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Lauftraining für Gelähmte

Außen liegende Knochengerüste, sogenannte Exoskelette, sind im Tierreich nicht selten. Inzwischen gibt es Exoskelette als eine Art Roboteranzug auch für Menschen. Welche Chancen sie Querschnittsgelähmten eröffnen, soll eine unabhängige Studie am Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum klären.

Von Thomas Reintjes | 27.02.2013
    Nicole Holland sitzt im Zentrum für Neurorobotales Bewegungstraining. Gerade werden ihr Elektroden auf die Beuger und Strecker der Beinmuskulatur geklebt. Die Elektroden sollen gleich Signale von diesen Muskeln erfassen. Nicole Holland kann ihre Beinmuskulatur zwar bewusst, aber nur bedingt einsetzen. Sie ist seit einem Unfall vor 18 Jahren teilweise querschnittsgelähmt und auf den/einen Rollstuhl angewiesen.

    "Ich bin Karnevalssamstag von der Arbeit gekommen. Also ich wollte eigentlich bremsen, aber ich habe Vollgas gegeben und da hat der Wagen sich überschlagen. Und da bin ich dann halt da raus und der Wagen ist dann über mich drüber und hat mir dann halt im ersten Lendenwirbel einen Trümmerbruch verursacht."

    Mit Klettverschlüssen befestigen die Therapeuten die Schienen des Exoskeletts an der Hüfte und den Beinen von Nicole Holland. Die Elektroden an der Beinmuskulatur werden per Kabel mit der Steuerelektronik im Rückenpart verbunden. Elektromotoren auf Höhe der Gelenke steuern die Bewegung. Der Chirurg Mirko Aach betreut die Untersuchungen:

    "Bei den teilquerschnittgelähmten Patienten sind die Bewegungen ja unvollständig, und sozusagen die Muskelkontraktionen, die erkannt werden vom Exoskelett, werden als Bewegungsidee erkannt und die Bewegung wird einerseits natürlich kraftmäßig unterstützt und andererseits vervollständigt."

    Nicole Holland steht auf dem Laufband, ein wenig entlastet von einer Art Klettergurt, der an der Decke hängt. Das Laufband setzt sich in Bewegung.

    Nach einer Woche Training sind die Bewegungen noch nicht ganz rund. Die Physiotherapeutin Irene Lange gibt ihr Tipps, wenn ein Bein nicht das macht, was es soll.

    "Versuch mal langsamer in die Streckung zu gehen. Kontrollier mal dein... Genau, das ist viel besser."

    Zwischendurch misst sie immer mal wieder Puls und Blutdruck. Alles wird genau protokolliert. 500 Meter schafft Nicole Holland heute mit dem Exoskelett. Dann folgt noch ein Gehtest mit Krücken. Sie macht Fortschritte, braucht heute viel weniger Schritte für die gleiche Strecke als noch vor einer Woche. Doch ob das Training mit dem Exoskelett wirklich besser ist als herkömmliche Therapien, ist damit noch nicht geklärt.

    "Es gibt ein solches Lokomotionstraining schon seit etwa zehn Jahren mit einem sogenannten Lokomaten, also einem quasi fest montierten Exoskelett. Diese Ergebnisse gibt es, und man weiß, dass zum Beispiel das Laufen auf dem Laufband schneller, weiter und länger ist nach einer solchen Trainingstherapie. Man konnte aber bisher nicht zeigen, dass die Patienten auch funktionell besser werden. Und wir hoffen, dass wir mit diesem Gerät die Funktionalität ein bisschen verbessern können."

    Das hieße dann mehr Lebensqualität: Ein paar Schritte im Alltag selbstständig zurücklegen, ein paar Treppenstufen überwinden. Für manche Hersteller von Exoskeletten gehört das jetzt schon zu ihren Werbeaussagen. Doch diese Geräte gehen eher mit den Patienten als die Patienten mit ihnen. In Bochum sollen dagegen die Fähigkeiten der Probanden reaktiviert werden. Allerdings ist noch nicht klar, ob das Lauftraining Nicole Holland und den anderen Probanden wirklich große Verbesserungen bringen wird. Nicole Holland ist vorerst schon mit wenig zufrieden.

    "Man fühlt sich gut. Es ist halt einfach die Höhe. Das ist ein ganz tolles Gefühl. Dieses Oben-sein."