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Lampedusa und die italienische Migrationspolitik

Im vergangen Jahr haben so viele Menschen wie nie zuvor die gefährliche Seereise über das Mittelmeer in Richtung Italien gewagt. Die Bilder von hilflosen Flüchtlingen auf der Insel Lampedusa schreckten auf. Inzwischen hat Italien eine neue Regierung, die Flüchtlingsproblematik aber ist geblieben.

Von Karl Hoffmann | 06.03.2012
    März 2011: Auf dem staubigen Fußballplatz von Lampedusa gibt ein junger Tunesier seinen Landsleute einen Grundkurs in Italienisch. Fünfhundert junge Männer sitzen dicht an dicht, sie sind die ersten von mehr als 50.000 Menschen, die zwischen März und September 2011 auf der kleinen Insel Lampedusa anlanden. Am Anfang herrscht noch fröhliche Abenteuerstimmung unter den Migranten.
    Doch innerhalb weniger Tage wird die Lage auf der nur 22 Quadratkilometer großen Insel dramatisch. Die Migranten werden nicht schnell genug aufs Festland weitergebracht. Lampedusa platzt aus allen Nähten, umsonst müht sich der Bürgermeister, die besorgten Inselbewohner zu beruhigen.

    Die Lage bessert sich auch in den Folgemonaten kaum. Immer neue Flüchtlingsboote kommen und die italienische Regierung schwankt zwischen humanitärer Verantwortung und harter Abschreckungspolitik. Sie sperrt die Immigranten in das Lager von Lampedusa, bis es dort zur Revolte kommt.

    Polizei, Bürger und Migranten liefern sich eine kurze Straßenschlacht, das Aufnahmelager brennt teilweise ab. Dann wird die Insel in einer Nacht- und Nebelaktion geräumt und zu einem "nicht sicheren Ort für Immigranten" erklärt, gefährlich also für Flüchtlinge . Sehr zur Empörung von Paola la Rosa, die als Anwältin seit Jahren für die Menschenrechte in Lampedusa kämpft:

    "Darunter versteht man normalerweise Länder, in denen Immigranten fürchten müssen, verfolgt, gefoltert oder getötet zu werden. Indem der italienische Stadt die Insel Lampedusa zu einem in diesem Sinne nicht sicheren Ort erklärt hat, gibt er gleichzeitig zu, dass er nicht in der Lage ist, die fundamentalen Menschenrechte derer zu schützen, die hierher fliehen. Das ist schlichtweg ein Offenbarungseid."

    Die neue italienische Regierung wurde jüngst sehr unsanft mit dem Problem der Bootsflüchtlinge konfrontiert: Die bisher praktizierte massenhafte Rückführung von Migranten widerspricht der Menschenrechtskonvention. Prompt begaben sich am letzten Freitag zwei Minister zur Ortsbesichtigung in das verlassene und halbzerstörte Aufnahmelager von Lampedusa, um die notwendige Kurswende Italiens in der Migrationspolitik einzuleiten. Innenministerin Anna Maria Cancellieri gab sich äußerlich gelassen.

    "Derzeit ist das Aufnahmelager baufällig, und kann deshalb nicht benützt werden. Wir werden jetzt die notwendigen Arbeiten in Angriff nehmen, man muss sehen wie lange das dauert , das müssen die Techniker entscheiden."

    Doch hinter solch mageren Erklärungen versteckt sich die Sorge, dass die Ruhe, die seit letzten Herbst in Lampedusa herrscht, nicht mehr lange anhalten wird. Nach dem Ende des für die Überfahrt gefährlichen Winters, des Krieges in Libyen und der wirtschaftlich prekären Lage in Tunesien könnte der Strom der Migranten jederzeit wieder einsetzen. Das bestätigt indirekt auch der Minister für Integration und Kooperation, Andrea Riccardi.

    "Wir hoffen und wünschen uns , dass es hier nicht wieder zu solchen Notlagen kommen wird , aber wenn doch, dann dürfen wir nicht unvorbereitet davon überrascht werden. Lampedusa ist ein wunderbarer Ort aber auch ein neuralgischer Punkt und die Regierung muss der Insel zur Seite stehen."
    Die Menschenrechtlerin Paola La Rosa sieht die von der Geografie bestimmte Rolle ihrer geliebten Insel Lampedusa positiv. Sie werde auch in Zukunft für viele Menschen das rettende Ufer bleiben, davon ist Paola überzeugt:

    "Die einzigen Flüchtlingsboote im ganzen Mittelmeer während des letzten Winters fuhren Richtung Lampedusa . Auf ihnen waren Somalier, die um Asyl nachgesucht haben. Sie haben in Lampedusa sichere Aufnahme gefunden."

    Womit widerlegt sei, dass Lampedusa ein unsicherer Ort für Menschen auf der Flucht ist.