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Europa scheitert erneut

Rund 20.000 Flüchtlinge sind auf der italienischen Insel Lampedusa untergebracht. 2007 gab es in Spanien ähnliche Zustände. Ein Blick zurück, wie damals mit dem Problem umgegangen wurde, und wie in Spanien heute die Flüchtlingskrise auf Lampedusa beurteilt wird.

Von Hans-Günter Kellner | 14.04.2011
    Für Spaniens Vizeregierungschef Alfredo Pérez-Rubalcaba ist die Sache klar. Nach dem Gipfel der EU-Innenminister am Montag sagte er:

    "Malta ist eine Sache. Da haben Leute ein Recht auf Asyl. Und etwas anderes sind die Migranten auf Lampedusa. Das sind illegale Einwanderer, die abgeschoben werden müssen."

    Bei den spanischen Hilfsorganisationen stößt Rubalcaba mit dieser Unterscheidung zwischen Armutsflüchtlingen auf Lampedusa und politisch Verfolgten auf Malta auf Kritik. Die spanische Sektion von Amnesty International kritisiert, dass die damit von Spanien befürwortete Massenabschiebung gegen internationales Recht verstoße. Amnesty-Sprecherin Virginia González:

    "Vor jeder Ausweisung muss geklärt werden, ob die Rückkehr sicher ist. Dass diesen Leuten keine Verfolgung droht. Das ist nur in einer Einzelfallüberprüfung möglich. Dieses Prinzip gilt für politische Flüchtlinge wie auch für Armutsflüchtlinge. Minderjährige dürfen überhaupt nicht ausgewiesen werden, wenn die Familie nicht verständigt werden kann."

    Zumal Spanien seine eigenen Erfahrungen mit einer plötzlichen Massenflucht aus Afrika hat. 2007 kamen 30.000 Afrikaner in Fischerbooten auf die Kanarischen Inseln. Das Flüchtlingshilfswerk Cear gehörte damals zu den Organisationen, die diese Menschen betreuten. Cear-Sprecher Mauricio Valiente hält die damalige Lage rückblickend keineswegs für dramatisch:

    "Die Leute sind auf das spanische Festland verteilt worden. Da gab es ein paar politische Probleme zwischen der Zentralregierung und den regionalen Behörden, aber es hat funktioniert. Kaum jemand wurde damals wirklich abgeschoben. Erst in den Folgejahren schloss Spanien mit Mauretanien und dem Senegal Rücknahmeabkommen ab. Von denen, die damals kamen, wurden 90 Prozent aufgenommen, ohne, dass wir damit überfordert gewesen wären."

    Cear mietete damals Wohnungen an, Minderjährige gingen zur Schule, machten eine Ausbildung. Da sich die Herkunftsländer weigerten, die Flüchtlinge zurückzunehmen, konnten aber auch Erwachsene nicht abgeschoben werden - so wie jetzt die Tunesier auf Lampedusa. Sie bekamen zwar auch auf dem Festland keine gültigen Papiere und müssten sich zumindest die ersten Jahre als illegale Hilfsarbeiter durchschlagen. Abgeschoben wurden sie jedoch nicht.

    Erst in den Folgejahren konnte Spanien die Staaten Westafrikas zur Zusammenarbeit bei der Kontrolle der Migrationsströme bewegen. Im Gegenzug versprach Madrid Entwicklungshilfe und Wege zur legalen Einwanderung. Schon damals forderte Spanien zudem, eine solche Politik dürfe nicht Angelegenheit einzelner Mitgliedsstaaten bleiben. Dies ist für Valiente noch heute eine der wichtigsten Lehren aus der spanischen Erfahrung, die jetzt auch für Italien gelte.

    "Natürlich wollen diese Flüchtlinge besser leben. Aber im Hintergrund sind dennoch die unstabile politische Situation und die bewaffneten Konflikte in den Herkunftsländern. Die Europäische Union darf das nicht völlig ausblenden. Sie müsste sich solidarisch verhalten und die Flüchtlinge aus Lampedusa auf alle Länder verteilen. Diese fremdenfeindliche Art der Berlusconi-Regierung trägt aber nicht gerade dazu dabei, vernünftig mit dem Problem umzugehen. Die Union müsste als Ganzes reagieren. Erneut zeigt sich, dass es keine europäische Flüchtlingspolitik gibt."

    Die jedoch immer dringender wird, meinen Cear wie auch Amnesty International. Denn wenn sie einmal demokratisch sind, würden sich die Regierungen in Nordafrika nicht mehr so leicht zum Vorposten Europas machen lassen, wie zuvor das Regime von Ben Ali in Tunesien. Die EU dürfe Migrationspolitik nicht länger auf Patrouillenboote im Mittelmeer beschränken:

    "Die Einwanderungspolitik muss eng mit der Entwicklungspolitik verknüpft werden. Europa muss sich klar werden, dass seine Grundwerte auf dem Spiel stehen, Gerechtigkeit und Menschrechte. Wir müssen unsere Märkte für die Produkte aus diesen Landern öffnen, ihre Ernährungssicherheit sicher stellen und die internationalen Organisationen wie die Vereinten Nationen demokratisieren, damit es nicht immer die Privilegierten sind, die ihre Spielregeln durchsetzen."