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Laurenz Meyer: Rücktritt Schröder vom Parteivoritz ist "Panik pur"

Detjen: Herr Meyer, wagen Sie an diesem Wochenende eine Prognose: Haben wir zum Ende dieses Jahres eine Bundeskanzlerin in Berlin?

Moderator: Stephan Detjen |
    Meyer: Nun, zumindest ist es so, dass seit dem Ende dieser Woche der Bundeskanzler, der derzeitige Bundeskanzler, sein eigenes Ende mit bekannt gegeben hat, denn die Entwicklung zeigt ja ganz deutlich, dass hier der Bundeskanzler gar nicht mehr in der Lage war, mit seiner eigenen Partei klarzukommen und jetzt im Grunde der Partei sein Amt vor die Füße geworfen hat. Das ist also so eine Art Trotzreaktion und gleichzeitig Panik pur. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf alle Fälle das Ende dieser Bundesregierung in dieser Woche eingeläutet gesehen haben.

    Detjen: Wie lange dauert es dann noch, bis eine neue Regierung kommt?

    Meyer: Das ist jetzt die große Frage, und für mich ist es eben für Deutschland ein riesengroßer Schaden. Es ist falsch eigentlich, hier über das Amt des Vorsitzenden der SPD zu reden an der Stelle. Das eigentliche Problem für Deutschland ist doch dieser Bundeskanzler in seinem Amt, und wer seine eigenen Mitglieder nicht überzeugen kann, der kann das sicher auch nicht in der Öffentlichkeit. Diese Agonie, die jetzt auf Deutschland zukommt, ist ja mit Händen zu greifen. Die SPD wird unter Führung von Müntefering, wenn er denn gewählt wird, eher in eine Abwarteposition gehen, in eine Nichtstun-Position. Und ab dem Moment ist Regierungshandeln ja praktisch gar nicht mehr möglich, also autonomes Regierungshandeln schon gar nicht. Zu allem und jedem müsste Müntefering gefragt werden. Es ist also im Grunde auch eine Regierung von Münteferings Gnaden, das muss man also mal sehen. Er ist so eine Art Oberwächter dann über den derzeitigen Bundeskanzler. Das Sauberste wären sicher Neuwahlen an der Stelle. Und ich muss auch mal den Appell an die Grünen richten. Wenn die Grünen also wollen, dass sie aus diesem Prozess sich halbwegs unbeschadet heraushalten können, dann müssen sie rechtzeitig die Kurve kriegen, um wirklich mit dafür zu sorgen, dass hier in Deutschland nicht die Dinge weiter ins Strudeln geraten.

    Detjen: Aber gewinnt Schröder, gewinnt die SPD in dieser Situation nicht doch durch den Schritt jetzt auch ein Stück neue Freiheiten? Schröder kann sich auf seine Aufgaben konzentrieren, Müntefering kann sich ganz darauf konzentrieren, die Partei in den Reformprozess einzubinden. Das ist ein Stück Bewegungsfreiheit.

    Meyer: Nun, das sehe ich – ehrlich gesagt – nicht so. Die gleiche Entwicklung haben wir im Grunde schon einmal bei einem sozialdemokratischen Kanzler erlebt, bei Helmut Schmidt, dem auch die eigene Partei weggelaufen ist. Und als das eingetreten ist, war es auch kurz vor dem Ende. Es ist die Unzufriedenheit in der eigenen Partei mit dieser Regierung. Der Ruf nach Austausch fast sämtlicher Minister aus der eigenen Partei wird immer lauter. Und die Leistungsfähigkeit dieser Minister ist ja auch zum Jammern, wenn man nur an solche Stichworte erinnert wie Maut oder Dosenpfand oder was weiß ich. Man könnte das ja mal durchgehen – ob Bildungspolitik, Forschung, Eliteuniversitäten. Jedes Thema wird versenkt, ob Frau Schmidt also die Gesundheitsreform versenkt und die Leute dadurch belastet und sie überhaupt keinen Sinn mehr einsehen . . .

    Detjen: . . . aber lassen Sie uns vielleicht noch mal beim Ablauf des Jahres bleiben. Sie sagen eine Agonie, einen Stillstand voraus. Aber eine gewisse Dramaturgie – wenn nicht Dramatik – ist ja auch durch die dichte Abfolge von Wahlen – von Kommunalwahlen bis zur Europawahl, Landtagswahlen – in diesem Jahr vorhergesehen. Das hat sicherlich auch zum Schritt Gerhard Schröders beigetragen. Es hat ja auch in der SPD die Frage gegeben: Wie viele Niederlagen können wir uns da eigentlich leisten? Es gab auch die Sorge, dass die SPD alle 14 Wahlen verlieren oder starke Einbrüche erleben könnte. Wie viele Wahlen kann Schröder überstehen, wenn er nicht Gewinne erzielt?

    Meyer: Nun, das Problem mit der Befürchtung, die Wahlen zu verlieren, ist ja nicht dadurch gekommen, dass hier Schröder als Parteivorsitzender der SPD der Auslöser war, sondern die Politik von Schröder und seiner Mannschaft in der Bundesregierung – als Bundeskanzler und als Bundesregierung mit der SPD zusammen. Das war die Position, die bei den Menschen draußen den Eindruck von Chaos aufkommen lässt und sie bestärkt, dass sie besser ihr Geld zurückhalten, weil sie Angst haben um ihren Arbeitsplatz und zusätzliche Belastung bei Rente, Gesundheit usw.. Und deswegen glaube ich, dass hier überhaupt nichts an Erfolg passiert ist, außer dass vielleicht Herr Müntefering mit einer etwas anderen Parteirhetorik mal zunächst sozusagen die Mitglieder anders ansprechen kann. Aber damit ändert sich ja Politik nicht.

    Detjen: Damit möchte er doch das Problem aufgreifen – die Parteimitglieder. Sie haben es gesagt: Das Problem ist, dass Schröder den Kontakt zur eigenen Partei verloren hat. Die muss wieder eingebunden werden.

    Meyer: Ja klar, aber die bindet man nicht ein dadurch, dass man hier was überstülpt. Das ist ja so geradezu synonym der Prozess am Freitag letzter Woche, dass also hier, ehe überhaupt irgendein Parteigremium getagt hat, wird der Presse bekannt gegeben und damit der Öffentlichkeit, wer neuer Bundesvorsitzender wird. Selbst bei einer solch entscheidenden Voraussetzung – dem Wahlrecht der Mitglieder in Personalfragen – entscheiden hier zwei oder drei Leute, was passiert.

    Detjen: Herr Meyer, Angela Merkel hat im vergangenen Jahr in ihrer Rede zum Tag der Deutschen Einheit gesagt: ‚Wir könnten, wenn wir wollten, Deutschland an die Wand fahren lassen’. Sie hat dann hinzugefügt: ‚Wir werden es aber nicht tun’. Das war ein Angebot zur Kooperation. Diese Möglichkeit, das Land gegen die Wand fahren zu lassen, besteht natürlich für eine Oppositionspartei umso mehr, je schwächer eine Regierung ist. Diese Situation hat sich jetzt noch einmal zugespitzt. Gilt diese Zusage, das Kooperationsangebot der Union, in dieser Situation nach wie vor genau so wie im letzten Herbst?

    Meyer: Ja, und das muss es auch. Das ist die Verantwortung für das Land, die wir haben, und das verstehe ich auch unter wohlverstandenem Patriotismus. Wir werden all das unterstützen und auch mit vorantreiben, was halbwegs in die richtige Richtung geht. Das Problem ist nur: Wie kann eine solche Regierung, wie wir sie jetzt eben haben, noch Dinge überhaupt vorantreiben und vorschlagen, die halbwegs in die richtige Richtung gehen. Wir müssen es tun, nicht nur, weil unsere Parteimitglieder oder unsere Anhänger das gar nicht anders verstehen würden. Es würde auch, wenn man wartet bis 2006, die Situation ja immer, immer schlimmer werden. Und wir sind jetzt schon abgehängt in Europa in vielen Entwicklungen, und dann ist die Entwicklung ohne soziale Brüche kaum noch zu verändern. Also, deswegen muss sich so schnell wie möglich der Zustand der Politik in Deutschland verändern. Und jeder kleinste Schritt, der vorher noch zu tun ist, der wird von uns mitgetragen.

    Detjen: Der nächste Schritt, der jetzt ganz konkret ansteht, ist das Thema ‚Zuwanderung’. Das war lange ein großes Streitthema. Es gibt da jetzt konkrete Verhandlungen. Da wird ja die Fähigkeit von Regierung und Opposition zur konstruktiven Zusammenarbeit in den nächsten Tagen – noch in diesem Monat – ganz konkret auf die Probe gestellt. Sind Sie da nach wie vor genau so optimistisch, wie es der Bundesinnenminister in der vergangenen Woche war?

    Meyer: Nun, da kommt es wesentlich darauf an, ob SPD und Grüne – insbesondere die Grünen – bereit sind, von einer Reihe von Positionen Abstand zu nehmen. Es gibt gewisse Anzeichen dafür. Und dann sind wir natürlich auch bereit. Wir haben ja unsere Konzepte, so detailliert wie kaum in einem anderen Bereich, selber vorgelegt. Wichtig ist für uns, dass nicht zusätzliche ungesteuerte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, insbesondere bei den ganz normalen Qualifikationen, wo Menschen hier in Deutschland arbeitslos sind, stattfinden kann.

    Detjen: Herr Meyer, Sie hatten eben den Vergleich zum Ende der Amtszeit von Helmut Schmidt angesprochen. Der Unterschied war ja, dass die Union damals einen neuen Koalitionspartner gefunden hat. Der Regierungswechsel wurde herbeigeführt, indem die FDP zur Union hinübergewechselt ist. Das ist ja jetzt nicht zu erwarten, oder würden Sie in der jetzigen Situation darauf setzen, dass Sie mit den Grünen ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Gerhard Schröder gewinnen würden?

    Meyer: Nun, die Situation ist sicher anders, weil hier nicht, wie bei der FDP damals, die Grünen die Kraft finden werden, sich zu lösen von dem sinkenden, trudelnden Schiff SPD. Und deswegen ja auch mein Appell an die Grünen, wirklich rechtzeitig darüber nachzudenken, ob nicht zum Beispiel Neuwahlen jetzt der richtige Schritt wären und ob sie dazu nicht einen Beitrag leisten wollen und können, um nicht noch stärker, als das bisher in der Öffentlichkeit zum Ausdruck gekommen ist, in die Mitverantwortung gezogen zu werden. Nur, die Gemeinsamkeit zu Helmut Schmidt ist, dass auch Helmut Schmidt nicht von der FDP, sondern von der eigenen Partei im Grunde in den Regen gestellt worden ist und damit nicht mehr weitermachen konnte.

    Detjen: Aber, um noch einmal auf die Grünen zurückzukommen: Es erscheint ja jetzt am Ende der Woche das in einem ganz anderen Licht, was uns Mitte der Woche beschäftigt hat, nämlich dass auf einmal von dem, von dem man es überhaupt noch nicht kannte – nämlich vom bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber –, Gedankenspiele über schwarz-grüne Koalitionen angestellt wurden.

    Meyer: Nein, ich sehe erstens nicht, dass die Grünen die Kraft haben. Außerdem gibt es eine Reihe von Positionen auf der Bundesebene, bei denen ich nicht sehe, wie gemeinsame Regierungsarbeit möglich sein soll mit den Grünen. Da geht es um schwergewichtige Fragen im Bereich der Gesellschaftspolitik, es geht auch um Grundansätze im Bereich der sozialen Sicherungssysteme, der Verteidigungspolitik, der inneren Sicherheit. Also, ich sehe nicht, dass da irgendwie die Möglichkeit für eine Zusammenarbeit auf der Bundesebene ist. Und die Grünen haben auch gar nicht die Kraft.

    Detjen: Wenn das aus dem Munde von Stoiber kommt in diesen Tagen, seien Sie ehrlich, Herr Meyer: Zielt das nicht eigentlich auf die FDP, um auf Bundesebene die FDP bei den vorstehenden Verhandlungen über die Wahl des Bundespräsidenten unter Druck zu setzen?

    Meyer: Das sehe ich - ehrlich gesagt – nicht, aus unserer Perspektive, weil wir kein Hehl daraus machen, dass wir sowohl bei den kommenden Wahlen – da, wo es also geht – zu einer Zusammenarbeit mit der FDP kommen wollen, und im Übrigen sehe ich es doch so, dass also die Grünen und die SPD, wenn man insbesondere die Bundesebene nimmt, sich in einer Art und Weise aneinandergekettet haben. Wer hier nicht sieht, dass nur in einer Situation CDU und FDP wirklich grundlegende Änderungen für die Entwicklung in Deutschland möglich sind, der hat es nicht begriffen.

    Detjen: Zielt das auch auf die FDP ab. Oder was sagen Sie Guido Westerwelle, wenn er in dem entscheidenden Gespräch mit Angela Merkel und Edmund Stoiber, das ja nun irgendwann kommen muss – wenn Guido Westerwelle da sagt und sie vor die Alternative stellt: Entweder Ihr wählt mit uns Wolfgang Gerhardt zum Bundespräsidenten, oder wir wählen mit Rot-Grün die FDP-Politikerin Cornelia Schmalz-Jacobsen?

    Meyer: Ich prophezeie der FDP, dass, wenn sie in eine Position hereinkommt, wo die Wähler wieder meinen, die FDP sei wankelmütig und schwanke hin und her zwischen einer klaren Perspektive der Regierungsverantwortung mit der CDU zusammen oder irgendwelche obskuren Konstellationen ohne jede strategische Perspektive, dass die FDP das also sehr teuer bezahlen würde. Ich glaube, dass die FDP sogar ihren Bestand in den nächsten Wahlen und ihre Chance in den nächsten Wahlen überhaupt aufs Spiel setzen würde, wenn sie einen solchen Wackelkurs jetzt einschlagen würde.

    Detjen: Das könnte aber auch attraktiv sein für die FDP, zu sagen: ‚Wir demonstrieren Unabhängigkeit und nutzen die Chance, notfalls auch mit SPD- und Grünenstimmen eine FDP-Politikerin in das höchste Staatsamt zu wählen’.

    Meyer: Nun, ich glaube, es gibt genügend vernünftige Leute in der FDP, die an der Stelle sehen würden, dass das sozusagen der letzte Erfolg gewesen wäre, den man auf lange Zeit gehabt hätte.

    Detjen: Ist denn Klaus Töpfer für Sie noch ein Unions-Kandidat, der auch für Rot-Grün, für eine breite, parteiübergreifende Mehrheit in der Bundesversammlung präsidiabel, attraktiv ist, oder hat Gerhard Schröder ihn auf dem Kandidatenkarussell hinausgelobt?

    Meyer: Ich werde jetzt bei dieser sicherlich spannende Frage, zu der es einiges zu sagen gäbe, nicht auf die Personaldiskussion einzelner Personen in der Chancenbeurteilung oder Qualifizierung eingehen, weil ich glaube, es ist schon viel zu viel über einzelne Kandidaten in dem Zusammenhang gesagt worden. Die Kollegen kennen alle unseren Zeitplan und könnten sich auch gut und gerne an den Zeitplan halten. Einen Satz allerdings doch: Ich glaube, dass der Bundeskanzler bei seinem Vorgehen gezeigt hat, dass es ihm nur um taktische Spielchen geht und dass er mal diese und mal jenen ins Spiel bringt – einfach nur, um zu verstecken, dass die SPD bisher sich überhaupt in keiner Weise positioniert hat in dieser Bundespräsidentenfrage, dass er im Grunde nur taktische Spielchen macht. Ich glaube sogar, er hatte an der Stelle deutlich übertaktiert, denn jetzt müsste eigentlich der letzte FDP-Mann auch einsehen, dass vorangegangene Äußerungen im Grunde nur dazu gedacht waren, dass Schröder in die Reihen der FDP irgendwo Unsicherheit verbreiten wollte.

    Detjen: Herr Meyer, wenn sich die Union jetzt in dieser Situation drauf einstellt und einstellen muss, möglicherweise vor dem Jahr 2006 in einen Wahlkampf zu ziehen – möglicherweise die Regierung zu übernehmen, dann gehören dazu zwei Dinge: Man muss sich programmatisch formieren, da haben Sie einiges vor sich. Man muss aber auch einen führenden Kopf finden. Wer wird das sein?

    Meyer: Nun, die programmatische Arbeit haben wir ja in wichtigen Teilbereichen – Arbeitsrecht, Steuern, soziale Sicherungssysteme – im letzten Jahr wirklich gut vorangetrieben. Wir haben in diesem Jahr zusätzlich acht weitere Schwerpunkte. Wir wollen nicht, wie Rot-Grün uns das zweimal hintereinander vorgemacht hat – in die Regierung kommen und dann nicht wissen, was zu tun ist. Und die personellen Fragen müssen wirklich dann gelöst werden, wenn es ansteht. Wenn es zu Neuwahlen kommt, was ich in der jetzigen Situation für wirklich notwendig halte für Deutschland, dann würden wir das sicher innerhalb von Stunden klären können.

    Detjen: Aber trauen Sie es Edmund Stoiber, der jetzt immer wieder seinen politischen Gestaltungsdrang betont, trauen Sie es ihm zu, dass er bei einem Bundestagswahlkampf sich loyal hinter Angela Merkel stellen könnte, so wie sie das bei der letzten Bundestagswahl in seinem Fall gemacht hat?

    Meyer: Ich bin fest davon überzeugt, dass Edmund Stoiber, je nach dem, wie Entscheidungen rechtzeitig gefallen sind, und die gesamte CSU, wie wir auch, das Ziel vor Augen haben, bessere Politik für Deutschland zu machen, und dass es da eine absolut feste Zusammenarbeit und koordinierte Zusammenarbeit geben wird, so wie es in der Vergangenheit auch war.

    Detjen: Das ist ja auch eine Typfrage: kann man das? Nicht nur, ob man es will, sondern ob man es kann! Stoiber hat Sie ja, wenn man auf das vergangene Jahr noch mal schaut, auch enttäuscht. Gerade nach seinem fulminanten Landtagswahlsieg in Bayern, als alle gedacht haben: Jetzt kommt wieder Unterstützung aus Bayern, da hat er jeden Reformvorschlag der CDU kritisiert, mit eigenen Vorschlägen aus Bayern konterkariert. Das hat Sie doch auch geärgert und gepiesackt?

    Meyer: Nun, teilweise waren es weniger die Wortmeldungen von Edmund Stoiber als manche Wortmeldungen aus der zweiten und dritten Reihe ...

    Detjen: ... wir können Horst Seehofer beim Namen nennen ...

    Meyer: .... die Phase ist ja nun Gott sei Dank überwunden. Ich bin davon überzeugt, dass alle eingesehen haben, wohin es gehen muss. Wir haben natürlich im letzten Jahr in vielen Teilbereichen programmatisch in einem wirklich guten Tempo unsere Positionen durchdacht, neue Vorschläge erarbeit, die also in die Zukunft weisen, auch langfristig sind, denn wir müssen eines mal klar zeigen: Wir müssen insgesamt eine feste Perspektive haben. Unsere Zielvorstellung heißt: Wir wollen mit Deutschland – mit den Menschen in Deutschland, die das auch können – innerhalb von zehn Jahren wieder in der Spitze in Europa sein, und zwar mindestens unter den ersten Dreien.

    Detjen: Da gibt es aber bei den programmatischen Zielvorgaben immer noch erhebliche Differenzen mit der CSU. Es geht da ja nicht nur um Details – wenn man sich die Steuerkonzepte anschaut.

    Meyer: Gut, aber in den Steuerkonzepten haben wir uns festgelegt, dass wir ein völlig neues Steuerkonzept haben wollen und weg mit dem alten Steuerrecht, das wir jetzt haben, mit diesem intransparenten, undurchschaubaren Steuerrecht, was wir zur Zeit haben, wovon wirklich nur die profitieren, die also unter Zuhilfenahme aller Gestaltungsmöglichkeiten, bester Beratung und vor allen Dingen – Voraussetzung – hoher Einkommen wirklich alles ausschöpfen können. Weg damit, und ein völlig neues durchschaubares Steuerrecht, wo der Einzelne auch wieder weiß, was er behält. Sehen Sie, der Kernpunkt ist ja doch: Wenn wir in Zukunft wollen, dass in Deutschland auch, und das muss man ja klar aussprechen, an den allermeisten Stellen wieder mehr gearbeitet werden muss, dass wir Leistungsanreize geben wollen, dass auch in den unteren Einkommensbereichen Arbeit angenommen wird, obwohl man Transferleistungen bekommt und man wegkommt von der Schwarzarbeit, dann werden wir das nur schaffen können, wenn wir Arbeit, gerade für die Arbeitnehmer, sehr stark von Abgaben und Steuern entlasten. Wenn heute der Durchschnittsarbeitnehmer zwei Drittel gleich abgeben muss, wenn er eine Stunde mehr arbeitet, dann ist der Anreiz weg.

    Detjen: Aber wenn wir jetzt gerade auf die unteren Einkommensgruppen blicken: Ist es da dann nicht kontraproduktiv und auch systemwidrig, jetzt das zu tun, was Friedrich Merz gemacht hat, nämlich über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu spekulieren? Die träfe ja dann vor allen Dingen die Leute in den unteren Einkommensgruppen, die ohnehin wenig oder überhaupt keine direkten Steuern zahlen.

    Meyer: Ja, das ist auch eine Diskrepanz. Die Beschlusslage in unserer Partei ist zu dem Punkt ganz eindeutig. Um Ausgleiche zu finden für die Finanzierung etwa für die sozialen Sicherungssysteme kommt eine Mehrwertsteuererhöhung nicht in Frage, sondern wir müssen diesen Ausgleich machen über das allgemeine Steuersystem, insbesondere im Einkommensteuerbereich, weil nur da der Solidarausgleich stattfindet, dass derjenige, der ein höheres Einkommen hat, auch mehr leistet, und nur da auch der Familienlastenausgleich stattfindet im Steuersystem, dass der, der mehrere Kinder hat, weniger Steuern bezahlt als der Alleinstehende. Das ist also eine klare Position. Allerdings war auch, als wir das beschlossen haben, schon bei Friedrich Merz eine etwas andere Positionierung vorhanden. Er hat da seine Position nicht grundsätzlich verändert, er hat nur für seine Position keine Mehrheit in unserer Partei.

    Detjen: Ist das nicht von Merz vielleicht auch die ehrlichere Position, denn gerade, wenn man das Gesamtpaket der Reformvorschläge der CDU anschaut, auch mit Blick auf die sozialen Sicherungssysteme, wird ja klar, dass es Ihnen nicht nur darum gehen kann, den Bürger steuerlich zu entlasten. Sie brauchen auch Geld, um den Sozialausgleich, den Sie jetzt angesprochen haben, in den anderen Sicherungssystemen – in der Krankenversicherung etwa – aus Steuertöpfen, so wie Sie das wollen, zu bezahlen.

    Meyer: Ja, und das ist auch völlig klar. Ich sehe auch bis heute das nicht als ein grundsätzliches Problem. Es hat mir auch noch niemand erklären können, warum es ein Problem sein soll. Wir haben heute einen Solidarausgleich allein im Gesundheitsbereich von 40 Milliarden Euro. Dieser Solidarausgleich wird ausschließlich getragen von kleinen Einkommensgruppen oder Normal-Bezieher-Einkommensgruppen zwischen 2.000 und 3.500 Euro. Die müssen das alles aufbringen. Wenn das jetzt auf weitere Schultern gelegt wird und wir insgesamt 30 Milliarden statt bisher 40 Milliarden finanzieren müssen über das Steuersystem – mein Gott, ich bin davon überzeugt, das interessiert die Menschen in Deutschland nicht, wo sie entlastet werden, an welcher Stelle. Es interessiert sie der Blick ins Portemonnaie, dass sie insgesamt hinterher mehr im Portemonnaie haben. Und wenn Sie sich mal vorstellen, dass die rot-grüne Koalition etwa mit diesem wunderbaren Stichwort ‚Bürgerversicherung’ die Beitragsbemessungsgrenze erhöhen will von 3.500 Euro auf 5.100 Euro – das ist ja die Planung, die dahinter steht, das einzige, wo was zusätzlich reinkommen soll –, dann bedeutet das für einen, der also 5.000 Euro in Deutschland verdient, einen Beitrag zur gesetzlichen Krankenkasse von 750 Euro im Monat. Da werden die Menschen schnell merken, wo die Alternativen sind.

    Detjen: Aber Sie sagen gleichzeitig ganz offen, dass Ihr Modell – der Kopfprämie in der Krankenversicherung – vor allen Dingen die Bezieher von höheren Einkommen entlastet. Da bekommen Sie doch auch ein Gerechtigkeitsproblem?

    Meyer: Nein, das entlastet mal zunächst alle, insbesondere die mittleren . . .

    Detjen: . . die Entlastungswirkung für die mit höheren Einkommen ist höher . . .

    Meyer: . . . also entschuldigen Sie mal, bisher sind die höheren Einkommen überhaupt nicht in der gesetzlichen Krankenkasse vorhanden, das muss man doch einfach mal ganz nüchtern sehen. Dieses berühmte Beispiel von dem Konzernchef und der Sekretärin. Das ist doch idiotisch! Der Konzernchef, der ist privat versichert, hat eine ganz andere Versorgung, zahlt weniger im Zahlungsfall als der mit der gesetzlichen Krankenkasse und zahlt überhaupt nichts ein zum Solidarausgleich. Er ist überhaupt nicht beteiligt am Solidarausgleich, während seine Sekretärin im Zweifelsfall in der Einkommensgruppe liegt zwischen 2.000 und 3.500 Euro und erheblich mit dazu beiträgt, dass Frauen, die nicht berufstätig sind, mitversichert werden, dass Kinder mitversichert werden und dass kleine Rentner zum Beispiel den vollen Krankenversicherungsschutz kriegen, obwohl sie nur kleine Einkommen haben. Die Sekretärin, die zahlt ein heute, und der Konzernchef nicht. Das ist die soziale Ungerechtigkeit heute. Bei unserem System würde jemand, der 3.000 Euro verdient, und das ist ja ungefähr ein Durchschnittseinkommen, der würde entlastet um 300 Euro pro Monat. Und dann werden auch alle, die höhere Einkommen haben, in Zukunft zum Solidarausgleich beitragen, auch Freiberufler, Beamte, Politiker . . .

    Detjen: . . . Sie würden weiter zum Solidarausgleich herangezogen auch und vor allen Dingen durch Steuern, weil der Solidarausgleich ja auf das Steuersystem umgeschichtet werden soll ...

    Meyer: . . . jawohl, und genau das . . .

    Detjen: . . . das zeigt aber ja auch, wie verschränkt Ihre Reformkonzepte sind, die Sie haben im Bereich Steuern und im Bereich soziale Sicherung . . .

    Meyer: . . . deshalb haben wir ja das auf einem Parteitag beschlossen, genau das ist der Punkt . .

    Detjen: . . . das ist der Punkt, wo noch überhaupt nicht absehbar ist, wie Sie hier mit Ihrer Schwesternpartei – mit der CSU – zusammenkommen wollen. Sie sagen, jetzt einigen wir uns in Sachen Steuern – da zeichnet sich was ab. Aber wie man im Bereich Gesundheit zusammenkommen will, ist ja noch nicht absehbar.

    Meyer: Ja, wenn ich mir das vorstelle – diesen Arbeitnehmer, der 3.000 Euro Einkommen hat, dann ist es eine Sache von Feinarbeit. Ich bin jetzt der Meinung, der soll . .

    Detjen: . . . aber Entschuldigung, es geht doch um einen Systemwechsel auch in der Krankenversicherung. Und da ist doch die Diskrepanz zur CSU! Die sagt, wir brauchen keinen Systemwechsel, wir kommen mit dem System, so wie es ist, zurecht, wir wollen erst mal schauen, wie die eingeleiteten Reformen wirken.

    Meyer: Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass durch die Effekte, die jetzt die Gesundheitsreform in der Bevölkerung ausgelöst hat, auch bei der CSU der eine oder andere jetzt ins Nachdenken kommt, ob denn wirklich so die dauerhaften und ständigen Belastungen der Bevölkerung, wie wir sie zur Zeit haben, ob das ein Weg überhaupt sein kann oder ob wir nicht wirklich zu einem grundsätzlicheren Weg kommen können. Die Vorstellungen vom Kollegen Seehofer gingen ja immer stärker in die Richtung, dass man das System, das jetzige System eher weiterentwickeln könnte durch mehr Eigenbeteiligung an den entsprechenden Stellen. Ich bin der Meinung, wir müssen einen grundsätzlichen Umstieg haben, auch im Übrigen wegen der Arbeitsplätze, das hat der Sachverständigenrat ja ermittelt - über eine Million zusätzliche Arbeitsplätze durch unseren Vorschlag.

    Detjen: Aber konkrete Signale, dass die CSU bereit ist, da umfassender zu sprechen, haben wir zumindest öffentlich noch nicht vernommen. Haben Sie da anderes gehört?

    Meyer: Ich habe viele Gespräche mit Kollegen geführt. Es ist ja jetzt nicht das dringendste Thema. Wir haben unsere Vorstellungen auf den Tisch gelegt, wir müssen hier handlungsfähig sein im Falle einer Regierungsübernahme. Und da bin ich ganz sicher, dass das also im entsprechenden Fall innerhalb kurzer Zeit der Fall sein wird. Jetzt müssen wir uns auf die Fragen einstellen, die jetzt anstehen: Rente insbesondere. Mein Gott, die Renten sind Verfügungsmasse inzwischen für den Finanzminister – lieber ein langfristiges Konzept – und Steuern.

    Detjen: Herr Meyer, danke für das Gespräch.