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Kursbuch ab vom Schuss

Koldehoff: Als Hans Magnus Enzensberger das "Kursbuch" 1965 gründete, da hatte diese Zeitschrift eine Auflage von rund 50.000 Exemplaren und sie bestimmte die Themen mit, die damals unter den Intellektuellen der Republik diskutiert wurden. Medienwissenschaftler würden so etwas heute als Agenda Setting bezeichnen und es gibt wohl kaum eine Alt-68er-Wohnung, in der man nicht heute noch einige Exemplare des "Kursbuchs" in Taschenbuchformat finden würde. Einige Jahrzehnte und einige Verlage später sehen gerade noch 2400 Leser die Notwendigkeit, sich regelmäßig mit den Inhalten des "Kursbuch" auseinanderzusetzen. Zu wenig, sagt Alexander Fest, im Rowohlt Verlag zuständiger Verlagsleiter und will sich vom "Kursbuch" trennen. Begründung unter anderem: Das scheint das Unternehmen einer Generation gewesen zu sein. Frage an den Publizisten Klaus Harpprecht, früher dem Kursbuch selbst eng verbunden, hat Fest Recht, haben sich Zeitschriften wie das "Kursbuch" überlebt?

Klaus Harpprecht im Gespräch |
    Harpprecht: Es ist wohl wahr, dass Zeitschriften nicht mit einem Ewigkeitswert auf die Welt kommen und es gibt Zeitschriften, die in der Tat typisch für eine Generation sind. Ich habe auch lange dem "Monat" nachgetrauert, vielleicht die beste deutsche Zeitschrift, die nach dem Krieg erschienen ist. Eine internationale Zeitschrift von einem Rang, sowohl in literarischer Hinsicht als auch in politischer Hinsicht, wie es ihn wohl selten gegeben hat und trotzdem irgendwann, scheint jedenfalls nach dem Eindruck unseres letzten Verlegers, von Bucerius, die Zeit zu Ende gewesen zu sein. Ich bin aber nicht sicher, ob wir da nicht alles in allem etwas kurzsichtig sind, zumal sich das "Kursbuch" doch sehr weiterentwickelt hat und doch von einer Generation der 68er unabhängig geworden ist. Jedenfalls, die letzten Jahre gaben mir diesen Eindruck. Ich gucke natürlich immer mit einer gewissen schmerzhaften Sehnsucht nach Amerika hinüber und da zeigt sich eben, dass wir offensichtlich kein Zeitschriftenland sind, auch weniger als Frankreich, während in Amerika eine sehr, sehr anspruchsvolle Zeitschrift wie die "New York Review of Books" eine Auflage von weit über 100.000 erzielen kann. Das ist auch in der Relation der Bevölkerungsgröße den deutschen Auflagen weit überlegen.

    Koldehoff: Nun haben ja Zeitschriften wie das "Kursbuch" oder wie die "Frankfurter Neuen Hefte", die Sie herausgeben, immer auch eine Art Emanzipationsgedanken zu transportieren versucht. Ist so ein Emanzipationsgedanke vielleicht 40 Jahre nach Gründung des "Kursbuchs" obsolet gewesen, weil man diese Emanzipation inzwischen erreicht hat?

    Harpprecht: Das ist eine Formulierung, die etwas Verführerisches hat, aber trotzdem lasse ich mich von ihr nicht ganz überzeugen. Denn das Emanzipatorische ist ja nie ein Prozess, der abgeschlossen ist, er ist noch nicht einmal für eine Person, er ist noch nicht einmal für eine Generation wirklich abgeschlossen und wir erleben es ja tagtäglich, dass die emanzipatorische Linke sich weiter und sich bis zu einem gewissen Grade von sich selber emanzipiert. Das muss natürlich auch im Theoretischen sichtbar werden und das versuchen wir in der "Neuen Gesellschaft", in den "Frankfurter Heften" auch deutlich zu machen, dort, wo ich Mitherausgeber zu sein die Ehre habe. Natürlich sind die Auflagen klein und begrenzt, das sagt über die Qualität der Leserschaft und sagt über den Wirkungsgrad einer Zeitschrift relativ wenig aus. Eine Auflage zwischen zwei und 3000 Abonnenten ist ja unendlich viel, wenn man es mit den Auflagen der klassischen Zeitschriften der deutschen Literatur vergleicht, die ein paar hundert Exemplaren drucken und eine Leserschaft von vielen, vielen Hunderttausend oder Millionen in den Jahrhunderten gefunden haben.

    Koldehoff: Oder auch mit den Sachbüchern, die versuchen, solche gesellschaftsrelevanten Themen zu verhandeln, die haben ja auch geringere Auflagen. Kann es denn umgekehrt vielleicht sein und ich suche ja nach einer Erklärung dafür, dass möglicherweise die große Zeit dieser Zeitschriften vorbei ist, kann es denn vielleicht sein, dass die intellektuelle Linke diese Biotope, die sie sich in den sechziger, siebziger Jahren schaffen musste, nicht mehr braucht, weil inzwischen die Feuilletons der arrivierten Tageszeitungen sich ihrer Themen annehmen?

    Harpprecht: Das traf bis zu einem gewissen Grade zu, die Wochenendausgaben der großen Zeitungen sind ja in sich ganz stattliche Zeitschriften geworden, aber das war nie ein vollständiger Ersatz. Eine Zeitschrift ist ja etwas, was man entweder gleich in die Hand nimmt, wenn sie eintrifft, oder man lässt sie ein paar Wochen liegen und sie ist nicht alt geworden, der Atem reicht weiter, der Aktualitätsradius ist ein anderer, ist ein größerer und ich fürchte, es ist nur eine Bestätigung dessen, was ich vorher sagte, Deutschland scheint kein Zeitschriftenland mehr zu sein. Die Franzosen halten an ihren Titeln fest, sie gehören sozusagen zum geistigen Haushalt der Nation, diesen geistigen Haushalt scheint es bei uns nicht zu geben, wir denken offensichtlich etwas mehr an Wegwerfwaren.

    Koldehoff: Klaus Harpprecht, der Publizist zum möglichen Ende der Zeitschrift "Kursbuch".