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Kunsthalle Münster
"Read the Fucking Manual"

"Read the Fucking Manual" so heißt die begehbare Installation von Oliver Breitenstein und Tassilo Sturm. Sie kündigt sich an als begehbares Labyrinth, das sich ständig verändert, als würden die Besucher durch ein Computerspiel wandern. Peter Backof hat die Bedienungsanleitung gelesen.

Von Peter Backof |
    "Wir gehen den Notausgang zur fünften Etage, im Treppenhaus, in die vierte Etage. Das Ganze ist eine Mischung aus Inszenierung, aber auch Dingen, die einfach so sind auch, im Atelierhaus. Zum Beispiel dieser Flur ist siebzig Prozent authentisch."
    Oliver Breitenstein führt durch das verwinkelte und verschachtelte Innere: Die Kunsthalle Münster befindet sich im vierten und fünften Stock des Künstlerhauses. Normalerweise fahren wir – das Publikum - mit dem Aufzug hoch. Jetzt, für die Installation "Read the fucking manual", sind auch Notausgangsflure und ansonsten verschlossene Ateliertüren offen. Es soll, so Oliver Breitenstein, sein, als würde man in einem Ego-Shooter-Computerspiel, immer wieder um eine neue Ecke biegen, ohne zu wissen, was da lauert.
    70 Prozent authentisch
    Siebzig Prozent sind authentisch: In einem Haus, das Ateliers von Dutzenden von Künstlern beherbergt, ist der Boden mit Farbe besprenkelt, schlummern jede Menge Skizzen und – bisher nicht – für veröffentlichungswürdig befundene Werke. Ein künstlerisches Labyrinth tut sich auf. Dreißig Prozent sind von Oliver Breitenstein und Tassilo Sturm in Szene gesetzt: Da ist hinter Kaninchendraht eine Schlafgelegenheit mit Working Space aufgebaut: Offensichtlich das Biotop eines Getriebenen. Kunst kommt ja von "müssen."
    "Das ist der Käfig des Art Biestes, des Kunst-Biestes"
    Das Alter Ego von Oliver Breitenstein? Je mehr er durch die Flure und Säle führt, wird klar: hier geht es um: alles. Und die Künstler arbeiten sich daran ab. "Read the Fucking Manual" ist ein Wust aus Materialcollage. Im Verlauf von drei Wochen haben Oliver Breitenstein und Tassilo Sturm Zweihundertfünfzig Euro-Paletten, vollgepackt mit Plakaten, Illustriertenschnipseln, Packband, Farben und technischem Gerät in die zwei Etagen gebastelt, als wäre eine Bombe eingeschlagen: Dada und Punk grüßen:
    Mosaike aus Plakaten, inszenierte Shitstorms und Messibuden: Alles ist – beim Aufbau – noch einmal mit viel Text in Comic-Sprechblasen bekritzelt, kommentiert.
    "Sie können alles benutzen, Sie können, wenn Sie Stifte sehen, die benutzen, Videospiele machen, Videos gucken, alles begehen, frei, offen!"
    Tassilo Sturm hat, im gefühlten Zentrum der Schau, 5. Etage, Mitte des großen Saals, einen Anders-Ort konstruiert, aus Holz und Pressspan, daher recht behaglich: eine Kapelle mit Minotaurus-Kopf als Fetisch. Das umgebende Chaos schweigt hier, die Wände sind kahl: Noch! - sagt Tassilo Sturm: Die Wände dieses Bunkers, in dem wir vor der Daten-Flut draußen geschützt sind, dürfen, sollen wir auch mit Eddingstiften, Stickern, "Ich war hier"-Zeichen be-taggen, wenn uns danach ist. Wird hier im Verlauf der Ausstellung ein Gästebuch entstehen? Da kann man auch skeptisch sein. Ist das nicht eine allzu bemühte Einladung, mitzumachen? Aber Provokation ist auch gewollt. Den Ausstellungsmachern von der Kunsthalle geht es auch darum, den Münsteraner Schönheitsbegriff ein wenig zu frotzeln. Der sei: allzu eindimensional: daher all dieser Punk in "Read the Fucking Manual"
    Ästhetisch spontan kreativ
    Ästhetisch erinnert die Schau oft an das spontan Kreative auf Occupy- oder Blockupy-Camps : diese Wucherungen von Polit-Slogans, Comics und spontanen Ironien. Die spiegeln sich auf den zerrupften, wieder und wieder übersprayten und wie gewachsen wirkenden Daten-Wänden. Die "Finanzberatung der Sparkasse" gerät zum Beispiel in einen Dialog mit "You Art": "Dieser Inhalt gehört der Tate Modern und ist in dieser Ausstellung nicht verfügbar", heißt es da, unter dem "Youtube-Parodie-Logo. . Zwischendurch möchte ein Künstler aus einem, wieder mit Kaninchendraht gebauten, Ikea-Smaland "abgeholt werden". Es ist ein Ziel, den Zeitgeist möglichst enzyklopädisch im Sinne von "Empöre Dich: Du bist Gesellschaft!" einzufangen, sagt Oliver Breitenstein:
    "Ich begreife nicht, dass die Leute nicht auf die Straße gehen, Druck machen, und sich alles gefallen lassen. Da wäre es super, wenn wir den öffentlichen Raum haben, noch mehr tapezieren mit Plakaten, mit Kunst, mit Street Art und und und. Weil der Raum gehört uns. Wieso sollen wir den der Werbung überlassen? Das ist das, was mich aufregt: Wenn ich über die Straße gehe und ich sehe nur: "Kauf mich! Gib mir Geld-Plakate" - die ganze Zeit. Und da ist Street Art ne super Sache, weil die genau versucht, diesen Raum als Museumsraum zu nutzen."
    Doch nicht jeder will mit ästhetischen Mitteln "Druck machen". Verändert Kunst die Gesellschaft – von der Straße her? Oder sehen und hören wir hier einfach nur ein weiteres riesiges Material-Archiv, das in sich selbst rotiert? Ein Fazit: Die Schau verfolgt die Strategie "Viel hilft viel" - und hat auch hat viel Situationskomik, wegen der witzigen Textebene. Mehr aber auch nicht.