Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Kunst und Askese

Der israelische Künstler Absalon wurde nur 28 Jahre alt, hinterließ aber zahlreiche Raumobjekte und Architekturminiaturen. Bislang gab es keine zentrale Sammlung - um so größer das Verdienst der Berliner Kunstwerke, Absalons asketische Kunst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben.

Von Carsten Probst | 06.12.2010
    Am 26. Dezember 1964 wurde Absalon unter dem Namen Meir Eshel im israelischen Ashdod geboren; nach der Schule leistet er seinen Militärdienst, gilt als hervorragender Soldat, beendet den Dienst jedoch vorzeitig und zieht sich an Meer zurück, wo er in einer Holzhütte lebt, Nietzsche liest und sich mit dem Verkauf von selbst gemachtem Schmuck ein Flugticket nach Paris zusammenspart.

    Über einen Onkel in Paris wird er in die dortige Kunstszene eingeführt, schließt Freundschaft unter anderem mit Annette Messager und Christian Boltanski. Im selben Jahr, 1987, nimmt er seinen Künstlernamen Absalon an und beginnt eine Art Nomadenleben in Paris, wohnt bald hier und bald dort und reduziert seine Umgebung dabei stets auf einen elementaren Bedarf an Raum und Möbeln. Manche nennen ihn einen modernen Asketen. Ab Anfang der neunziger Jahre arbeitet Absalon wie ein Besessener an der Schaffung winziger Wohnzellen, die er in den Städten Paris, Zürich, New York, Tel Aviv, Frankfurt und Tokio aufstellen lassen und abwechselnd selbst bewohnen will. Am 10. Oktober 1993 stirbt Absalon im Alter von 28 Jahren.

    Soweit die kurze Zusammenfassung eines kurzen Lebenslaufes, der in seiner inneren Spannung und Zuspitzung zu den ungewöhnlichen in der Gegenwartskunst gehört. Da Absalon sich der Einordnung in die allgemeine Logistik des Kunstbetriebes weitgehend verweigert hat, gibt es bislang keine gesicherten Verweise auf seinen Nachlass, keine zentrale Sammlung, von einem Werkverzeichnis gar nicht zu reden. Die Kunstwerke Berlin und ihre Chefkuratorin Susanne Pfeffer haben insofern wahre Pionierarbeit geleistet, alles, dessen sie habhaft werden konnten, aus öffentlichen und privaten Sammlungen zusammenzutragen zu einer Retrospektive, wie es sie bislang zu diesem Künstler noch nicht gegeben hat. Es ist ein außerordentliches Unterfangen, weil es den Blick auf die sogenannte Postmoderne um ein wichtiges Kapitel bereichert.

    Denn Absalons "Cellules", seine sechs Zellenbauten für verschiedene Orte, sind in der Halle der Kunstwerke Berlin ausgestellt, größtenteils begehbar: reduzierte, ganz und gar weiß gestrichene Zwitterkonstruktionen zwischen Skulptur und Architektur, die auf engstem Raum Küche, Bad und Schlafstatt versammeln. Oft muss man sich bücken, um durch die schmalen Eingänge zu gelangen, muss kleine Stufen und Leitern erklimmen, um zwischen den filigran angeordneten, winzigen Räumlichkeiten zu wechseln.

    Diese Zellen waren für das tatsächliche Bewohnen bestimmt, sie sollten dabei nicht Orte der Isolation sein, wie Absalon in seinem möglicherweise einzigen längeren Interview aus seinem Todesjahr sagt. Sondern sie sollten mitten in den Stadtzentren stehen, umflossen vom Alltagsverkehr, dabei Wind und Wetter und möglichem Vandalismus ausgesetzt. Absalon erklärte, sie selbst permanent instand halten zu wollen. In den oberen Stockwerken der Kunstwerke versammelt die Ausstellung Skizzen, Modelle und Videos zu diesen Bauten, aber auch darüber hinausgehend zu dem strengen, elementaren Formenkanon aus Rechteck, Quadrat, Dreieck und Kreis. Im Dachgeschoss der Kunstwerke schließlich findet sich als weiterer Höhepunkt der Ausstellung eine akkurat vorgegebene Ansammlung von hundert verschiedenen Formmodulen, aus denen Absalon seine Räume konstruiert hat.

    Beklemmend und faszinierend ist die Radikalität, mit der Absalon das Erbe der klassisch modernen Architektur, etwa eines Le Corbusier, zuspitzt und es zugleich demonstrativen von allen utopischen Bezügen befreien will. Beklemmend und faszinierend zugleich aber auch die Widersprüchlichkeit, mit der Absalon behauptet, alles das nur für sich allein zu machen und für niemanden anders, sich in eine totale Reduktion zurückzuziehen, verschwinden zu wollen, wie er selbst sagt, und sich damit zugleich doch der Öffentlichkeit auszustellen in einer schonungslosen Selbstoffenbarung, in der der frühe Tod fast schon als Teil des Werkes erscheint.

    Infos unter:

    Kunstwerke Berlin e.V.