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Kunst und Politik
Politische Kunst ist besser als ihr Ruf

Die aktuelle Kunst, die politische Themen aufgreife, ändere ja eh nichts an den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen: So lautet ein häufiger Vorwurf an Kunstschaffende. Doch Beispiele belegen: Zeitgenössische Kunst ist viel besser als ihr Ruf.

Von Georg Imdahl | 23.07.2018
    Die Arbeit 'Veterans of the Wars of Eritrea, Kosovo and Togo Facing the Corner' (2014) vom spanischen Künstler Santiago Sierra in der Ausstellung "14 Rooms", Basel, Juni 2014: Ein Kriegsveteran stellt sich reglos und stumm in die Ecke und kehrt sich dabei dem Publikum den Rücken
    Die Arbeit 'Veterans of the Wars of Eritrea, Kosovo and Togo Facing the Corner' (2014) vom spanischen Künstler Santiago Sierra (dpa / Keystone / Georgios Kefalas)
    Diese Kunst ändert ja doch nichts an den herrschenden Verhältnissen, so lautet heute ein gern erhobener Vorwurf gegen jene Künstler, die sich politischen Zielen in gesellschaftskritischer Absicht verpflichtet sehen. Und leider stimmt dies ja auch: Wenn sich, um ein Beispiel zu nennen, Kriegsveteranen auf Geheiß von Santiago Sierra reglos und stumm in Ecke stellen und dem Publikum dabei den Rücken zukehren, dann werden sie damit keine weitere Sekunde Gefecht und Sterben verhindern.
    Weder in Syrien noch anderswo greift Sierra damit in den Lauf der Geschichte ein, sehr wohl aber ermöglicht er die Begegnung mit Kriegsteilnehmern aus der Mitte der Gesellschaft, die nachdenklich macht und daran erinnert: Es sind Individuen, die da in den Krieg ziehen und mit Traumata belastet zurückkommen. Ihre Sprachkraft beziehen diese makabren Tableaux vivants aus dem Schweigen.
    Es sind solche Bilder, mit denen die zeitgenössische Kunst ihre Gegenwart reflektiert, und ihre Überzeugungskraft wird keineswegs dadurch geschmälert, dass sie konkrete Folgen nicht zeitigen. Wenn dies der Maßstab wäre, würden wir auch die Werke von Hannah Höch, John Heartfield oder George Grosz heute bei Weitem nicht so hoch einschätzen, wie wir es zurecht tun. Wie armselig aber wäre die Kunst der Weimarer Republik ohne diese Bilder? In ihnen sind die Zeit und ihre Epoche erfasst. Das macht sie bedeutend.
    Neue Spiegelbilder der Gesellschaft
    Andererseits lassen sich die Werke von Höch, Heartfield und Co. nicht einfach in Sprache übersetzen und nacherzählen, ohne ihnen etwas Wesentliches, ja ihr Eigentliches zu nehmen: Die visuelle Prägnanz, die Zuspitzung einer komplexen historischen Situation auf ein einziges Bild, das dann entsprechend vielschichtig ausfällt. Eben diese Qualitäten einer heutigen zeitgenössischen Kunst abzusprechen ist nicht nur ignorant, sondern schlicht ungerecht. Vielmehr darf man diese Stärke einer ganzen Riege interessanter jüngerer und junger Künstler bescheinigen, die Spiegelbilder der Gesellschaft entwerfen, ganz gleich, ob diese computergeneriert auftreten, im Video oder mit Öl auf Leinwand gemalt sind.
    Man denke, um nur einige wenige herauszugreifen, an den türkischen Künstler Halil Altindere und seine Anverwandlungen von Hip-Hop und Rap, mit denen er die Gentrifizierung Istanbuls kritisiert oder die Abschottung gegen Migration; an die amerikanische Malerin Nicole Eisenman, die in der Nachfolge von Manet und dem 19. Jahrhundert der heutigen Wirtschaftskrise ein Gesicht von Melancholie und Vereinzelung verleiht; und den britischen Künstler Ed Atkins, der mit modernen Bildtechniken ein oft gänzlich surreales Bild des Individuums in der Massengesellschaft zeichnet.
    Ein besonderer Fall ist das Londoner Kollektiv Forensic Architecture – ein Zusammenschluss von Designern, Architekten, Künstlern und Publizisten, die in minutiösen Recherchen und mit einer glasklaren Ästhetik zur Aufklärung von NSU-Morden oder Flüchtlingsschicksalen von der libyschen Küste beitragen.
    Zeitgenössische Kunst allzu politisch
    All diese Künstler widerlegen einen häufig zu hörenden Vorbehalt: die aktuelle Kunst befasse sich zu wenig mit dezidiert ästhetischen Fragestellungen und begnüge sich allzu einfach mit dem korrekten Ziel, ein linksliberales Weltbild zu bestätigen. Regressiv erscheint uns auch die Forderung, die Malerei müsse bei den großen Themen- und Thesenausstellungen wieder stärker berücksichtigt werden. Denn gerade bei der vorigen Documenta war die Malerei stark vertreten, allerdings stammte sie nicht von den bekannten Szene-Größen, sondern vielfach von hierzulande unbekannten Urhebern aus Albanien, Indien, Australien und der Mongolei.
    Eine vollends bizarre Forderung
    Vollends bizarr ist eine Forderung, die ebenfalls zu vernehmen ist: ein irgendwie gearteter Bruch müsse jetzt durch die Kunst gehen. Gebraucht werde eine Art Reset, ein Neustart der künstlerischen Fantasie, als ob der sich von außen anmahnen ließe. Gewiss, eine weitgehende Ökonomisierung der heutigen Kunst macht diese zu einem suspekten Objekt der Begierde. Ein Übriges tut das gelinde gesagt üppige Angebot an großen periodischen Ausstellungen, die recht schamlos kommerzialisiert und für unterschiedlichste Zwecke bis hin zum Tourismus vermarktet werden. Doch sollte dies auch nicht den Blick für die eigentlichen Qualitäten der zeitgenössischen Kunst vernebeln: Sie ist besser als ihr derzeitiger Ruf.