Archiv


Lachnummern und Ohrwürmer

Vor allem die Neuentdeckung der sozialen Kommunikation in Blogs, Foren oder Podcasts hat es vielen Unternehmen angetan. Sie wollen die Dynamik der Internet-Kommunikation für ihre Werbezwecke nutzen. Betreiber und Besucher der sozialen Treffpunkte im Web reagieren indes mit Unbehagen.

Von Achim Killer |
    Im Netz grassiert mal wieder ein Virus. Diesmal allerdings keines, das Software befällt, sondern Video-Portale wie YouTube und Google-Video. Über die versuchen Unternehmen, kostengünstig ihre Reklamespots zu vertreiben. Virales Marketing nennt sich diese Werbestrategie, derzeit das absolute Zauberwort in der Agenturszene, berichten Experten auf dem Deutschen Multimedia-Kongress in Stuttgart.

    "Cool, sagt der Angestellte. Sein Chef aber mag dieses Wort überhaupt nicht, weil es ihn an die teuren Hobbies seiner Kinder erinnert. Dann allerdings erzählt der Angestellte, was für ein tolles Software-Produkt er entdeckt hat. Und dann kommt's, wie's kommen muss: Cool...""

    ...sagt der Chef. Ein IBM-Werbesport, der auf dem Videoportal YouTube steht. IBM-Software ist es, die Chef und Angestellter gleichermaßen cool finden. Oft lassen Unternehmen solche mehr oder minder witzigen Filmchen gezielt produzieren in der Hoffnung, dass die Surfer sie auch lustig finden, sie auf den Portalen oft anklicken und vielleicht sogar per Mail an Freunde und Bekannte verschicken. Und wenn die dann ihrerseits die Video-Dateien weiter versenden, dann kann sich so ein Spot ausbreiten wie ein Virus. Effizient und kostengünstig wirbt ein Unternehmen, dem so etwas gelingt. Die Marketing-Branche arbeitet derzeit an Strategien für das Web 2.0, also für Videoportale, Weblogs und Wikies. Gemeinsam ist solchen Sites ja, dass die Surfer sie weitgehend selbst gestalten. Und deshalb ist es für eine Werbebotschaft da besonders wichtig, dass sie den Surfer quasi infiziert. Virales Marketing heißt das im Branchenslang. Sandra Griffel von der Internet-Agentur denkwerk:

    "Wen ich da besonders gute Inhalte habe oder Inhalte, die irgendeinen Emotionssystem im Kopf genau ansprechen, dann kann ich einen Virus in den Kopf eines Nutzers pflanzen, dass er sich eben berufen fühlt, das, worüber er lachen kann, weiter zu schicken - und das ist virales Marketing."

    Es gibt aber auch die Möglichkeit für Unternehmen, offen und seriös die neuen Formen des World Wide Web zu nutzen. Fabian Sax von der Agentur Aimaq, Rapp und Stolle:

    "Ein Beispiel ist Frosta, die Tiefkühlmarke. Die hat damit angefangen schon vor knapp zwei Jahren, ein Weblog zu starten, indem sie Dinge berichtet, die normalerweise nicht auf der Firmenhomepage stehen würden, also wie Produkte ausgewählt werden, wie die Produktionsbedingungen sind. Das ist für manche Leute sehr interessant, gerade weil es um die Ernährung geht. Und sie haben von Anfang an die Möglichkeit geboten, darauf zu reagieren und Fragen zu stellen. Dadurch ist der Dialog entstanden. Frosta ist bestimmt nicht die sexiest Marke auf diesem Planeten, aber das ist ein sinnvoller Schritt zu einer Öffnung hin und das hat dann auch etwas mit Partizipation zu tun, dass man zulässt, Fragen gestellt zu bekommen und darauf zu antworten."

    Was die Werbeleute aber derzeit vor allem elektrisiert, ist das virale Marketing. Klingt ja auch viel spannender und vor allem subversiver als Informationen über Kalorien, Eiweiß und Kohlehydrate. Erfahrene Web-Werbeleute allerdings sind skeptisch. Peter Kabel etwa. Ihm gehörte zu Zeiten des Booms eine der größten Internet-Firmen. Die ist inzwischen längst pleite, die Angestellten haben neue Jobs oder sind arbeitslos, und Peter Kabel ist heute Chef einer Werbeagentur und Professor für Web-Design. Er bezweifelt, dass Spots, hinter denen Unternehmen stehen können, von den Video-Postern tatsächlich in größerer Zahl angenommen werden.

    "Jetzt ist es so, dass sie diese viralen Effekte hauptsächlich dann einsetzen, wenn der Film halt wirklich Tabus bricht, wenn er Grenzen ganz deutlich überschreitet. Es muss etwas Nacktes sein, es muss irgendwie ein Tier vor die Hunde gehen und möglichst noch zehn andere Tabus gebrochen sein. Dann schaffe ich es tatsächlich, viral garantiert verbreitet zu werden. Ob das dann allerdings noch etwas mit der Markenbotschaft zu tun hat, die ich vielleicht transportieren wollte, weiß ich nicht."

    Mit dem IBM-Filmchen jedenfalls ist kein virales Marketing zu machen, das steht auf YouTube nur rum und wird wenig beachtet. Fabian Sax hat die Erfahrung gemacht, dass die Surfer verschnupft reagieren, wenn sie merken, dass sie zum Spielball von Werbestrategen gemacht werden sollen. Und insofern hätte der Hype, den derzeit das virale Marketing erfährt, auch ja etwas Gutes. Er würde selbst dafür sorgen, dass er bald ein Ende findet:

    "Das Problem ist, seitdem das Marketing von viralen Effekten spricht, ist der Effekt tot."