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Landtagswahl Niedersachsen
Die Linke und das Bauchgefühl

2013 ist die Linke in Niedersachsen gescheitert. Da war die fünf-Prozent-Hürde zu hoch und die Wahlkampfthemen nicht attraktiv genug für einen Einzug in den Landtag. Jetzt will sie es wissen - und wittert ihre Chance für den kommenden Sonntag.

Von Dietrich Mohaupt | 12.10.2017
    Die Linke in Niedersachsen: Die Landesparteivorsitzenden Anja Stöck (von links) und Herbert Behrens mit Landesgeschäftsführerin Giesela Brandes-Steggewentz
    Die Linke in Niedersachsen wittert ihre Chance: Die Landesparteivorsitzenden Anja Stöck (von links) und Herbert Behrens mit Landesgeschäftsführerin Giesela Brandes-Steggewentz (picture alliance/ dpa/ Sebastian Gollnow)
    Er ist immer noch das Zugpferd für "Die Linke" in Deutschland – und weil die Partei derzeit noch um den Einzug in den Landtag in Hannover zittert, muss er im Wahlkampfendspurt nochmal ran:
    "Gregor Gysi – komm bitte hoch zu mir! Neu gewählter alter Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der europäischen Linken! Viel Spaß euch und – ja, hört gut zu!"
    Bei kaltem Nieselregen haben sich einige hundert Besucher in der Fußgängerzone vor dem Hauptbahnhof im Zentrum Hannovers versammelt. Sie alle wollen den Auftritt Gysis nicht verpassen. Und der langjährige Partei- und Fraktionschef der Linken enttäuscht seine Anhänger nicht – routiniert greift er gleich ein zentrales Thema dieses Wahlkampfs in Niedersachsen auf: Volkswagen. Wie es denn bitteschön sein könne, dass die rot-grüne Landesregierung – als Miteigentümerin am Konzern – dem betrügerischen Treiben des Managements so lange einfach zugeschaut habe, fragt er.
    "Und die zweite Frage, die mich bewegt ist: Da wurden doch Ingenieure eingesetzt. Und die mussten ihre ganze Klugheit, ihre Schläue, ihre Intelligenz nutzen, um eine Schummel-Software herzustellen. Man hätte ihnen doch auch den Auftrag geben können, diese ganze Intelligenz einzusetzen, um ein Auto der Zukunft zu entwickeln – das wäre doch eine viel vernünftigere Aufgabe gewesen."
    Rückenwind aus Berlin
    Neben der Bühne lauscht auch die Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin der Linken in Niedersachsen, Anja Stöck, den Worten Gysis. Sie freut sich über Rückenwind aus Berlin – immerhin hat die Partei in Niedersachsen bei der Bundestagswahl am 24. September knapp sieben Prozent erreicht. Das lässt darauf hoffen, das schmerzhafte Ergebnis der Landtagswahl 2013 korrigieren zu können. Damals scheiterte "Die Linke" mit klassenkämpferischen Parolen gegen "Bankenmacht" und "Spekulanten" deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde. Zugegeben – es werde wohl auch diesmal knapp, meint Anja Stöck, aber:
    "Naja, den eigenen Bauch befragt, liegen wir bei gut fünf Prozent. Man merkt ja, dass Rot-Grün die letzten viereinhalb Jahre zwar einiges auf den Weg gebracht hat, aber nicht viel geschafft hat; dass CDU und FDP einen Kurs steuern würden, der den Menschen nicht gut tut, sondern der Wirtschaft. Und ich glaube das ist das, was die Leute heute dazu bewegt zu sagen, die Linke muss wieder in den Landtag."
    Parteimitglieder verteilen am 10.06.2017 vor Beginn des Bundesparteitages der Linken in Hannover (Niedersachsen) Plakate.
    Auf ihrem Bundesparteitag in Hannover hatte die Linke im Juni die Kernpunkte ihres Wahlprogramms für die Bundestagswahl abgestimmt. (picture alliance / dpa / Peter Steffen)
    Krawall war gestern
    Der Wahlkampf der Linken in Niedersachsen ist diesmal deutlich weniger auf Krawall gebürstet. Für einen gewissen Imagewechsel – weg von der reinen Protestpartei – steht auch Herbert Behrens. In der vergangenen Legislaturperiode war er Vorsitzender des Bundestags-Untersuchungsausschusses zur Dieselaffäre. Jetzt will er mit der Linken und dem Thema Volkswagen in den niedersächsischen Landtag einziehen. Seine Kernthese: Die Landesregierung habe zu lange darauf verzichtet, als Anteilseigner am Konzern mit 20 Prozent politisch wirklich Einfluss zu nehmen – das gelte vor allem auch für die jüngsten Fehlentwicklungen.
    "Bei VW sollen auch heute noch sechs Milliarden Euro in den kommenden Jahren in die Weiterentwicklung der Diesel-Technologie gesteckt werden – nur zwei Milliarden sollen reingehen in die Förderung der Elektro-Mobilität. Das ist eine falsche politische Entscheidung, die das Land offenbar mitgetragen hat. Ich will, dass der Anteilseigner Niedersachsen eingreift und sagt, wir wollen eine verantwortbare Automobilpolitik haben."
    Und deshalb hält er die Diskussionen über das VW-Gesetz und die darin verankerte Beteiligung des Landes Niedersachsen an dem Weltkonzern für grundsätzlich falsch. Für die Vorschläge des FDP-Chefs Christian Lindner zum Beispiel, VW völlig zu privatisieren und die VW-Anteile des Landes zu verkaufen, habe er überhaupt kein Verständnis. Es sei doch sehr bedenklich, wenn Lindner das VW-Gesetz als "nicht mehr zeitgemäß" bezeichne.
    "Das macht mir Sorge, weil ich schon meine, dass dieses Gesetz ein gutes Gesetz ist und dass auch alles getan werden muss, dieses Gesetz vor Angriffen zu schützen. Die Europäische Union hat es schon einmal versucht vor einigen Jahren und hat gesagt, das kann doch nicht angehen, dass ein Land sich an einem großen Unternehmen beteiligt, das ist doch eine Wettbewerbsverschiebung. Wir haben immer dafür gestanden als Linke, dass wir gesagt haben, nein – diese Möglichkeit der demokratischen Einflussnahme auf ein Unternehmen muss erhalten bleiben."
    Konkurrenz für die Sozialdemokraten
    In Niedersachsen haben sich inzwischen auch alle anderen Parteien klar für den Erhalt des VW-Gesetzes ausgesprochen. Eher untypisch für einen Wahlkampf, der dem klassischen Lagerwahlkampf aus früheren Zeiten ziemlich nahe kommt: Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb. Trotzdem beäugen vor allem die Sozialdemokraten die Konkurrenz auf ihrer linken Flanke eher skeptisch. So hat der Landesvorsitzende und SPD-Spitzenkandidat, Ministerpräsident Stephan Weil, zwar ein rot-rot-grünes Bündnis nach der Wahl nicht dezidiert ausgeschlossen – er verkündet aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass es sein persönlicher Ehrgeiz sei, die Linke – ebenso wie die AfD – aus dem Landtag heraus zu halten.
    Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bei einer Sitzung des Volkswagen-Aufsichtsrates in Wolfsburg.
    Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bei einer Sitzung des Volkswagen-Aufsichtsrates in Wolfsburg. (dpa/Philipp von Ditfurth)
    Spitzenkandidatin Anja Stöck nimmt's gelassen:
    "Naja – ich muss da so ein bisschen drüber lachen. Es ist halt Wahlkampf."
    Und auch Gregor Gysi nimmt sich – trotz weiterer Wahlkampftermine an diesem Tag in Niedersachsen – kurz Zeit zu einem seiner typischen Kommentare. Irgendwann müsse auch mal Schluss sein mit den ewigen Animositäten zwischen der SPD und der Linken, fordert er:
    "Vielleicht müssen beide mal ein bisschen aufeinander zu gehen – und bei aller Kritik, die ich ja auch an der SPD habe, einen anderen Umgang miteinander pflegen. Und wenn er etwas weiter denkt und nicht nur jetzt an seine persönlich Regierung und Macht, dann würde er wissen, wie wichtig es ist, dass neben der SPD auch die Linke im Landtag sitzt. Aber wenn ich mal die Zeit habe, werde ich versuchen, Herrn Weil das zu erklären."