zur Ausstellung:
    Kunst und Krieg – das Centre Pompidou-Metz widmet sich in einer großen Ausstellung dem Jahr 1917
    26.5. – 24.9.12
    www.centrepompidou-metz.fr