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La Scala nach Muti

Über Musik redet in Mailand zurzeit kaum einer. Auf einer Vollversammlung aller Scala-Mitarbeiter wurde jetzt erneut und ultimativ der Rücktritt von Neu-Intendant Mauro Meli gefordert. Was die Traditionsoper vor allem brauche sei ein kulturelles Konzept für einen Neuanfang.

Von Henning Klüver |
    Für Musikfreunde bedeutet das eine Qual der Wahl: In der Scala stehen heute Abend die "Giselle von Adolphe Adam im frisch renovierten Stammhaus und der "Rinaldo" von Georg Friedrich Händel im Teatro degli Arcimboldi auf dem Programm.

    Eine weitere Forderung der Belegschaft, die bereits vor zwei Wochen die Medien schockierte, ist inzwischen mit dem Rücktritt von Riccardo Muti als musikalischer Leiter in Erfüllung gegangen. Es ist dabei erstaunlich wie die italienischen Medien diesen Dirigenten weiterhin hofieren, der doch in seiner Auseinandersetzung mit dem langjährigen Intendanten Carlo Fontana wie ein Zauberlehrling selbst die Geister gerufen hat, welche die Scala ins Chaos gestürzt haben und die das Haus jetzt nicht mehr loswird: die Politik, die plötzlich in die Oper hinein agieren konnte und mit der Entlassung von Fontana ein jahrelang gewachsenes inneres System von Gleichgewichten zerstörte; die Gewerkschaften, die jetzt Schützengräben ausheben, um verlorene Machtpositionen wieder zu erringen; und die Musiker, die den Aufstand proben, weil sie sich von ihrem Dirigenten nicht mehr angeleitet sondern unterdrückt fühlen und ihm den Fenstersturz von Fontana nicht verzei-hen. Doch Siegesstimmung über den Rücktritt von Muti will bei der Belegschaft nicht aufkommen. Nicola Cimmino von der Gewerkschaft CGIL erläutert warum:

    "Dass die Scala Maestro Muti verloren hat, ist sicher kein positiver Vorgang. Auf der anderen Seite waren die Beziehung zwischen dem Orchester und Muti, zwischen dem Theater und dem Maestro, war so gestört, dass ein Weitermachen unmöglich war."

    Zaghafte Versuche einer kleinen Gruppe, einen Aufruf zur Rückkehr von Muti zu verabschieden, lösten deshalb lauten Proteste der Vollversammlung der Scala-Mitarbeiter aus:

    Die Realisten in Mailand richten sich bereits auf die Zeit nach Muti ein. Der Stadt-präfekt Bruno Ferrante scheint in seinen Vermittlungsbemühungen zwischen einem bislang tollpatschig agierendem Bürgermeister, dem Verwaltungsrat der Oper und den Gewerkschaftsvertretern an der Scala Erfolg zu haben. Es geht jetzt um einen Neuanfang. Und der wird möglich sein, wenn die Gewerkschaften ihre Streikandrohung gegen alle Premieren der Spielzeit zurückziehen und ein unbelasteter Intendant den glücklosen Mauro Meli ablösen kann, der jetzt ebenfalls zum Rücktritt bereit ist. Vielleicht könnte ein Ausländer die Mailänder Wogen leichter glätten. Persönlichkeiten wie Gérard Mortier oder Alexander Pereira wären vielen Beteiligten durchaus willkommen. Auch Nicola Cimmino von der CGIL-Gewerkschaft hätte da nichts einzuwenden:

    "Die Scala ist ein Theater mit internationaler Ausrichtung, deshalb könnte ein ausländischer Intendant nicht schaden. Aber was die Scala vor allem benötigt ist ein kulturelles Konzept, ein Konzept für einen Neuanfang. Damit Projekte laufen können, brauchen wir aber Menschen, angesehene Führungspersönlichkeiten mit großer Erfahrung, die den Neuanfang der Scala erfolgreich gestalten können."

    Einen Ersatz für den musikalischen Leiter, für Riccardo Muti also, wird es aller-dings nicht geben. Wie der Verwaltungsrat auf seiner jüngsten Sitzung beschloss, sollen zu den jeweiligen Inszenierungen verschiedene Dirigenten mit Weltrang berufen werden. Es zirkulieren Namen wie Nikolaus Harnoncourt, Riccardo Chail-ly, Daniel Barenboim oder Daniel Harding. Aber werden sich die Spitzenkräfte wirklich auf dieses Trümmerfeld Scala wagen? Schon spekulieren die Medien, dass die Mailänder Bühne ihre herausragende Stellung in Italien verlieren und etwa an den Maggio Musicale und die Oper von Florenz abgeben könnte. Zur Schadenfreude besteht allerdings kein Anlass, wie Walter Vergnano betont, der die Turiner Oper leitet und der italienischen Musiktheatervereinigung vorsitzt:

    "Ich halte die Scala nicht nur für das wichtigste Musiktheater Italiens sondern der Welt. Die krisenhafte Entwicklung an der Scala bedeutet also einen Schaden für die gesamte Opernwelt, für die Kulturwelt aber sicherlich vor allem für die ita-lienischen Theater."

    Und Riccardo Muti? Der wird bereits Anfang Mai an die Scala zurückkehren: als Dirigent eines Gastkonzertes mit den Wiener Philharmonikern.