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Landtagswahl
Richtungsweisend, nicht nur für Hessen

Bei der Landtagswahl am Sonntag geht es nicht nur darum, ob Volker Bouffier (CDU) als Ministerpräsident weiter mit einem schwarz-grünen Bündnis regieren kann. Auswirkungen werden auch in der Bundespolitik erwartet, denn die Parteien der Großen Koalition in Berlin werden wohl wieder Stimmen verlieren.

Von Ludger Fittkau | 23.10.2018
    Hessen, Bad Vilbel: Die Spitzenkandidaten Janine Wissler (Die Linke, l-r), René Rock (FDP), Priska Hinz (Bündnis 90/Die Grünen), Volker Bouffier (CDU), Ministerpräsident des Landes Hessen, Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD), und Rainer Rahn (AfD) stehen zu Beginn einer Diskussionsrunde im Besucherzentrum von Radio Tele FFH
    Die Spitzenkandidaten der Landtagswahl in Hessen: Janine Wissler (Die Linke, l-r), René Rock (FDP), Priska Hinz (Bündnis 90/Die Grünen), Volker Bouffier (CDU), Ministerpräsident des Landes Hessen, Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD), und Rainer Rahn (AfD) (dpa/ picture alliance/ Arne Dedert)
    "Da kommt doch jetzt ein großer Bus, oder nicht? Oder ist das etwas anderes?"
    Nein, es ist nichts anderes. Es ist der große, schwarz-gestrichene Wahlkampfbus von Volker Bouffier, der langsam Richtung Bierzelt rollt. Einige hundert Meter vor dem Versammlungsort steigen der hessische CDU-Ministerpräsident und seine Frau Ursula aus dem Bus und spazieren vor dem langsam hinterher rollenden Gefährt am Zaun des Sportplatzes entlang, auf dem das Bierzelt steht. Das Ehepaar Bouffier macht kurz bei einer Gruppe Journalisten halt, bevor es das gut gefüllte Zelt betritt: "Es ist ein ganz besonderer Tag hier. Vor fünf Jahren waren wir auch hier und das war eine prima Veranstaltung. Und deswegen freue ich mich, dass wir das wieder hier machen. Und das beflügelt uns und das ist ein besonders guter Ort."
    Die Stimmung ist gut. Die Moderatorin heißt Caroline Bosbach und ist die Tochter des früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Bosbach: "Standing Ovations, wie sich das gehört. Das haben sie genau richtig gemacht. Herzlich willkommen! Schön dass sie bei uns sind, Ursula Bouffier, Volker Bouffier."
    "Wir dringen mit unseren hessischen Themen nicht durch"
    Doch so freundlich der Empfang in der Kleinstadt Obertshausen im Osten des Rhein-Main-Gebietes ist: Der Ort ist auch gleichzeitig ein Symbol für die speziellen Probleme, mit denen Volker Bouffier in diesem Landtagswahlkampf zu kämpfen hat. Denn Obertshausen liegt nur knapp 20 Kilometer von der Landesgrenze zu Bayern entfernt. Der bayerische Landtagswahlkampf samt Widerhall in Berlin hat den Wahlgang in Hessen monatelang überlagert. Volker Bouffier: "Und da muss man auch nicht drum herum reden, das merke ich jeden Tag. Ich bin ja viel unterwegs und auch sehr viel im Wahlkampf. Wir dringen mit unseren hessischen Themen nicht durch.
    Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU)
    Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) macht insbesondere Horst Seehofer für die schlechten Umfrageergebnisse verantwortlich. (dpa/picture alliance/ Emmanuele Contini)
    Auch wenn sich Horst Seehofer jetzt nach der Bayernwahl selbstkritisch gibt: Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier macht insbesondere seinen ehemaligen Amtskollegen im südlichen Nachbarland dafür verantwortlich, dass in Hessen eine Wiederauflage der schwarz-grünen Koalition nach allen Umfragen der letzten Monate sehr fraglich ist: "Gefühlt ging das Ganze ja schon seit der Bundestagswahl. Dann gab es endlich eine neue Regierung. Und als die so einigermaßen begonnen haben, hat dann Horst Seehofer einen Streit vom Zaun gebrochen, der uns ja nun auch extrem viel Kraft gekostet hat und auch Vertrauen."
    Doch nun hofft Volker Bouffier, dass aus Berlin und München bis zur Wahl am kommenden Sonntag keine weiteren Querschüsse mehr kommen: "Alle haben mir versichert, dass sie sich jetzt um Hessen kümmern wollen, dass sie uns die Arbeit nicht erschweren, sondern erleichtern wollen."
    Streitthema Diesel-Fahrverbote
    Doch nicht nur Seehofer und die "Große Koalition" in Berlin haben Bouffier den Wahlkampf erschwert. Wenige Wochen vor der Wahl sorgt überdies ein Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden für großen Wirbel in Hessen. Demnach droht ab Februar 2019 ein mögliches Dieselfahrverbot für das gesamte Stadtgebiet von Frankfurt am Main. Davon wären wohl mehr als 100.000 Autopendler betroffen.
    Auch für das drohende Diesel-Fahrverbot ist das Wahlkampf-Bierzelt in Obertshausen ein Symbolort. Denn auch von hier aus pendeln jeden Tag viele hundert Menschen mit dem Pkw ins nahegelegene Frankfurt am Main. Der Ministerpräsident Volker Bouffier weiß, dass sofort gehandelt werden muss, um die Folgen des Urteils für die Dieselfahrer im Rhein-Main-Gebiet abzumildern. Deshalb klagt die schwarz-grüne Landesregierung gegen den Verbots-Entscheid des Wiesbadener Verwaltungsgerichts. Gleichzeitig hat Bouffier gemeinsam mit den grünen Ministern in seiner Regierung der Bundesregierung einen Brief geschrieben. Berlin soll schleunigst klarstellen, was die Ergebnisse des Diesel-Gipfels vor einigen Wochen nun konkret für Frankfurt am Main bedeuten, fordert Volker Bouffier:
    "Den Brief, den ich mit meinen Kollegen an die Bundesregierung geschrieben habe, den haben wir deshalb geschrieben, weil bei den Maßnahmen, die die Koalition vereinbart hat und die ja auch auf dem richtigen Weg sind – also Nachrüstung für die Handwerker, für die Flotten, für die Müllautos, für die Busse, das ist alles richtig. Dazu brauchen wir aber nähere Angaben. Wir müssen wissen, wie das im Einzelnen funktionieren soll, wie die Größenordnungen sind, damit wir hier in unserer Arbeit des Luftreinhalteplans das aufnehmen können. Und ich bin da zuversichtlich. Denn es ist sehr schwer für die Bevölkerung zu überschauen, was das einzelne eigentlich alles bedeutet. Und am Ende muss klar sein: Wir wollen keine Fahrverbote, wir wollen die Grenzwerte einhalten und wir wollen nicht, dass der Dieselfahrer der Dumme ist."
    Doch genau der könnte der Dumme sein. Das befürchtet auch René Rock. Er ist der Spitzenkandidat der hessischen FDP, auf die CDU und Grüne laut der Wahlprognosen künftig wohl angewiesen sein werden, wenn sie ihre gemeinsame Regierungsarbeit fortsetzen wollen.
    "Es ist erst einmal eine Katastrophe für die Landesregierung. Wir sind seit drei Jahren verklagt. Die Landesregierung hat nie durchblicken lassen, dass es ein Problem sein könnte. Es gab keine Regierungserklärung, es gab keine Ausschusssitzung zu dem Thema. Plötzlich kommt das Urteil in einer Härte, wie es nirgend wo sonst in Deutschland gefallen ist. Das ist ein Hinweis, dass die Landesregierung sich hier scheinbar nicht bemüht hat. Auch ein kleiner Fingerzeig an die Stadt Frankfurt, da hätte man wohl auch mehr machen können. Und was passiert jetzt in Hessen nach diesem Urteil? Es wird kein Krisenstab eingerichtet, es wird sich nicht vorbereitet. Man musste die Regierung zum Jagen tragen, also dass Rechtsmittel überhaupt eingelegt werden. Es ist schon unfassbar, wie wenig die Landesregierung diese Krise für Hessen überhaupt auf ihre Agenda setzt."
    Bouffier sieht die Autoindustrie in der Pflicht
    Volker Bouffier versucht, die Autoindustrie in die Pflicht zu nehmen. Diese müsse die notwendigen Umrüstungen von Diesel-Pkw bezahlen, damit das Fahrverbot für Frankfurt am Main noch verhindert werden kann:
    "Ich halte das für richtig. Das ist keine Überforderung der Automobilindustrie. Ganz im Gegenteil. Die haben glänzend verdient, was mich freut. Ich will eine starke Automobilindustrie. Ich will diese guten Arbeitsplätze. Aber man kann nicht in Amerika Milliarden bezahlen dafür, dass man dort nicht in den Knast geht und hier in Deutschland sagen: Na ja, liebe Autofahrer, na da habt ihr halt Pech gehabt! Das kann ich nicht akzeptieren."
    An diesem Punkt stimmt Thorsten Schäfer-Gümbel vorbehaltlos zu. Ansonsten versucht der sozialdemokratische Herausforderer Bouffiers, Themen zu setzen, mit der die SPD sich vom Profil der schwarz-grünen Regierung möglichst deutlich unterscheidet.
    Das sind vor allem Bildung und Wohnen. Die SPD verspricht flächendeckend auf Wahlplakaten eine Modernisierung maroder Schulbauten und mehr sozialen Wohnungsbau. Insbesondere beim Thema Wohnungsbau bietet die CDU in Hessen in der Tat Angriffsfläche für die SPD. Denn der sozialdemokratische Oberbürgermeister von Frankfurt am Main will am Rand der Metropole einen ganz neuen Stadtteil für 30.000 Menschen schaffen, um die eklatante Wohnungsnot im Ballungsraum zu lindern. Dagegen protestieren jedoch viele CDU-Ortsverbände der anliegenden, oft wohlhabenden Nachbargemeinden am Taunusrand. Sie befürchten, die Großstadt rücke dem Umland zu nahe. SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel greift diese auch in der CDU umstrittene Haltung bei einer der letzten Landtagsdebatten vor der Wahl dankbar auf:
    "Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es gibt Geschichten, die kann man sich eigentlich gar nicht ausdenken, aber manchmal passieren sie wirklich. Da rufen 14 Ortsverbände der Christlich-Demokratischen Union in Hessen zu einer Demonstration gegen bezahlbares Wohnen in Frankfurt auf. So etwas hat Hessen schon lange nicht mehr gesehen. Der Ministerpräsident schweigt dazu. Ich nenne das Wirklichkeitsverweigerung in einem Maße, die schädlich ist gegenüber den Menschen, die nach bezahlbarem Wohnraum suchen."
    Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender Bundesvorsitzender und hessischer Landesvorsitzender der SPD, spricht am 16.12.2017 in Erfurt (Thüringen) beim außerordentlichen Landesparteitag der SPD. Die Sozialdemokraten wollen sich mit der gestoppten Kreisreform in Thüringen sowie der Regierungsbildung in Berlin beschäftigen.t
    Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender Bundesvorsitzender und hessischer Landesvorsitzender der SPD (picture alliance / dpa / Michael Reichel)
    Demonstrationen für bessere Bildung
    "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut.."
    Mehr als 1.000 Schüler, Eltern und Lehrer demonstrieren vor der Alten Oper in Frankfurt am Main für ein 500 Millionen-Sofortprogramm für bessere Bildung in Hessen. Es ist neben einer Demonstration für mehr Sozialwohnungen eine der größten öffentlichen Kundgebungen vor der Landtagswahl. Aufgerufen zu der Protestkundgebung hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Hessen. Beklagt wird insbesondere der marode Zustand der Schulgebäude im ganzen Land.
    "Eigentlich ist unser Hauptproblem, dass wir an der Stelle zu wenig Geld haben, um die Schulen in einen Zustand zu versetzen, in dem Lernen und Arbeiten Spaß macht."
    "Die Fliesen fallen, die Verkleidungen fallen von den Wänden. Die Kinder können nicht richtig auf die Toiletten gehen. Zu Hause können wir auch auf die Toilette gehen, das kann man in den Schulen nicht unbedingt."
    "Es fehlt an Material, es fehlt an allem. Die Schulen werden nicht saniert, die Toiletten sind auch in einem ganz schrecklichen Zustand. Die Kinder haben sich schon beschwert. Es muss auf jeden Fall mehr Geld reingesteckt werden."
    "Das ist tatsächlich auch erst ein Sofortprogramm, weil, das weiß man auch, es würde allein für die Sanierung der schulischen Gebäude nur in Frankfurt überhaupt nicht ausreichen. Es ist ein Sofortprogramm, um die nötigsten Löcher erst einmal zu stopfen."
    Die hessische SPD benennt das Thema auf ihren Wahlplakaten offensiv. Die CDU kontert damit, für den Zustand der Schulgebäude seien zumeist die Kommunen und Landkreise zuständig, nicht die Landesregierung. Außerdem seien doch so viele Lehrer in Hessen beschäftigt, wie noch nie. Aktuelle Umfragen vor der Landtagswahl besagen, dass die Bildung für die Hessen das wichtigste Thema ist - noch vor der Asylpolitik.
    AfD setzt Schwerpunkt auf Asylpolitik
    Dieses Thema greift vor allem die AfD in ihren Wahlplakaten auf. Sie fordert ein konsequentes Abschieben von Flüchtlingen. 4.000 neue Polizisten möchte die Partei in Hessen einstellen, um mehr Sicherheit im öffentlichen Raum zu schaffen. Außerdem soll der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk abgeschafft werden. Der AfD-Landesvorstand empfiehlt seinem Spitzenkandidaten Rainer Rahn jedoch, an einer Aktion teilzunehmen, die der Hessische Rundfunk anbietet. Die Spitzen-Kandidaten der Parteien sollen zu einem so genannten "Blind Date" mit einer Wählergruppe fahren, die inhaltlich besonders weit vom jeweiligen Politiker entfernt steht. Die Kandidaten wissen jedoch vorher nicht, auf welche Wähler sie treffen werden. Ein Reporter des Hessischen Rundfunks spricht den AfD-Spitzenkandidaten Rainer Rahn während der Fahrt an.
    "Haben sie so was schon mal mitgemacht, was wir jetzt hier machen?
    (Rahn): "Nee!"
    (Reporter): Und wie finden sie das?
    (Rahn): "Scheiße."
    Der AfD-Spitzenkandidat ist sichtlich schlechter Laune. Die Aktion des Hessischen Rundfunks bricht er noch auf der Autobahn ab, als ihm die Fahrt zu lange dauert. Was er verpasst, ist ein Gespräch mit Flüchtlingshelferinnen in Wetzlar und einem Flüchtling. Die Enttäuschung dort ist groß, berichtet der Hessische Rundfunk. In Wetzlar hatte man sich auf das Gespräch intensiv vorbereitet und eigens das Wahlprogramm der AfD gelesen:
    Frau1: "Das finde ich respektlos, muss ich wirklich sagen."
    Frau 2: "Gegenüber allen."
    Flüchtling: "Ich hatte mich sehr gefreut, mit jemandem, der tatsächlich Ahnung hat und damit was zu tun hat, so ein paar Fragen zu stellen, die ich mich ständig frage."
    Reporterin: "Was wäre das gewesen?"
    Flüchtling: "Ja, also, im Prinzip: Warum sollen wir hier nicht sein?"
    Linke steht für grün-rot-rotes Regierungsbündnis bereit
    Auch sogenannte Armutsflüchtlinge haben das Recht hier zu sein. Das findet Janine Wissler. Sie ist die Spitzenkandidatin der hessischen Linkspartei und stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken. Bei der Flüchtlingsfrage grenzt sie sich klar von Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine ab. Wissler findet, man dürfe nicht deutsche Arbeitsplatzbesitzer und Geflüchtete gegeneinander ausspielen. Die Linke, findet sie, müsse deutlich machen "dass die guten Löhne und die Tarifverträge nicht dadurch gefährdet sind, dass mehr Migranten auf dem Arbeitsmarkt sind, sondern dass der Arbeitsmarkt dereguliert wurde. Und immer deutlich zu machen, ja, die Grenze verläuft zwischen oben und unten."
    Etwa zwischen Wohnungsspekulanten und Sozialmietern. Wie für die SPD ist auch für die Linkspartei in Hessen deutlich mehr sozialer Wohnungsbau im Land eine Kernforderung. Sollten die Grünen bei der Wahl am kommenden Sonntag tatsächlich vor der SPD liegen, wie es die letzten Prognosen möglich erscheinen lassen – die linke Spitzenkandidatin Janine Wissler stünde für ein grün-rot-rotes Regierungsbündnis bereit. Eines ihrer Themenfelder ist die Wissenschaftspolitik. Die gelernte Politologin fordert künftig eine deutlich verbesserte Grundfinanzierung der hessischen Hochschulen – vor allem mehr Hochschullehrer: "Ja, das Betreuungsverhältnis an den hessischen Hochschulen ist schlecht und das wird zunehmend schlechter. Und das liegt natürlich daran, dass die Hochschulen chronisch unterfinanziert sind, dass die Studierendenzahlen steigen, aber das den Hochschulen das nicht finanziert wird. Für Exzellenz-Programme, da sind in den letzten Jahren hunderte von Millionen auch an Landesmittel reingeflossen. Aber diese Mittel werden eben nicht in Form der Grundfinanzierung verteilt, sondern diese Mittel werden wettbewerblich vergeben. Das ist eine zu tiefst ungerechte Verteilung von Mitteln und deswegen sagen wir zum einen, mehr Geld für die Hochschulen, aber auch, sie müssen anders verteilt werden, nämlich nicht nach Exzellenz und Wettbewerb, sondern eben, sie müssen ins Grundbudget fließen, damit sie Lehre und Forschung auch zu Gute kommen."
    Bildung und Klimawandel: Die zentralen Themen der Grünen
    Bildung – das ist auch ein zentrales Thema für den Wahlkämpfer Tarek Al Wazir. Der grüne Spitzenkandidat für die hessische Landtagswahl ist amtierender Wirtschaftsminister. Auf einer Ausbildungsmesse in Frankfurt am Main wirbt er dafür, dass Mädchen auch den Mut haben, technische Berufe zu ergreifen:
    "Das ist die große Herausforderung, dass die Jungs nicht nur Kfz-Mechatroniker werden wollen und die Mädchen nicht nur Friseurinnen. Das ist die große Herausforderung. Ihr Gefühl, in Anführungszeichen, wie viele dieser Ausbildungsplätze bleiben inzwischen unbesetzt, gibt es da welche? Also die Situation ist glaube ich insgesamt so, dass wir zum einen zum ersten Mal im letzten Jahr ein Plus haben. Aber es wäre überhaupt kein Problem auch im Elektro-Handwerk mindestens noch 500, 600 Jugendliche in Hessen unterzubringen. Es wäre überhaupt kein Problem, nur die gibt es einfach nicht. Sie sind einfach nicht da. Und da liegt unser Problem."
    Wahlkampfendspurt. Die Bayernwahl hat auch die hessischen Grünen noch einmal beflügelt, sagen die Umfrageforscher. Tarek Al Wazir könnte am kommenden Sonntag in Hessen der eigentliche Wahlsieger werden. Seine Partei liegt in den Umfragen bei rund 20 Prozent Stimmenanteil und könnte sogar an der SPD vorbeiziehen.
    Die Spitzenkandidaten der Grünen für die Landtagswahl in Hessen, Priska Hinz und Tarek Al-Wazir, vor einem Wahlkampfplakat, das die beiden zeigt und mit dem Slogan "Haltung zeigen: Vernunft statt Populismus" versehen ist
    Die Spitzenkandidaten der Grünen für die Landtagswahl in Hessen, Priska Hinz und Tarek Al-Wazir, beim Wahlkampfauftakt der Grünen Hessen (picture alliance/ dpa/ Andrea Löbbecke)
    Wenn dies so wäre, hätte Tarek Al Wazir Chancen, in einer Dreier-Koalition mit SPD, FDP oder der Linkspartei, Ministerpräsident zu werden. Der Grüne ist seit langem der beliebteste Politiker Hessens. Nicht Volker Bouffier profitiert von der vergleichsweise großen Zufriedenheit der Wähler mit der schwarz-grünen Regierungsarbeit der letzten fünf Jahre, sondern die Grünen. Tarek Al Wazir:
    Gute Umfragewerte: "Eine Bestätigung für unsere Arbeit"
    "Wenn sie sich die Umfragen anschauen und mal vergleichen zwischen den Bundesländern, dann fällt eines auf: Die Hessinnen und Hessen sind zufriedener mit ihrer Landesregierung, als die Bürgerinnen und Bürger in anderen Bundesländern. Wenn sie mal Bayern neben Hessen legen, fällt ihnen das ganz besonders auf. Ich glaube, im letzten Hessentrend war der höchste Zufriedensheitswert mit der Landesregierung, seitdem es den Hessentrend gibt - das sind 20 Jahre. Und das ist eine Bestätigung für unsere Arbeit."
    Gemeinsam mit den Spitzenkandidatinnen und Kandidaten aller anderen bisher im hessischen Landtag vertretenden Parteien grenzt sich Tarek Al Wazir scharf von jedem neuen Nationalismus ab: "Wir erleben ja international eine Verrohung der politischen Sitten. Wir erleben auch national Angriffe von Rechtsaußen auf unser demokratisches Deutschland, auf die weltoffene, die vielfältige Gesellschaft. Und wir glauben, dass es da etwas gegen Populismus gibt, nämlich Vernunft."
    Die Grünen setzen im Wahlkampf besonders auf das Thema Klimawandel. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, die Wiederinbetriebnahme stillgelegter Bahnstrecken in der Fläche oder der Bau von Schnellradwegen im Rhein-Main-Gebiet sollen den Ausstoß von Autoabgasen reduzieren helfen. Neben Tarek al Wazir ist Priska Hinz, die hessische Umweltministerin, gleichberechtigte Spitzenkandidatin der Grünen: "Wir stehen vor einer klimapolitischen Katastrophe. Und es gibt keinen Klimaschutz ohne uns Grüne. Erst seit wir regieren gibt es Klimaschutz in Hessen. Wir haben einen Klimaschutzplan vorangebracht. Und wenn wir in die große Koalition schauen, dann sehen wir, wie Klimaschutz vor die Hunde geht. Wir werden unser Klimaschutzziel 2020 reißen, weil es zum Beispiel keinen Kohleausstieg gibt. Wir werden uns auch dafür einsetzen in Hessen, dass Klimaschutz ins Grundgesetz kommt. Das ist auch eine wichtige Forderung von uns für die Wahl."
    Das Klima zwischen Grünen und CDU in der hessischen Landesregierung stimmt auch während des Wahlkampfs weiterhin – das zeigt sich etwa im Bierzelt in Obertshausen. Dort ist es Ursula Bouffier, die Frau des Ministerpräsidenten, die offen für eine Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition wirbt. Schon deswegen, scherzt sie, weil sie ihren Mann künftig nicht allzu oft zuhause sehen will: "Zu Hause, da muss immer etwas passieren. Er ist nun absolut kein Typ, so wie man das nennt, so eine Couch-Potato. So einen Tag mal nix tun, faul sein, Fernsehen gucken. Das kann er echt nicht. Ich kann das schon. Er nicht. Es muss immer etwas passieren. Und wenn es dann irgendein Zimmer ist, was lange nicht entstaubt worden ist, das Gerümpel raus und so weiter. Das ist eines seiner Lieblingshobbies, wenn er mal wirklich nichts zu tun hat."
    Volker Bouffier will weiter um jede Stimme kämpfen, gemeinsam mit Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer. Sein Wahlergebnis, das weiß Bouffier als stellvertretender Bundesvorsitzender, wird auch weit über Hessen hinaus Bedeutung haben. Auch für die Bundes-CDU:"Die Menschen vertrauen einer Partei, ohne dass sie alle Details übersehen. Sie vertrauen auch einer Regierung oder sie vertrauen nicht. Und wenn es dann umkippt, dann wird aus Vertrauen Misstrauen. Und wenn dann das Misstrauen regiert, dann haben sie große Mühe, dann noch Vernunft walten zu lassen."