Totenköpfe, die an goldenen Blingblingketten irgendwelcher Gangster baumeln? Nein, In Haiti geht Ghetto-Style anders: Hier stehen die Totenköpfe wie deplatzierte Vogelscheuchen aufgespießt auf Stöcken. Es sind echte Totenschädel, die während des Regens vom Friedhof nebenan auf die Straße gespült wurden. In ihre Augenhöhlen hat ein Künstler neongelbe Glühbirnen geklebt. Nach dem Motto: Das ist Kunst, das kann noch lange nicht weg.
Die Totenkopfskulpturen stehen überall herum auf diesem freien Areal mit Schrottplatzcharme in Downtown Port-au-Prince. Halbnackte Kinder spielen mit Bauschutt, während ihre Eltern kleine Metallstücke zurechtbiegen oder abstrakte Gesichter an die Wand malen. Jetto Jean-Baptiste hat gerade einen Scheibenwischer gefunden, den er an eine seiner Skulpturen kleben will. Er läuft zum hinteren Teil des Areals in eine kleine Hütte.
In einem Gruselkabinett der Metall-Skulpturen kramt Jetto Jean-Baptiste unsicher sein neuestes Werk hervor: Keine Totenköpfe, zu viel Cliché. Stattdessen zwei derangierte Puppen, die er auf einen kaputten Mixer geklebt hat. Die eine hat blutunterlaufene Augen, einen Irokesenschnitt und trägt einen schwarzes Piercing in der Nase, die andere ist kalkweiß angemalt und hält eine Bibel in der Hand.
"Dieses Werk habe ich Januskopf/Doppelgesicht genannt, weil ich darauf hinweisen will, dass viele Menschen um uns herum so tun, als wären sie gute Menschen, dabei sind sie es, die uns und unseren Kindern schaden wollen."
Wie die meisten seiner Skulpturen hat Jetto auch diese auf einem Mixer befestigt, dessen Knöpfe laut Jetto nur Gott zu drücken vermag. Der 41-Jährige weiß, wie es sich anfühlt, wenn Gott sich weigert, Knöpfe zu drücken. Fast alle in seiner Familie sind tot, seine Geschwister versucht er zu unterstützen, indem er seine Skulpturen an Ausländer verkauft. Angefangen hat der schüchterne, jugendlich wirkende Mann wie die meisten hier:Kunst ist für sie eine Form von Widerstand.
"Wir finden unsere Materialien auf der Straße, überall wo Menschen ihren Müll hinschmeißen. Mit dem Recycling wollen wir die Umwelt schützen. Und wir protestieren damit auch dagegen, wie teuer und hart das Leben geworden ist, hier in Haiti."
Die Welt zu Gast auf Haiti
Jetto ist einer der Gründer der Künstlergruppe “Atis-Rezistans”, deren Mitglieder die Biennale in Port-au-Prince zum dritten Mal veranstalten. Dieses Mal geht es ihm nicht primär ums Verkaufen. 42 Künstler aus aller Welt kommen nach Haiti. Mit ihnen will er gemeinsam an Projekten arbeiten und von ihnen lernen, wie man sich auf dem internationalen Kunstmarkt präsentiert.
Erfunden hat die Biennale die Britin Lea Gordon von der Soho Riflemaker Galerie. Ihre Idee: Wenn die meist armen haitianischen Künstler nicht auf Biennalen reisen können, sollen Künstler aus der ganzen Welt eben nach Haiti kommen und gegenseitig voneinander lernen.
"Es ist ein Experiment, um zu schauen, was passiert, wenn man diese Welten zusammenbringt. Viele haitianische Künstler haben so Kontakte bekommen, sie haben in Berlin, Stockholm und Venedig ausgestellt, nachdem sie hier auf der Ghetto Biennale waren."
Die recycelten Totenköpfe sind laut Lea Gordon inzwischen so etwas wie ein Markenzeichen der haitianischen Künstler. Makaber findet sie es nicht. Im Gegenteil, es sei nur ein Verweis auf die Voodoo Kultur.
"In diesem Viertel ist Voodoo überall unterschwellig vorhanden. Kunst und Religion sind noch sehr eng miteinander verbunden. Aber die jungen Künstler lernen langsam, dass ihre Kunst nicht immer in die ethnografische Ecke gestellt werden soll.“
Weiterkommen ist das Ziel - für die haitianischen wie auch für die Künstler aus dem Ausland.
"Bei der Ghetto Biennale geht es eigentlich ums edle Scheitern. Wenn ein Künstler das erreichen will, was er bei seiner Bewerbung für das Projekt aufgeschrieben hat, wird er mit dem Kopf gegen eine Wand rennen. Es ist alles anders hier, als man es sonst kennt, man arbeitet nicht in einem sauberen weißen Atelier. Das empfinden die Künstler als sehr befreiend."