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Kunst zu verschenken

Mit seinem Free Art Project will der amerikanische Künstler Dickson Schneider zum Nachdenken über den Wert von Kunst jenseits des Markts anregen. Er verschenkt Zeichnungen, Grafiken und Fotos - jetzt zum ersten Mal in Deutschland.

Von Oliver Kranz |
    Es ist 20 Uhr, die Sonne scheint und die Galerie füllt sich langsam mit Menschen. Dickson Schneider hat seine Kunstverschenkaktion per E-Mail und durch kostenlos verteilte Postkarten angekündigt. Nun schlendert er in Jeans und T-Shirt zwischen den Besuchern umher.

    Wer etwas haben wolle, soll es nur sagen, erklärt er den Besuchern. Die betreffenden Werke werde er gleich von der Wand nehmen. Zu sehen sind Zeichnungen, Grafiken und Fotos in kleinen bis mittelgroßen Formaten. Die meisten hat Dickson Schneider aus Oakland in Kalifornien mitgebracht, wo er an der State University Kunst unterrichtet. Vor vier Jahren entstand die Idee.

    "Meine Studenten erzählten mir von einem Künstler in London, der Bilder im Stil von Banksy nicht auf Wände malt, sondern auf Pappe, und die lässt er auf der Straße liegen. Meine Studenten fanden das toll. Da habe ich vorgeschlagen, dass wir das auch machen."

    Dickson Schneider und seine Studenten ließen die Bilder aber nicht einfach auf der Straße liegen, sondern verteilten sie unter Passanten. Die Reaktionen fand Schneider derart ermutigend, dass er immer weiter machte.

    "Kunst kann außerhalb des kommerziellen Systems existieren. Das wird heute oft vergessen. Kunstwerke werden nicht nur deshalb hergestellt, damit man sie verkaufen kann. Ihre erste Aufgabe ist es, uns zu inspirieren."

    Wenn man von den Summen hört, zu denen heute Werke der klassischen Moderne versteigert werden, kann einem schwindlig werden. 140 Millionen Dollar wurden 2006 für das Action Painting "No. 5" von Jackson Pollock gezahlt. Es ist das teuerste Bild, das jemals versteigert wurde. Doch ist es deshalb auch das beste? Dickson Schneider schüttelt den Kopf.

    "Ich glaube, es fällt den Menschen einfach leichter, den gesellschaftlichen Status eines Werks zu begreifen, als seine Ästhetik. Wenn ein Bild teuer ist oder in einer bestimmten Galerie hängt, wird der künstlerische Wert von kaum jemandem angezweifelt. Wenn es kostenlos ist, müssen sich die Leute selbst ein Urteil bilden. Sie müssen sich fragen, wie das Werk auf sie wirkt, ob sie es wirklich mitnehmen und damit leben wollen."

    Und genau das war am Wochenende in der Galerie Kunstraum Tapir in Berlin-Friedrichshain zu beobachten. Die meisten Leute standen sehr lange vor den Bildern, ehe sie sich dafür entschieden, eins mitzunehmen.

    "Das sind ja keine Poster oder T-Shirts, wo man denkt: Super, das ist umsonst, das nehme ich mit."

    "Ich glaube, für das würde ich mich nicht entscheiden. Das trifft nicht so ganz meinen Geschmack, aber es sieht so aus, als wären hier sehr viele unterschiedliche Dinge."

    Sagt ein junger Mann, der gemeinsam mit seiner Freundin in die Galerie gekommen ist. Nach langer Diskussion entscheiden sich die beiden für eine Fotografie, die ein Schaufenster zeigt, das mit flotten Sprüchen dekoriert ist. Sie kennen den Laden.

    "Das gibt dem Bild was Persönlicheres als anderen, mit denen man nicht direkt was verbindet."

    Dickson Schneider nimmt das Foto von der Wand, überreicht es dem Pärchen und holt gleich ein neues Bild, um den leeren Platz wieder zu füllen. 100 Werke hat er für den ersten Tag seiner Kunstverschenkaktion bereitgelegt. Einige hat er selber gemalt, andere sind von Unterstützern des Free Art Projects zur Verfügung gestellt worden. Doch treibt Dickson Schneider die Aktion nicht zu weit? Wovon sollen Künstler leben, wenn sie ihre Werke verschenken?

    "Jeder Künstler hat noch einen Nebenjob - ich zum Beispiel unterrichte an der Universität und einen Teil meiner Werke verkaufe ich auch. Das Projekt besagt ja nicht, dass das verboten ist. Es plädiert lediglich dafür, dass man einen Teil seiner Zeit dafür aufwenden sollte, der Welt ein Geschenk zu machen."

    Große Worte – und trotzdem kein leeres Gerede. Dickson Schneider verschenkt Kunst und seine Aktion beweist, dass Kommerz nicht alles ist.

    Die Aktion läuft noch bis Freitag, 26. Juli, täglich von 16 bis 19 Uhr. Galerie Kunstraum Tapir, Weserstraße, Berlin-Friedrichshain.