Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Kunst und Kultur in tiefster Überzeugung zum Führer

Die Gleichschaltung aller gesellschaftlichen Bereiche durch die Nationalsozialisten lief nach der Wahl Adolf Hitlers zum Reichskanzler in unerhörter Geschwindigkeit. Kunst und Kultur wurden von "Entarteten" und sonstigen Kritikern "gesäubert". Nur wenige protestierten offen.

Von Dirk Fuhrig | 26.10.2013
    Es war nur eine einspaltige Meldung, die die Vossische Zeitung am 26.10.1933 auf ihrer Seite 2 ganz rechts unten druckte. Nicht besonders auffällig, leicht zu übersehen.

    "88 deutsche Schriftsteller haben durch ihre Unterschrift dem Reichskanzler Adolf Hitler das folgende Treuegelöbnis abgelegt: Friede, Arbeit, Ehre und Freiheit sind die heiligsten Güter jeder Nation und die Voraussetzung eines aufrichtigen Zusammenlebens der Völker untereinander."

    Den Schwur auf den Führer veröffentlichte nicht nur die in Berlin erscheinende Vossische Zeitung. Auch andere Blätter im Reichsgebiet druckten den kurzen Text. Die Liste der Unterzeichner dagegen war lang. Damals bekannte Namen waren Arnolt Bronnen, Max Halbe oder Hanns Johst. Der Name des "Volk ohne Raum"-Autors Hans Grimm stand erstaunlicherweise nicht unter der Meldung, ebenso wenig findet man Gerhart Hauptmann, obwohl der Literaturnobelpreisträger den Nationalsozialisten durchaus gewogen war. Die meisten anderen international bedeutenden Schriftsteller wie Thomas Mann etwa hatten zu diesem Zeitpunkt Deutschland bereits verlassen. Mit Ausnahme von Gottfried Benn. Der gefeierte Autor von "Morgue und andere Gedichte" hatte seine Unterschrift unter das Gelöbnis gesetzt, das dem Führer unverbrüchlichen Gehorsam versprach:

    "…, die tiefe Überzeugung von unseren Aufgaben zum Wiederaufbau des Reiches und unsere Entschlossenheit, nichts zu tun, was nicht mit unserer und unseres Vaterlandes Ehre vereinbar ist, veranlassen uns in dieser ernsten Stunde, vor Ihnen, Herr Reichskanzler, das Gelöbnis treuester Gefolgschaft feierlich abzulegen."

    Der Treueschwur war ein Element, mit dem die Kultur in Deutschland auf NS-Kurs gebracht und gleichgeschaltet wurde. Bereits wenige Tage nach der Machtergreifung am 30. Januar war Heinrich Mann als Vorsitzender der "Sektion für Dichtung" vom Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste entlassen worden. Gottfried Benn, nun kommissarischer Leiter, forderte seine Schriftstellerkollegen auf, sich ganz der nationalsozialistischen Umwälzung hinzugeben:

    "Plötzlich verdichtet sich die Gemeinschaft, und jeder muß einzeln hervortreten, auch der Literat, und sich entscheiden: Privatliebhaberei oder Richtung auf den Staat. Ich entscheide mich für das letztere."

    Mit dem Gelöbnis schworen sich die 88 Autoren selbst auf die ideologische Linie der Reichsschrifttumskammer ein, die Propagandaminister Joseph Goebbels drei Wochen später als eine Abteilung der Reichskulturkammer eröffnete:

    "Kraft der mir im Gesetz verliehenen Vollmachten ernenne ich: Für die Reichsschrifttumskammer zum Präsidenten Hans Friedrich Blunck. Zu Mitgliedern des Präsidialrates Dr. Hans Grimm, Präsident der Dichterakademie Hanns Johst."

    Für Hans Friedrich Blunck lag der Treueschwur in der Logik seiner Überzeugungen: Mit seiner "nordischen" Literatur im Dienste der Erhebung des Volkstums war er nahe am Kern der NS-Ideologie. Als oberster Reichsschrifttumswahrer verklärte er Adolf Hitler auch zur kulturellen Leitfigur:

    "Selten nur hat das deutsche Volk das Glück gehabt, in einem Staatsmann gleichzeitig einen genialen Kulturpolitiker erkennen zu dürfen."

    Ebenso selbstverständlich war es für Hanns Johst, seine Unterschrift unter das Gelöbnis zu setzen. Schließlich hatte er mit dem Franzosen-feindlichen Stück "Schlageter" eines der ideologietreuesten Bühnenwerke überhaupt geschrieben. Als nationalsozialistischer Muster-Dichter wurde Johst vielfach geehrt. Wie hier von Reichsleiter Alfred Rosenberg, Hitlers Ideologie-Beauftragtem:
    ""Den Preis der Kunst erteilt die NSDAP dem Dichter Hanns Johst, dem Präsidenten der Deutschen Dichterakademie." (Applaus)"

    Während Gottfried Benn bei den Nationalsozialisten wegen seiner Verteidigung der expressionistischen Literatur und Malerei bald in Ungnade fiel, beklagten andere, dass man sie bei dem Gelöbnis treuester Gefolgschaft übergangen hatte. Ein Autor wie Otto Flake wiederum hatte vermutlich lediglich unterschrieben, um seinen Verleger Samuel Fischer zu schützen, der zu diesem Zeitpunkt noch an ein Überleben seines Hauses unter den Nazis glaubte.

    Nur von Rudolf Georg Binding ist ein direkter Protest gegen den Schwur überliefert. Der durch seine Erzählung "Opfergang" bekannt gewordene Autor beklagte sich nach der Veröffentlichung der Zeitungsnotiz darüber, dass sein Name unter das "Gelöbnis treuester Gefolgschaft" gesetzt wurde, ohne dass man ihn vorher gefragt hatte.

    Mehr zum Thema:

    Kalenderblatt: Bürokratie für die Völkische Kunst - Vor 80 Jahren wurde die "Reichskulturkammer" gegründet
    Kalenderblatt: Literatur in Flammen - Vor 75 Jahren riefen die Nationalsozialisten zur Bücherverbrennung auf
    Bundespräsident erinnert an Bücherverbrennung