In ungewohnter Harmonie haben Václav Havels Befürworter und Gegner ihrem Dichterpräsidenten das letzte Geleit erwiesen. Denn während Havel im Ausland eine Ehrung nach der anderen zuteilwurde, hatte ihn zuhause längst das Schicksal des 'Propheten im eigenen Land' ereilt: Seine Kritiker werfen ihm seit Jahren seinen moralisierenden Ton und die Entfernung von den Sorgen der Bürger vor. Doch der Tod des ersten tschechischen Präsidenten hat in Tschechien eine Welle der Rückbesinnung auf die Havelsche Moral ausgelöst. Einen neuen Zugang dazu bietet Martin C. Putna mit seinem Havel-Porträt. Darin untersucht der Literaturwissenschaftler - als Erster, so die durchweg positive Kritik - das geistige Umfeld, in dem sich Havel bewegte und das seine Weltsicht seit seiner Kindheit maßgeblich prägte. Putna schreibt:
Havel spielt in der tschechischen Kulturgeschichte die Rolle eines Schnittpunktes, an dem sich verschiedene Geistestraditionen trafen, tschechische wie internationale, alte wie moderne. Havel hat diese unterschiedlichen Ideen und Richtungen rezipiert und dann in eine aktualisierte gesellschaftspolitische Form gebracht.
Schreibt Martin C. Putna in der Einleitung zu seinem Havel-Porträt, in dem er chronologisch durch die Jahrzehnte die geistigen und intellektuellen Diskurse beleuchtet, die Havel in seinem Wirken beeinflussten - begonnen in Havels Familiengeschichte, bei seinem spiritistisch angehauchten Großvater und dem Vater, der starke Sympathien für das Freimaurertum und den amerikanischen Unitarismus hegte. Bis hin zu dem von Havel 1997 gegründeten Forum 2000, auf dem sich Jahr für Jahr prominente Denker aus der ganzen Welt versammeln und über globale Fragen diskutieren. Putna zeigt, wie früh bei Havel nicht nur die Offenheit für verschiedene intellektuelle Konzepte angelegt ist, sondern auch das öffentliche Stellung beziehen. Bereits als Siebzehnjähriger gründet Václav Havel - 1953, im finstersten Stalinismus - die 'Sechsunddreißiger' - eine literarisch-politische Gruppierung von Jugendlichen - alle Jahrgang 1936 -, die eigene Texte verfasst und in kleiner Auflage verbreitet - eine Art früher Samizdat.
Oft hört man, besonders von früheren engagierten Kommunisten: 'Wir waren jung und haben daran geglaubt', oder: 'Wer öffentlich tätig sein wollte, musste sich anpassen'. Die Sechsunddreißiger widerlegen beide diese Apologien: Sie haben weder an den Kommunismus geglaubt noch hatten sie vor, sich opportunistisch an ihn anzupassen. Sie verhielten sich 'unzeitgemäß' frei und dachten und schrieben einfach, was sie wollten.
Einen Schlüssel für das ethische Selbstverständnis von Václav Havel sind für Putna die Briefe, die Havel seiner ersten Ehefrau in den Jahren 1979-1983 aus dem Gefängnis schrieb und die als "Briefe an Olga" 1983 im Samizdat erschienen. Mit ihren existenziellen Gedanken - etwa zur Gottesfrage oder zur Rolle des Einzelnen in einem totalitären System sind die Briefe das 'philosophischste' Werk Havels und maßgeblicher Grund dafür, dass der Dramatiker ab Mitte der 1980er Jahre für die Tschechen wie auch im Ausland zunehmend zu der moralischen und intellektuellen Autorität wurde. Havels große Stärke sieht Putna in der Aufgeschlossenheit für andere Standpunkte, in der Fähigkeit andere Meinungen nicht nur anzuhören, sondern auch anzunehmen, ohne sich dabei vereinnahmen zu lassen. In einem der Selbstzeugnisse Havels, die Putna in sein Buch aufgenommen hat, von Anfang der 1990er-Jahre heißt es:
Ich habe mich nie mit einer bestimmten Ideologie oder Doktrin identifiziert, sondern mich im Gegenteil immer bemüht, alles unvoreingenommen mit meinem eigenen Verstand zu beurteilen. Ich habe mich immer dagegen verwahrt, in irgendeine Schublade gesteckt zu werden und mir das Leben dadurch zu erleichtern, dass ich das fertige Weltbild eines anderen übernehme.
Mit der Warnung vor vorschnellen, bequemen Urteilen, mit seiner unbequemen Wahrheitsliebe und seinen moralisierenden Reden von Wahrheit und Liebe eckt Havel in Tschechien ab Mitte der 1990er Jahre in Tschechien zunehmend an und wird - so Putna - allmählich zum 'Anti-Mythos'. Seit Havels Tod sprechen auch seine Gegner wieder mit Respekt über den hohen moralischen Anspruch des Dichterpräsidenten. In seiner Havel-Biografie vermeidet Martin Putna im Gegensatz zu vielen hagiografischen oder Schmähschriften über Havel dankenswerterweise die Mythenbildung. Darüber hinaus erinnert der Literaturwissenschaftler, indem er Havels Aufgeschlossenheit und Toleranz für unterschiedliche Meinungen und Weltanschauungen beleuchtet, an einen Anspruch, der den Tschechen gerade heute gut zu Gesicht stände, wo die politischen und gesellschaftlichen Debatten im Land allzu häufig von pauschalen Polarisierungen geprägt sind. Den Segen für seine Biografie bekam Putna übrigens von Václav Havel selbst. Der bezeichnete in einem Zeitungsinterview noch Mitte September Putnas Studie als eine der besten, "ausgesprochen guten" Werke, die in letzter Zeit über ihn erschienen seien. Ohne Zweifel liefert Martin Putnas Buch einen wichtigen Impuls für die Auseinandersetzung mit Havels reichem Vermächtnis, die gerade erst begonnen hat.
Martin Putna
Václav Havel. Duchovní portrét v rámu česke 20. kultury století.(Václav Havel. Ein geistiges Porträt im Rahmen der tschechischen Kultur des 20. Jahrhunderts) Edition der Bibliothek Václav Havel, Band 3, 384 Seiten, ca. 11,60 Euro
ISBN: 978-8-087-49007-5-808749007X
Havel spielt in der tschechischen Kulturgeschichte die Rolle eines Schnittpunktes, an dem sich verschiedene Geistestraditionen trafen, tschechische wie internationale, alte wie moderne. Havel hat diese unterschiedlichen Ideen und Richtungen rezipiert und dann in eine aktualisierte gesellschaftspolitische Form gebracht.
Schreibt Martin C. Putna in der Einleitung zu seinem Havel-Porträt, in dem er chronologisch durch die Jahrzehnte die geistigen und intellektuellen Diskurse beleuchtet, die Havel in seinem Wirken beeinflussten - begonnen in Havels Familiengeschichte, bei seinem spiritistisch angehauchten Großvater und dem Vater, der starke Sympathien für das Freimaurertum und den amerikanischen Unitarismus hegte. Bis hin zu dem von Havel 1997 gegründeten Forum 2000, auf dem sich Jahr für Jahr prominente Denker aus der ganzen Welt versammeln und über globale Fragen diskutieren. Putna zeigt, wie früh bei Havel nicht nur die Offenheit für verschiedene intellektuelle Konzepte angelegt ist, sondern auch das öffentliche Stellung beziehen. Bereits als Siebzehnjähriger gründet Václav Havel - 1953, im finstersten Stalinismus - die 'Sechsunddreißiger' - eine literarisch-politische Gruppierung von Jugendlichen - alle Jahrgang 1936 -, die eigene Texte verfasst und in kleiner Auflage verbreitet - eine Art früher Samizdat.
Oft hört man, besonders von früheren engagierten Kommunisten: 'Wir waren jung und haben daran geglaubt', oder: 'Wer öffentlich tätig sein wollte, musste sich anpassen'. Die Sechsunddreißiger widerlegen beide diese Apologien: Sie haben weder an den Kommunismus geglaubt noch hatten sie vor, sich opportunistisch an ihn anzupassen. Sie verhielten sich 'unzeitgemäß' frei und dachten und schrieben einfach, was sie wollten.
Einen Schlüssel für das ethische Selbstverständnis von Václav Havel sind für Putna die Briefe, die Havel seiner ersten Ehefrau in den Jahren 1979-1983 aus dem Gefängnis schrieb und die als "Briefe an Olga" 1983 im Samizdat erschienen. Mit ihren existenziellen Gedanken - etwa zur Gottesfrage oder zur Rolle des Einzelnen in einem totalitären System sind die Briefe das 'philosophischste' Werk Havels und maßgeblicher Grund dafür, dass der Dramatiker ab Mitte der 1980er Jahre für die Tschechen wie auch im Ausland zunehmend zu der moralischen und intellektuellen Autorität wurde. Havels große Stärke sieht Putna in der Aufgeschlossenheit für andere Standpunkte, in der Fähigkeit andere Meinungen nicht nur anzuhören, sondern auch anzunehmen, ohne sich dabei vereinnahmen zu lassen. In einem der Selbstzeugnisse Havels, die Putna in sein Buch aufgenommen hat, von Anfang der 1990er-Jahre heißt es:
Ich habe mich nie mit einer bestimmten Ideologie oder Doktrin identifiziert, sondern mich im Gegenteil immer bemüht, alles unvoreingenommen mit meinem eigenen Verstand zu beurteilen. Ich habe mich immer dagegen verwahrt, in irgendeine Schublade gesteckt zu werden und mir das Leben dadurch zu erleichtern, dass ich das fertige Weltbild eines anderen übernehme.
Mit der Warnung vor vorschnellen, bequemen Urteilen, mit seiner unbequemen Wahrheitsliebe und seinen moralisierenden Reden von Wahrheit und Liebe eckt Havel in Tschechien ab Mitte der 1990er Jahre in Tschechien zunehmend an und wird - so Putna - allmählich zum 'Anti-Mythos'. Seit Havels Tod sprechen auch seine Gegner wieder mit Respekt über den hohen moralischen Anspruch des Dichterpräsidenten. In seiner Havel-Biografie vermeidet Martin Putna im Gegensatz zu vielen hagiografischen oder Schmähschriften über Havel dankenswerterweise die Mythenbildung. Darüber hinaus erinnert der Literaturwissenschaftler, indem er Havels Aufgeschlossenheit und Toleranz für unterschiedliche Meinungen und Weltanschauungen beleuchtet, an einen Anspruch, der den Tschechen gerade heute gut zu Gesicht stände, wo die politischen und gesellschaftlichen Debatten im Land allzu häufig von pauschalen Polarisierungen geprägt sind. Den Segen für seine Biografie bekam Putna übrigens von Václav Havel selbst. Der bezeichnete in einem Zeitungsinterview noch Mitte September Putnas Studie als eine der besten, "ausgesprochen guten" Werke, die in letzter Zeit über ihn erschienen seien. Ohne Zweifel liefert Martin Putnas Buch einen wichtigen Impuls für die Auseinandersetzung mit Havels reichem Vermächtnis, die gerade erst begonnen hat.
Martin Putna
Václav Havel. Duchovní portrét v rámu česke 20. kultury století.(Václav Havel. Ein geistiges Porträt im Rahmen der tschechischen Kultur des 20. Jahrhunderts) Edition der Bibliothek Václav Havel, Band 3, 384 Seiten, ca. 11,60 Euro
ISBN: 978-8-087-49007-5-808749007X