Donnerstag, 25. April 2024

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Kunstaktion im ehemaligen KZ Adlerwerke
"Keine Ruhe, wenn es um die Erinnerung geht"

In den letzten Kriegsmonaten zwischen 1944 und 1945 wurde in den Adlerwerken in Frankfurt am Main ein KZ eingerichtet. Das Industriegelände dient heute als Gewerbefläche - eine Gedenkstätte gibt es nicht. Die Stadt Frankfurt am Main hat deshalb Künstler beauftragt, neue Wege des Gedenkens zu finden.

Von Ludger Fittkau | 06.05.2016
    Ein Straßenschild mit der Aufschrift "KZ Adlerwerke" zeigt auf das Gebäude der Adlerwerke in Frankfurt.
    Mit Kunstaktionen will die Stadt Frankfurt an das ehemalige KZ in den Adlerwerken erinnern. (© Studio Naneci Yurdagül / VG Bild Kunst 2016)
    Ein schickes Theater in einem ehemaligen Industriebetrieb nicht weit vom Hauptbahnhof Frankfurt am Main. Nichts erinnert hier auf den ersten Blick an das Leid, dass hier es noch in den letzten Kriegsmonaten, bis März 1945 gab. Allerdings: Wo heute normalerweise Theater gespielt wird oder in benachbarten Büroräumen Kreative an Computerbildschirmen werkeln, hingen heute Morgen auf dem Zufahrtsweg und an der Theaterwand plötzlich neue schwarze Hinweisschilder mit weißer Schrift: KZ Adlerwerke. Denn einen festen Gedenkort gibt es hier bisher nicht. Professor Felix Semmelroth, der Kulturdezernent der Stadt Frankfurt am Main:
    "Natürlich ist es einfacher, einen fixen Gedenkort zu haben. Und zwar hier auch in situ einen solchen Gedenkort möglicherweise zu haben. Dann hat man eine Sache erledigt, dann hat man seine Ruhe. Aber diese Ruhe wollen wir ja nicht haben. Wir wollen keine Ruhe haben, wenn es um die Erinnerung geht. Es geht uns darum, zu fragen, wie ist es noch möglich, in der Gegenwart an Menschheitsverbrechen zu erinnern, die eben 70 Jahre zurückliegen. Und warum ist es aus unserer Sicht unabdingbar und unverzichtbar, daran zu erinnern. Und da genügt es eben nicht, wenn Schulklassen verpflichtet werden, bestimmte Orte aufzusuchen."
    Auftakt der diesjährigen Kunstaktion am 8. Mai 2016
    Die Stadt Frankfurt am Main hat deshalb seit einigen Jahren Künstlerinnen und Künstler beauftragt, neue Wege des Gedenkens zu finden, die – so wörtlich - "wegführen von einem traditionellen, eher statischen Denkmalbegriff". Damit will man gerade auch jüngeren Generationen den Zugang zum Thema zu erleichtern. Hendrik Bündge, Kurator der Kunstaktion machte zunächst deutlich, warum zum Auftakt der diesjährigen Kunstaktion erst einmal zehn schlichte Hinweisschilder mit der Aufschrift "KZ Adlerwerke" in der Stadt aufgehängt wurden:
    "Die Schilder wurden am Mittwoch aufgehängt und ich habe vorhin mit Frau Kujat von der Stadt Frankfurt gesprochen, es gab einen, der seit 50 Jahren hier im Gallusviertel auch lebt und überhaupt nicht wusste, dass tatsächlich auch in den letzten Monaten von 1944 bis 1945 die Adlerwerke tatsächlich auch als Außenlager benutzt wurden."
    Junge Generation gewinnen
    Im vergangenen Jahr erinnerten deshalb 1.600 Stoffbahnen überall in Frankfurt am Main an die 1.600 Menschen, die in dem Außenlager des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof im Elsass gefangen gehalten wurden. Interniert waren vor allem polnische Männer, die sich am Warschauer Aufstand vom August bis Oktober 1944 beteiligt hatten. In diesem Jahr sind es die Künstler Thomas Müller und Naneci Yurdagül, die diese Erinnerungsarbeit im öffentlichen Raum fortsetzen. Dem Aufhängen der Hinweisschilder auf das "KZ Adlerwerke" wird eine Plakataktion im öffentlichen Raum sowie ein Filmprojekt folgen. Naneci Yurdagül erklärte heute bei der Pressekonferenz, dass er ursprünglich etwas anderes vorgehabt hatte:
    "Es war ursprünglich auch die Idee, dass ich gerne oben auf das Dach der Adlerwerke eine Neonarbeit installieren wollte. Das haben wir dann von den neuen Erben des Gebäudes nicht genehmigt bekommen und so kam dann die Idee mit den Straßenschildern."
    Nach Zerstörungen an den Stoffbahnen bei der letztjährigen Erinnerungs-Aktion müsse man nun sehr genau beobachten, wie die Bevölkerung auf die Straßenschilder reagiere, so Naneci Yurdagül. Rechte Bewegungen seien zurzeit wieder im Aufwind. Kurator Hendrik Bündge las den nachdenklichen Text des Künstlers Thomas Müller vor, der zur Eröffnung der Kunstaktion heute nicht nach Frankfurt am Main gekommen war:
    Kampf gegen das Verleugnen, Vergessen und Verdrängen
    "Das Leid und jegliche Trauer und das Unvorstellbare waren mit dem 8. Mai 1945 beendet. Doch war es das wirklich? Wird es das in Deutschland jemals sein? Beendet? Wie kann es sein, dass etwas, das sich vor mehr als 85 Jahren in diesem Land – ist es dieses Land? – abzuzeichnen begann, nicht in seinen Anfängen schon erkannt, nicht in seinem Aufsteigen schon verhindert werden konnte? Es gab Menschen, die dieses damals wie heute erkennen und erkannt haben. Und die fortwährend danach handeln. Den Nächsten als den zu sehen, der schwach ist. Dem Anfang Widerstand zu leisten."
    Kampf gegen das Vergessen sei auch ein Kampf gegen Antisemitismus, der fortgeführt werden müsse, ergänzte der Frankfurter Kulturdezernent Felix Semmelroth:
    "Ein Kampf sicher auch gegen das Verleugnen, auch das sollten wir ja nicht aus den Augen verlieren. Nach wie vor gibt es Holocaust-Leugner. Es gibt nach wie vor Menschen und das passt der Begriff des Surrealen ganz gut, die sagen, das war nicht so. Bis hin zu den völlig abstrusen Thesen, die Amerikaner hätten die Gasöfen nachträglich eingebaut und anderes mehr. Aber auch, dass die Zahlen viel zu hoch gegriffen seien und vieles mehr. Darum ist es ein Kampf gegen das Verleugnen, gegen das Vergessen und gegen das Verdrängen."