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Larry Clark: Nur für Erwachsene

Radikal realistisch dokumentiert Larry Clark das Leben amerikanischer Jugendlicher - von der Drogenszene in seiner Heimatstadt Tulsa in den 60er-Jahren bis zu den Latino-Gangs im Los Angeles von heute. Aus Angst vor einem juristischen Nachspiel ist Jugendlichen der Zutritt zur Pariser Fotoausstellung verboten.

Von Kathrin Hondl | 07.10.2010
    "Kiss the past hello" hat Larry Clark seine Pariser Ausstellung genannt – eine Abwandlung von "Kiss the past goodbye", was wiederum übersetzt so viel heißt wie "Tabula rasa machen mit der Vergangenheit".

    Es beginnt mit Produkten aus dem elterlichen Fotostudio in Oklahoma, wo Larry Clark schon mit 14 als Assistent jobbte. Mutter Clark war spezialisiert auf bunt kolorierte, süßliche Porträts von Kleinkindern und Haustieren. Der Kontrast könnte heftiger nicht sein zwischen den kitschig inszenierten Auftragswerken und Larry Clarks eigenen Fotos: Radikal realistisch dokumentiert er das Leben amerikanischer Jugendlicher - von der Drogenszene in seiner Heimatstadt Tulsa in den 60er-Jahren bis zu den Latino-Gangs im Los Angeles von heute.

    Der ganz normale, gelegentlich brutale Alltag orientierungsloser Kids: Clarks Bilder zeigen junge Menschen beim Erwachsenwerden und bei der Selbstzerstörung, beim Hantieren mit Drogen und Waffen, beim Rumalbern und Posen, beim Skaten und auch beim Sex: Zum Beispiel einen Jungen und ein Mädchen nackt knutschend, er sichtbar erregt, beider Hände im Einsatz. Das Schwarz-Weiss-Foto des Petting-Pärchens aus dem Jahr 1972 gehört zu den bekanntesten Bildern von Larry Clark - und zu jenen, die jetzt dazu geführt haben, dass die Pariser Ausstellung für Minderjährige verboten ist. Eine Entscheidung der Juristen der Stadt Paris - aus Furcht vor möglichen Protesten und Klagen. Museumsdirektor Fabrice Hergott:

    "Es ist das erste Mal, das so etwas passiert. Man merkt daran, dass sich die Gesellschaft verändert hat. Es gibt ein Unbehagen mit der Sexualität. Denn bei Larry Clark geht es um gelebte Sexualität und nicht um pornografische Inszenierungen. Mit dem, was man gewöhnlich Pornografie nennt, hat das nichts zu tun. Diese gelebte Sexualität ist möglicherweise etwas, was heute als störend empfunden wird."

    Das Verbot für Minderjährige hat nun schon vor der Vernissage die öffentliche Aufmerksamkeit allein auf die Bilder gerichtet, auf denen Jugendliche beim Sex zu sehen sind. In der Ausstellung dagegen muss man diese meist kleinformatigen Bilder schon fast suchen.

    Sex ist nicht Mittelpunkt, sondern ein – natürlich wichtiger – Teil des Lebens der Kids, das Larry Clark so eindringlich dokumentiert. Ein ganzer Saal zum Beispiel zeigt mit großformatigen, manchmal überlebensgroßen Abzügen in intensiven Farben die Entwicklung von Jonathan Velasquez, einem Latino-Jungen in Los Angeles, den Larry Clark im Alter von 14 bis 21 immer wieder fotografiert hat.
    Wir sehen Jonathan in Unterwäsche mit seiner Freundin, mit seiner Gang martialische Gesten markierend, allein und nackt im Sonnenlicht oder schlafend, noch ganz Kind, unter einer Decke mit Winnie The Pooh-Motiv. Larry Clark sieht das Verbot seiner Ausstellung für Minderjährige als "Attacke der Erwachsenen gegen die Jugendlichen", die bedeute: Geht auf euer Zimmer und schaut euch lieber den ganzen Dreck im Internet an. Auch Museumsdirektor Fabrice Hergott wirkt bitter, wenn er sagt:

    "Tatsächlich haben Jugendliche Zugang zu den vulgärsten Pornos – Bilder von großer Qualität sind ihnen leider verboten. Das ist ein bisschen schade. Das Gesetz schafft diese paradoxe Situation."

    2007 wurde in Frankreich das Jugendschutzgesetz verschärft, darauf beziehen sich heute die, die das "Unter 18"-Verbot für die Larry Clark-Ausstellung befürworten. Kritiker des Verbots dagegen - wie die Fraktion der Grünen im Pariser Stadtparlament - sprechen von "Selbstzensur". Denn vor drei Jahren - als das verschärfte Jugendschutzgesetz auch schon galt - zeigte die "Maison européenne de la Fotografie" in Paris eine Larry Clark-Ausstellung ohne Altersbeschränkung. Und ohne juristische Konsequenzen. Der "ideologische" Kontext habe sich geändert, behauptet der Bürgermeister von Paris.

    Damit meint er wohl einerseits die gesteigerte Sensibilität in Bezug auf Kindesmissbrauch und Kinderpornografie. Andererseits aber auch den "ideologischen Kontext", mit dem der Kunstbetrieb in Frankreich seit Jahren zu kämpfen hat. Immer wieder protestieren und prozessieren nämlich Vereine und Bürgerinitiativen aus dem politisch rechtsextremen Lager gegen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst – wie zuletzt gegen Werke von Jeff Koons oder Takeshi Murakami im Schloss von Versailles.

    Eine Ausstellung zum Thema Kindheit und Gegenwartskunst, die vor zehn Jahren in Bordeaux gezeigt wurde, hatte ein juristisches Nachspiel, das noch immer nicht zu Ende ist. Ein Kinderschutz-Verein brachte die Kuratoren vor Gericht - Verbreitung von Pornografie und Gefährdung von Kindern und Jugendlichen lautete der Vorwurf. Es ging um Arbeiten so renommierter Künstler wie Nan Goldin, Robert Mapplethorpe oder Ugo Rondinone – sexuell explizite Kunstwerke, auf die aber in der Ausstellung mit entsprechenden Warnschildern hingewiesen und die in gesonderten, für Kinder nicht zugänglichen Bereichen zu sehen waren. Die Kinderschützer zogen trotzdem vor Gericht.

    Aus Furcht vor ähnlichen Klagen ist die Pariser Larry Clark-Ausstellung nun Minderjährigen ganz verschlossen. Larry Clark allerdings hat einen guten Tipp für Jugendliche, die seine Ausstellung trotzdem sehen wollen: Die sollen sich Mütze und Schal anziehen, Schnurrbart ankleben - dann kämen sie schon rein.

    Weitere Informationen:
    Musee d'Art Moderne de la Ville de Paris:Larry Clark - Kiss the past hello (8.10.2010 - 2.1.2011)