Autobiographische Prosa, wie Dieter Höss sie jetzt unter dem Titel "Land meiner Väter" vorgelegt hat, würde man von ihm kaum erwarten. Seit Jahrzehnten veröffentlicht er Texte in eigenen Büchern, Anthologien, Zeitungen und Zeitschriften, zumeist Humoristisches: Parodien, Satiren, Lyrik und speziell Limericks. Entsprechend heiter lesen sich jetzt auch die Prosa-Miniaturen über seine Jugend im Allgäu. Der heitere Ton überrascht, weil es sich um eine Kindheit gegen Ende des Zweiten Weltkriegs handelt.
"Als uns die Amerikaner befreiten, beschlagnahmten sie als erstes das Haus. Ich jedoch bekam Scharlach und befreite das Haus von den Amerikanern."
Ein Kriegsende ohne Grausamkeiten, fast wie ein Lausbubenstreich? Nicht ganz. Doch die schmerzhaften Aspekte werden langsam dem Gedächtnis abgewonnen, verdichten sich allmählich zu Erinnerungsbildern:
"Sondermeldung. Mir gefiel die Musik. Daß es Liszt war, erfuhr ich erst später. Berichte über den heldenhaften Rückzug
längst gefallener, gefangener oder verschollener Onkel, Brüder, Väter. Die große Völkerwanderung begann. Während die einen im Osten in die Gefangenschaft gingen, kam mein Opa aus Schlesien mit nur einem Koffer und den Worten: ‘Da bin ich!’"
Dieter Höss wurde 1935 in Immenstadt geboren, zog mit den Eltern nach Augsburg, bevor seine Mutter mit ihm vor den Bombenangriffen der Alliierten zurück aufs Land floh. Für ihn fand der Krieg jenseits des eigenen Horizonts statt. Weit entfernt von der Allgäuer Idylle, brannten die Städte. Konsequent erzählt Dieter Höss aus der Sicht des zehnjährigen Jungen, der er um 1945 war. Vor den Feinden hatten Goebbels Medien gewarnt – doch als die GIs eintrafen und Zigaretten oder Orangen verteilten, relativierte sich die bisherige Propaganda. Und die Kinder hatten wahrscheinlich als einzige wirklich nichts gewußt von den Verbrechen der Wehrmacht oder dem organisierten Massenmord in den Konzentrationslagern.
"Gnade hat ihren Preis. Als Zuspätgeborener blieb mir manches erspart, ist mir aber auch vieles entgangen. Gelegentlich wüßte ich gern etwas mehr, als einem die zufällig Hinterbliebenen flüstern. Wie unfehlbar war diese rheinische Großmutter, die angeblich alles konnte und doch den Allgäuer Föhn nicht vertrug? Wie unansprechbar war dieser andere Großvater, der sich in sein Arbeitszimmer zurückzog und Leinwände verunzierte, während seine Frau sich mit sechs Kindern herumschlug? Und wie verbittert muß sie, meine arme Großmutter, gewesen sein, daß sie ihm, als er alt war, die Anschaffung eines Radios als unnütz verbot! Lauter offene Fragen. Lücken. Defizite. Ehe ich meine ersten Schritte tat, waren alle schon tot."
Leicht fällt es nicht, diesen Band eigenwilliger Prosa einer der gängigen literarischen Kategorien zuzuordnen. In rhythmisierter Prosa mit Zeilenfall hat Dieter Höss seine Erinnerungen vorgelegt. Diese Mischform, erklärt Höss, hat sich für ihn ganz organisch ergeben: "Die Sache mit dem Rhythmus beruht einfach darauf, daß ich meistens Gedichte schreibe, wenn auch meistens satirische Gedichte, nicht so ganz ernst zu nehmende Lyrik, aber schon ernst gemeint im Inhalt aber von der Form her und von der Pointe her eher aufs Heitere hinzielend, und ich muß ehrlich zugeben, die Anfänge dieses Bändchens, das dann ja ernster wurde, als ich es mir vorgenommen hatte, die Anfänge lagen in einzelnen Gedichten, die ich auch auf Pointen hin aus dieser Zeit geschrieben hatte."
Auf eine Paginierung der Seiten und ein Inhaltsverzeichnis habe er verzichtet, sagt Dieter Höss, weil er vermeiden will, daß Leser einzelne Texte um der Pointe willen herausgreifen. Bitter kann seine Ironie werden, weit entfernt ist sie von jeder Verklärung der Zeit oder seiner Heimat:
"Zurückgekehrt in das Land meiner Väter? Daß ich nicht lache. Das ganze Land zwischen Iller und Immach hat immer Baronen und Grafen gehört."
Vielschichtig und widersprüchlich liest sich dieses behutsame Ausloten verschütteter Erinnerungen. Es sind Assoziationen und Denkbewegungen, die sich selbst in Frage stellen und dem Prinzip des hermeneutischen Zirkels folgen. Erzähltes vermengt sich mit Erlebtem. Und genau dieses mühsam suchende Herantasten an die eigene Geschichte bildet die Textstruktur nach. Weil Dieter Höss darauf verzichtet, außer eigenen Erfahrungen und den Erzählungen der Familie andere Informationen als Quellen heranzuziehen, bleibt der ganz persönlich-private, rein familiäre Charakter dieser Prosa gewahrt. Nicht das Kriegsende oder das im Titel bezeichnete Land der Väter bildet deshalb in Wirklichkeit das Thema, sondern die Erkundung eines komplizierteren Terrains: der eigenen Geschichte.
"Als uns die Amerikaner befreiten, beschlagnahmten sie als erstes das Haus. Ich jedoch bekam Scharlach und befreite das Haus von den Amerikanern."
Ein Kriegsende ohne Grausamkeiten, fast wie ein Lausbubenstreich? Nicht ganz. Doch die schmerzhaften Aspekte werden langsam dem Gedächtnis abgewonnen, verdichten sich allmählich zu Erinnerungsbildern:
"Sondermeldung. Mir gefiel die Musik. Daß es Liszt war, erfuhr ich erst später. Berichte über den heldenhaften Rückzug
längst gefallener, gefangener oder verschollener Onkel, Brüder, Väter. Die große Völkerwanderung begann. Während die einen im Osten in die Gefangenschaft gingen, kam mein Opa aus Schlesien mit nur einem Koffer und den Worten: ‘Da bin ich!’"
Dieter Höss wurde 1935 in Immenstadt geboren, zog mit den Eltern nach Augsburg, bevor seine Mutter mit ihm vor den Bombenangriffen der Alliierten zurück aufs Land floh. Für ihn fand der Krieg jenseits des eigenen Horizonts statt. Weit entfernt von der Allgäuer Idylle, brannten die Städte. Konsequent erzählt Dieter Höss aus der Sicht des zehnjährigen Jungen, der er um 1945 war. Vor den Feinden hatten Goebbels Medien gewarnt – doch als die GIs eintrafen und Zigaretten oder Orangen verteilten, relativierte sich die bisherige Propaganda. Und die Kinder hatten wahrscheinlich als einzige wirklich nichts gewußt von den Verbrechen der Wehrmacht oder dem organisierten Massenmord in den Konzentrationslagern.
"Gnade hat ihren Preis. Als Zuspätgeborener blieb mir manches erspart, ist mir aber auch vieles entgangen. Gelegentlich wüßte ich gern etwas mehr, als einem die zufällig Hinterbliebenen flüstern. Wie unfehlbar war diese rheinische Großmutter, die angeblich alles konnte und doch den Allgäuer Föhn nicht vertrug? Wie unansprechbar war dieser andere Großvater, der sich in sein Arbeitszimmer zurückzog und Leinwände verunzierte, während seine Frau sich mit sechs Kindern herumschlug? Und wie verbittert muß sie, meine arme Großmutter, gewesen sein, daß sie ihm, als er alt war, die Anschaffung eines Radios als unnütz verbot! Lauter offene Fragen. Lücken. Defizite. Ehe ich meine ersten Schritte tat, waren alle schon tot."
Leicht fällt es nicht, diesen Band eigenwilliger Prosa einer der gängigen literarischen Kategorien zuzuordnen. In rhythmisierter Prosa mit Zeilenfall hat Dieter Höss seine Erinnerungen vorgelegt. Diese Mischform, erklärt Höss, hat sich für ihn ganz organisch ergeben: "Die Sache mit dem Rhythmus beruht einfach darauf, daß ich meistens Gedichte schreibe, wenn auch meistens satirische Gedichte, nicht so ganz ernst zu nehmende Lyrik, aber schon ernst gemeint im Inhalt aber von der Form her und von der Pointe her eher aufs Heitere hinzielend, und ich muß ehrlich zugeben, die Anfänge dieses Bändchens, das dann ja ernster wurde, als ich es mir vorgenommen hatte, die Anfänge lagen in einzelnen Gedichten, die ich auch auf Pointen hin aus dieser Zeit geschrieben hatte."
Auf eine Paginierung der Seiten und ein Inhaltsverzeichnis habe er verzichtet, sagt Dieter Höss, weil er vermeiden will, daß Leser einzelne Texte um der Pointe willen herausgreifen. Bitter kann seine Ironie werden, weit entfernt ist sie von jeder Verklärung der Zeit oder seiner Heimat:
"Zurückgekehrt in das Land meiner Väter? Daß ich nicht lache. Das ganze Land zwischen Iller und Immach hat immer Baronen und Grafen gehört."
Vielschichtig und widersprüchlich liest sich dieses behutsame Ausloten verschütteter Erinnerungen. Es sind Assoziationen und Denkbewegungen, die sich selbst in Frage stellen und dem Prinzip des hermeneutischen Zirkels folgen. Erzähltes vermengt sich mit Erlebtem. Und genau dieses mühsam suchende Herantasten an die eigene Geschichte bildet die Textstruktur nach. Weil Dieter Höss darauf verzichtet, außer eigenen Erfahrungen und den Erzählungen der Familie andere Informationen als Quellen heranzuziehen, bleibt der ganz persönlich-private, rein familiäre Charakter dieser Prosa gewahrt. Nicht das Kriegsende oder das im Titel bezeichnete Land der Väter bildet deshalb in Wirklichkeit das Thema, sondern die Erkundung eines komplizierteren Terrains: der eigenen Geschichte.