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Niedersachsen vor der Landtagswahl
Zwischen VW-Affäre und Verrats-Vorwürfen

Die Landtagswahl in Niedersachsen am Sonntag verspricht spannend zu werden: Die SPD von Ministerpräsident Stephan Weil und die CDU mit Herausforderer Bernd Althusmann liegen gleichauf. Es reicht aber derzeit weder für eine Fortsetzung von Rot-Grün noch für Schwarz-Gelb.

Von Alexander Budde und Dietrich Mohaupt | 10.10.2017
    Wahlplakat von Bernd Althusmann (l), dem CDU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl, und eines von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD)
    Bernd Althusmann (l), CDU-Spitzenkandidat und Ministerpräsident Stephan Weil (SPD): Wohin steuert Niedersachsen? (dpa / Silas Stein)
    "Pass mal auf."
    "Die sollen ja noch drei Wochen halten am Ende."
    Nach der Wahl ist vor der Wahl – schon direkt nach Schließung der Wahllokale am 24. September waren in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover wieder Plakatkleber-Kolonnen der Parteien unterwegs. Die Zeit drängt, schließlich steht schon am Sonntag mit der Landtagswahl der nächste Urnengang auf dem Programm.
    Allein die Grünen hatten es offenbar nicht ganz so eilig – erst am Montag nach der Bundestagswahl macht sich die komplette Parteispitze mit einem Bollerwagen voller Plakate, frisch gefüllten Kleistereimern und reichlich guter Laune auf den Weg, um die politischen Botschaften für die Abstimmung im Land unter das Volk zu bringen. Spitzenkandidatin Anja Piel hat mit Blick auf die bundesweit knapp 13 Prozent für die AfD schon das passende Plakat für den nächsten Aufsteller ausgesucht.
    "Das hier – glaube ich – ist das wichtigste, wie wir jetzt für 87 Prozent der Menschen, die nicht die Rechtspopulisten gewählt haben, das Angebot machen - und das ist unser Angebot.
    "Eine offene Gesellschaft ist die beste Heimat!" - prangt in fetten Lettern auf dem Plakat. Andere werben für mehr Tier-Wohl in der Landwirtschaft, für Klimaschutz und Energiewende und für eine Mobilität, die mehr ist als vier Reifen. Im Vorbeifahren quittiert der Fahrer eines Nobelsportwagens diese für ihn offenbar unerträgliche Provokation mit einem kräftigen Tritt auf das Gaspedal – und würgt so jeden Versuch ab, von Anja Piel mehr über die grünen Ideen zur Mobilität zu erfahren.
    "Wenn Sie mir dabei noch mal was zum Thema Mobilität sagen – nein, das können wir jetzt gerade mal vergessen."
    Die ehemalige Grünen-Politikerin Elke Twesten während einer Pressekonferenz der CDU.
    Die ehemalige Grünen-Politikerin Elke Twesten ist der CDU beigetreten (picture alliance / dpa / Holger Hollemann)
    Grüne machte Niedersachsen-Wahl notwendig
    Ihre gute Laune wollen die niedersächsischen Grünen sich aber nicht verderben lassen – immerhin konnten sie auf Landesebene mit 8,7 Prozent ein leichtes Plus verbuchen und damit ein ähnlich respektables Ergebnis wie auf Bundesebene einfahren. Das macht Mut für den Wahlkampfendspurt.
    Dabei war es ja ausgerechnet eine grüne Landtagsabgeordnete, die eine vorgezogene Neuwahl in Niedersachsen überhaupt erst notwendig gemacht hat. Am 4. August hatte Elke Twesten ihren Austritt aus der Partei und der Landtagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen erklärt.
    "Ich sehe bei den Grünen weder vor Ort noch im Land eine politische Zukunft. Ich bin seit langem eine bekennende Anhängerin von schwarz-grün, denn ich habe eine bürgerliche Grundstruktur und muss mich in der Union nicht verbiegen."
    Mit dieser doch überraschenden Entscheidung war die hauchdünne Ein-Stimmen-Mehrheit von Rot-Grün futsch - ein Tiefschlag für den Regierungschef und SPD-Landesvorsitzenden Stephan Weil, der für diese Aktion nur ein Wort übrig hatte: Verrat.
    "Es gab 2013 ein knappes aber klares Wahlergebnis: Die Mehrheit der Wähler hat Rot-Grün das Land Niedersachsen für die nächsten fünf Jahre anvertraut. Wer dieses Ergebnis in sein Gegenteil umkehrt, der begeht Verrat an dieser Entscheidung der Wähler, liebe Genossinnen und Genossen!"
    Tiefe Gräben zwischen politischen Lagern
    Tagelang war anschließend von möglicher Korruption und von Intrigen die Rede, von "unmoralischen Angeboten" der CDU an die "abtrünnige" Elke Twesten. Spitzenpolitiker von Union und FDP forderten abwechselnd Ministerpräsident Weil zum Rücktritt auf oder drohten mit einem Misstrauensvotum im Landtag – einigten sich aber schließlich mit SPD und Grünen darauf, die eigentlich für Januar geplante Landtagswahl auf den 15. Oktober vorzuziehen.
    Und Elke Twesten? Die ist der CDU beigetreten, aber inzwischen in der Versenkung verschwunden. Dem nächsten Landtag wird die Ex-Grüne nicht angehören, dafür hat sie sich für ein Studium mit dem Titel "Führungskompetenz" an einer privaten Hochschule in Buxtehude eingeschrieben.
    Für den Politologen Andreas Busch von der Universität Göttingen zeigt die ganze Episode, wie tief die Gräben zwischen den politischen Lagern in Niedersachsen offenbar sind.
    "Dass die Grüne Partei, aber die nicht alleine, die SPD hat das genauso gemacht – dermaßen auf Frau Twesten eingedroschen hat, das deutet darauf hin, dass die politische Situation sehr polarisiert ist, und auch dass man sich nicht so recht im Griff gehabt hat. Denn ich bezweifele eher, dass man sich damit einen Gefallen getan hat."
    Und damit meint er auch mögliche Koalitionsgespräche nach der Wahl, die angesichts der heftigen Auseinandersetzungen und persönlichen Angriffe vor der Wahl nicht einfach werden dürften. Der letzte Niedersachsen-Trend vor der Wahl von Infratest dimap im Auftrag der ARD deutet auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin: CDU und SPD liegen demnach gleichauf bei 34 Prozent. Grüne, FDP und AfD streiten bei Werten um etwa acht Prozent um Platz drei, die Linke muss mit viereinhalb Prozent um den Einzug in den Landtag bangen.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Niedersachsen, Bernd Althusmann (r), stehen am 27.09.2017 in der Halle 39 in Hildesheim (Niedersachsen). Unter großen Sicherheitsvorkehrungen und mit Unterstützung von Bundeskanzlerin Merkel eröffnet die CDU Niedersachsen am Abend den Landtagswahlkampf. Foto: Julian Stratenschulte/dpa | Verwendung weltweit
    Angela Merkel bei einem Wahlkampfauftritt von CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann (dpa / Julian Stratenschulte)
    CDU verliert den Vorsprung
    Mit ihrem Spitzenkandidaten Bernd Althusmann, dem es nicht so recht gelingen will, seinen Bekanntheitsgrad signifikant zu verbessern, hat die CDU seit April in Niedersachsen ihren komfortablen Vorsprung von fast neun Prozentpunkten gegenüber der SPD vollständig eingebüßt. Das ging erst ganz langsam, nach dem Parteiwechsel von Elke Twesten und den schweren Verlusten der Union bei der Bundestagswahl dann aber immer schneller. Trotzdem wäre eine Fortsetzung von Rot-Grün nicht möglich, rein rechnerisch könnte es – außer einer großen Koalition – ein Jamaika-Bündnis aus CDU, FDP und Grünen geben oder eine Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen. Gegen eine solche Ampel sträuben sich aber die Liberalen heftig – damit wäre kein Politikwechsel machbar, meint FDP-Landeschef Stefan Birkner.
    "Klar ist, dass wir keine Ampel als Freie Demokraten eingehen werden, zu den Grünen in Niedersachsen besteht inhaltlich doch ein erheblicher Unterschied, so dass ich mir schwer vorstellen kann, dass man da eben zusammenfinden kann."
    Grüne und CDU weit voneinander entfernt
    Und deshalb ist auch ein Jamaika-Bündnis nur schwer vorstellbar, zumal dafür eigentlich Grüne und CDU vor allem in der Agrarpolitik zu weit auseinander liegen – betont der grüne Agrarminister Christian Meyer. Er steht für Förderung des Ökolandbaus. Er hat unter anderem Prämien für Sauenhalter eingeführt, die den Ferkeln nicht die Ringelschwänze abschneiden. Mit der CDU wäre das nicht möglich, meint Christian Meyer.
    "Die CDU hat ja angekündigt, diese Prämien zu streichen, dann werden wahrscheinlich wieder große Massenställe gefördert und Schlachthöfe, das ist ja schon angekündigt. Dann ist nicht mehr die Agrarwende hin zu bäuerlich und Tierwohl und Umweltschutz, sondern dann geht es in Richtung wieder der alten Agrarindustrie mit Höfe-Sterben. Deshalb kann ich mir eigentlich eine Koalition mit dieser CDU, die eben nicht zu den fortschrittlichen CDU‘n in Deutschland zählt, nicht vorstellen."
    Auf Bernd Althusmann wirkt wiederum "Bauernschreck" Meyer wie ein rotes Tuch. Dabei haben der CDU-Herausforderer und der grüne Minister auch einiges gemeinsam: Ihre Kampfeslust zum Beispiel – und die Neigung, sich unter Druck hemmungslos in Rage zu reden:
    "Gerade der amtierende Landwirtschaftsminister Meyer polarisiert wo er kann! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, was auf dem Landesparteitag der Grünen so erzählt wurde: 'Die schwarz-gelben Hetzer, diesen darf man das Land nicht überlassen', oder: 'Schwarze müssen in Niedersachsen endgelagert werden!' Diese Gauland-Rhetorik der Grünen, die ist es am Ende, die es unmöglich macht, mit Ihnen am Ende zu koalieren."
    "Die Menschen sind manchmal etwas reserviert"
    Am Rand des Marktplatzes in Duderstadt hat die AfD einen kleinen Wahlkampfstand aufgebaut. Beim Straßenwahlkampf packt auch Pierre Hillebrecht mit an. Er hatte – erfolglos – im Wahlkreis Göttingen für den Bundestag kandidiert. Ein paar Schritte weiter verteilt die Spitzenkandidatin der AfD für die Landtagswahl, Dana Guth, fleißig Flyer, Kugelschreiber, Sticker - das Übliche eben.
    Nur wenige Passanten bleiben stehen, manche machen sogar einen großen Bogen um den Stand. Und Pierre Hillebrecht weiß natürlich genau warum.
    "Ja, ich denke das hat was mit der Darstellung von uns in den Medien zu tun … wir werden ja ein bisschen wie Schmuddelkinder manchmal behandelt – und deswegen sind die Menschen etwas reserviert manchmal."
    Auch Dana Guth legt die Flyer wieder weg – weil sowieso kaum jemand stehen bleibt, um mit ihr zu reden, redet Dana Guth eben mit den Medien. Ein Fernsehteam des NDR ist schon da, das ZDF wartet im Hintergrund. Also kurz ein paar Sätze zu Frauke Petry zum Beispiel, die gleich nach dem Einzug der AfD in den Bundestag erst aus der neu gewählten Fraktion und dann auch aus der Partei ausgetreten ist. Stört sowas nicht im Landtagswahlkampf?
    "Das ist sicher auch ein Stück weit unfair der Partei gegenüber. Aber, das lässt sich nicht ändern und von daher finde ich das jetzt für Niedersachsen relativ wenig beeinflussend, weil die Menschen hier vor Ort wählen ihre niedersächsischen Kandidaten und eben nicht Frauke Petry."
    Guth kennt sich aus mit "Fraktion verlassen" und solchen Dingen – obwohl, sie ist nicht freiwillig gegangen, ihre beiden Kollegen in der Göttinger AfD-Kreistagsfraktion haben sie einfach rausgeworfen - gerade erst vor ein paar Tagen. Rechthaberisch sei sie, wolle immer das Kommando an sich reißen. Das wolle man sich nicht länger gefallen lassen, so erklärte der Fraktionsvorsitzende Frank Rathmann den Rauswurf. Dana Guth weist diese Vorwürfe zurück, sie will gerichtlich gegen den Beschluss vorgehen. Optimal ist so ein Streit natürlich nicht – mitten im Wahlkampfendspurt.
    Afd: Spitzenkandidatin und Vorsitzender auf Konfrontation
    Hinzu kommt, dass die AfD-Spitzenkandidatin und der Landesvorsitzende Armin Paul Hampel sich – vorsichtig formuliert – nicht gerade mögen. Im Vorfeld der Bundestagswahl hatte Dana Guth den Führungsstil ihres Vorsitzenden scharf kritisiert – war allerdings bei dem Versuch, Hampel als Landeschef der Partei abzulösen, gescheitert.
    Später setzte sie sich dann allerdings – gegen den ausdrücklichen Wunsch Hampels – auf einem Parteitag als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl durch – ihre Kommunikation mit dem Landessvorsitzenden beschränkt sich derzeit nach eigenen Angaben auf ein Minimum. Fast schon trotzig weist Dana Guth darauf hin, dass "Herr Hampel" schließlich in den Bundestag gewählt worden sei und eben kaum Zeit habe – aber es gehe auch ohne ihn.
    "Ja gut – Herr Hampel war jetzt selber in seinem eigenen, persönlichen Wahlkampf für den Bundestag natürlich sehr eingebunden und ist auch in Berlin momentan sehr eingespannt. Wir haben von Seiten des Landesvorstandes ein Wahlkampfteam. Ich denke wir werden das sehr gut bewältigen bis zum 15.10. und auch ein gutes Ergebnis zustande bringen."
    Dafür kämpft Dana Guth weiter auf dem Marktplatz in Duderstadt – und muss sich dort auch von Zeit zu Zeit scharfe Kritik anhören. Zwei Passanten unterbrechen plötzlich lautstark ein Interview mit dem Fernsehteam vom ZDF – klare Worte, die deutlicher kaum sein könnten.
    "Mit Ihren Parolen haben Sie hier nichts zu suchen - mit Ihren politischen Inhalten, da wollen wir nichts mit zu tun haben! Auf der einen Seite geben Sie sich seriös, versuchen Menschen von Ihren Inhalten zu überzeugen. Und auf der anderen Seite gibt es Leute bei Ihnen, die sind Rassisten! Also Sie passen einfach nicht hier her!"
    Die CDU ist guter Hoffnung
    Eigens komponiertes Liedgut für die Bühnenshow, rhythmisches Klatschen der Jungen Union: Im kurzen Wahlkampf setzt die CDU auf Emotion pur – und auf die Zugkraft der Kanzlerin. Für gleich fünf gemeinsame Auftritte zwischen Nordsee und Harz hat der Spitzenkandidat die Parteichefin gebucht. Auf ihre unnachahmlich nüchterne Art erklärt Angela Merkel, warum sie Bernd Althusmann unterstützt.
    "Wir haben gesehen, wie viel Schwung in Schleswig-Holstein in die ganze Politik gekommen ist mit Daniel Günther. Wir sehen, wie der Wechsel Nordrhein-Westfalen beflügelt. Und warum soll Niedersachsen nicht auch ein bisschen was Schönes haben?"
    Triumph im Saarland, in Schleswig-Holstein, in Nordrhein-Westfalen - die CDU ist guter Hoffnung, in Niedersachsen die vierte Staatskanzlei im Wahljahr erobern zu können – trotz der herben Verluste bei der Bundestagswahl.
    Denn von nun an geht es einzig und allein um Themen, die die Menschen im Land bewegen. Da wären zum Beispiel die rund 250.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, die direkt bei oder mittelbar für Volkswagen arbeiten. Kein Wunder also, dass die Wirtschaftspolitik im Mutterland des VW-Konzerns ganz oben auf der Agenda steht.
    Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) äußert sich am 26.07.2017 in Wolfsburg (Niedersachsen) im VW-Markenhochhaus gegenüber Medienvertretern zur Kartell-Selbstanzeige des Konzerns. Weil ist für eine außerordentliche Sitzung des Volkswagen-Aufsichtsrates in Wolfsburg. Foto: Philipp von Ditfurth/dpa | Verwendung weltweit
    Althusmann fordert von Ministerpräsident Stephan Weil (im Bild) "Haltung" in der VW-Affäre (dpa/Philipp von Ditfurth)
    Tausende Jobs bei VW stehen auf dem Spiel
    Ohne Umschweife spricht Althusmann das derzeit sensibelste Streitthema an. Es geht um die beiden Sitze des Anteilseignerlandes Niedersachsen im Aufsichtsrat des Weltkonzerns. Im Umgang mit dem Abgas-Skandal wirke der Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Weil regelmäßig wie ein Getriebener, behauptet er.
    "Wir stehen zu VW, wir stehen hinter dem 20-prozentigen Anteil. Das haben nun wirklich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Bändern bei VW an sechs Werkstandorten nicht verdient. Sie sind völlig unschuldig daran, dass auf konzernoberster Ebene am Ende betrogen wurde – und da muss auch ein Ministerpräsident mal Haltung zeigen!"
    Zwei Jahre sind vergangen, seit die Abgasmanipulationen von VW und Audi in den USA aufflogen. Mit bis zu 30 Milliarden Euro muss der Konzern rechnen, um den größten Schadensfall der europäischen Wirtschaftsgeschichte zu bewältigen. Dadurch stehen auch in Niedersachsen tausende Jobs bei VW auf dem Spiel.
    Er selbst würde sich als Aufsichtsrat nicht hinter seiner Schweigepflicht verstecken, verspricht Althusmann. Er würde strafrechtlich relevanten Betrug schonungslos aufdecken, sollte er Kenntnis davon erlangen.
    Verbales abrüsten gefordert
    Stephan Weil sitzt in einem gecharterten VW-Bus, der ihn zur nächsten Wahlkundgebung bringt. Er spricht von einem "brandgefährlichen" Vorhaben des Herausforderers, der das Risiko immenser Regressansprüche wohl kaum zu Ende gedacht habe. Und mehr als das:
    "Wenn Vertreter des Landes Informationen, die sie als Aktionäre erhalten, gegen das Aktienrecht weiterverbreiten, stellt das das Vertrauen in die Seriosität des Landes Niedersachsen und seiner Vertreter in Frage. Es gibt innerhalb des Konzerns sicherlich durchaus relevante Kräfte, die könnten sich Volkswagen sehr, sehr gut ohne den Anteilseigner Niedersachsen vorstellen. Denen sollte man keine Munition liefern!"
    Althusmann und Weil sprechen von Haltung, von Vertrauen - beides zurzeit Reizwörter in Niedersachsen nicht nur im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion über Volkswagen.
    Den Verdacht zum Beispiel, er selbst könnte die grüne Überläuferin Twesten mit einem Lockangebot quasi zum "Verrat" animiert haben, weist Althusmann mit Inbrunst zurück. Klar ist: Das undurchsichtige Manöver hat dem Herausforderer nachhaltig geschadet. Auf CDU-Veranstaltungen bekunden auch Menschen, die der Partei zugeneigt sind, ihren Unmut:
    "Ich habe eigentlich immer CDU gewählt. Aber die Sache, die hier gelaufen ist, mit diesem Wechsel der Grünen, dass die CDU dadurch eine Regierung kippt, macht mir ein bisschen Bauchweh!"
    Und dieser junge Anzugträger, der in einer der vorderen Reihen lauscht, mahnt dringend alle Beteiligten, im Krieg der Worte abzurüsten.
    "Ich bin ganz ehrlich ein ganz guter Freund von der Jamaika-Koalition. Vielleicht haben wir auf Bundesebene Glück, dass das ´ne ganz gute Europapolitik bringt, ´ne ganz gute Öko-Politik bringt und gleichzeitig ´ne relativ liberale Wirtschafts-Politik. Vielleicht klappt das auf Landesebene ja auch ganz gut."
    "Die Landesregierung hat hier kläglich versagt!"
    Im Bund mögen die Unterhändler bereits über solchen Planspielen brüten, in Niedersachsen wird noch bis Sonntag ein knallharter Lagerwahlkampf geführt.
    Zu wenige Lehrer, zu wenige Polizisten, zu wenig Wagemut: Der Herausforderer Althusmann wirft dem Amtsinhaber Weil vor, das nach der Fläche zweitgrößte und nach der Zahl der Einwohner viertgrößte Bundesland unter Wert zu regieren.
    "Wir müssen den Infrastrukturausbau voranbringen! Wir müssen die Landwirtschaft stärker stützen und nicht versuchen, ihr nur Knüppel zwischen die Beine zu schmeißen! Und zu guter Letzt muss natürlich das große Feld der Bildungspolitik dringend erneuert werden. Die Landesregierung hat hier kläglich versagt! Es fallen 600.000 Unterrichtsstunden aus!"
    Mit Althusmann hat die CDU in Niedersachsen ihren früheren Kultusminister ins Rennen um die Macht geschickt. Taktisches Wahlverhalten ist dem 50-Jährigen ein Graus, denn er will die 2013 als traumatisch empfundene Niederlage der CDU unter David McAllister korrigieren.
    Der Kampf um den Machterhalt der SPD
    Ende September: Zum Auftakt seiner Kampagne hat Stephan Weil in ein abgelegenes Restaurant im Nordharz eingeladen. Der Keyboarder spielt "Glück auf, der Steiger kommt". Das Ambiente: rustikal. Hirschgeweihe und gemalte Jagdszenen schmücken die Wände. An den Tischen rundum drängt sich das Publikum. Die Bürger haben Fragen auf Bierdeckel geschrieben, Stephan Weil antwortet.

    "Ich nehme an, die allermeisten hier im Raum haben schon einmal die Ina-Müller-Show gesehen? Ja, kann ich mir denken! Und Sie wissen auch was Ina Müller mit Bierdeckeln macht? Das mache ich auch, allerdings mit einer Einschränkung: Ich habe noch nie ´ne unanständige Frage bekommen!"
    Es geht im Folgenden um die großen und die kleinen Dinge, die Menschen bewegen.
    "Wird die Ackerstraße in Harlingerode saniert?"
    "Also, ich weiß es nicht!"

    Weil gibt sich nahbar, bodenständig. Er hat den Mut zur Lücke. Doch bei jeder Gelegenheit streut der Ministerpräsident seine Botschaften ein. Nach viereinhalb Jahren sei er mit sich und der Leistungsbilanz seiner rot-grünen Regierungsmannschaft im Reinen. Niemals habe es in Niedersachsen mehr Polizeibeamte und Lehrkräfte gegeben, der Haushalt sei saniert, die Abwanderung junger Leute gestoppt, der ewige Streit um das Schulsystem habe ein Ende gefunden. Lauter erfüllte Versprechen:
    "Der frühere Kultusminister und jetzige Bewerber der CDU für das Ministerpräsidentenamt hat das Turbo-Abitur eingeführt und der jetzige, und ich hoffe auch künftige, Ministerpräsident hat es abgeschafft. Das ist der Unterschied, meine Damen und Herren!"

    Weil kämpft um den Machterhalt – aus eigener Kraft. SPD-Parteichef Martin Schulz stößt erst am Donnerstag vergangener Woche für ein kurzes Gastspiel in Cuxhaven hinzu. Es ist sein erster öffentlicher Auftritt seit dem Wahldebakel am Sonntag, bei dem die Bundes-SPD nicht mehr als 20 Prozent Stimmanteil verbuchte.
    Der niedersächsische Ministerpräsident Weil auf dem Weg zurück in die Staatskanzlei
    Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil hat in Umfragen aufgeholt (dpa-Bildfunk / Peter Steffen)
    Auch an diesem Abend, in der Kugelbake-Halle gleich hinterm Deich, bringt Schulz unter dem solidarischen Beifall der Genossen zum Ausdruck, wie sehr ihm das historisch schlechte Ergebnis zusetzt.
    "Und wenn Du dann so´n Wahlergebnis einfährst, klar, dann bist Du erstmal down!"
    Umso wichtiger wäre jetzt ein Wahlerfolg in Niedersachsen! Und immerhin: Im letzten Niedersachsen-Trend von infratest dimap sprachen sich 45 Prozent der Befragten für eine SPD-geführte Landesregierung aus. Das ist etwas weniger als in den Umfragen zuvor – aber die CDU wollen nur 37 Prozent der Befragten an der Spitze einer neuen Landesregierung sehen – ebenfalls ein leichtes Minus. Das spricht nicht für eine ausgeprägte Wechselstimmung in Niedersachsen.