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Le Concert Spirituel

Heute stellen wir Ihnen die Tragédie lyrique 'Callirhoé' von André Cardinal Destouches

Von Christiane Lehnigk |
    vor, eine Weltersteinspielung mit Le Concert Spirituel unter der Leitung von Hervé Niquet. Diese Aufnahme erschien beim spanischen Label Glossa Music und ist im deutschen Vertrieb bei Note1 erhältlich

    " Musikbeispiel: A.C.Destouches, aus: Callirhoé - Ouverture (Schluss) "

    Le Concert Spirituel mit dem sich Hervé Niquet vor allem der französischen Musik des 18.Jahrhunderts widmet, besteht jetzt seit 20 Jahren. Einspielungen von Werken Lullys, Rameaus oder Campras wurden mit Preisen ausgezeichnet und zählen zu den Referenzaufnahmen im Repertoire. Dabei legt der Cembalist, Organist und Dirigent Niquet besonderen Wert auf das Entdecken vergessener Werke und hat auch mit Callirhoé des bis dahin kaum bekannten André Cardinal Destouches wieder einen wahren Schatz gehoben.

    Diese Aufnahme ist der erste Teil einer Trilogie, die großen mythischen Frauengestalten der französischen Oper gewidmet ist. So sollen noch Lullys Proserpine und Marais' Semele folgen.

    Die fünfaktige Tragédie lyrique 'Callirhoé' von Destouches nach einem Text von Pierre-Charles Roy frei nach der antiken Vorlage schließt eine Lücke in der französischen Musikgeschichte. Die 50 Jahre zwischen Lullys Tod und Jean-Philipp Rameaus erster Oper galten lange eher als zu vernachlässigende Übergangszeit, in der sich die Nachfolger Lullys mehr oder weniger erfolgreich um eine Weiterführung der Tradition ihres Übervaters bemühten. Das hat sich allerdings in den letzten 20 Jahren geändert, als engagierte Dirigenten wie William Christie, Mark Minkowski oder auch zuletzt Christophe Rousset mit ihren ‚Ausgrabungen' bewiesen, dass es in der Zeit zwischen Lully und Rameau durchaus eigenständige Entwicklungsstränge gegeben hat. Doch war diesen Komponisten bei der Wiederentdeckung ihrer Werke sowieso mehr Glück beschieden, hatten sich doch von ihnen, im Gegensatz zu Destouches, auch nichtdramatische Werke erhalten.

    André Cardinal Destouches war Schüler des Jesuiten-Kollegs in seiner Heimatstadt Paris, schlug zunächst die Militärlaufbahn ein und wurde königlicher Musketier. Als er seine Liebe zur Musik entdeckte und erste Kompositionen schrieb, gab er das Militär auf und wurde Schüler von André Campra. Sein erstes Bühnenwerk Issé war ein großer Erfolg und von da an nahm seine Karriere einen rasanten Verlauf, er avancierte vom Generalinspecteur schließlich zum Direktor der Académie Royale de Musique. Ludwig der XIV. war ein großer Bewunderer seiner Kunst, und der Sonnenkönig soll geschwärmt haben, dass ihm seit Lully keine Musik so viel Vergnügen bereitet habe. Doch als sich die Zeit der großen Tragödien zugunsten der leichteren Opera-Ballets dem Ende zuneigte, wandte sich Destouches der Komposition geistlicher Werke zu , die er am Hofe Ludwigs des XV. in Analogie zu den Concerts Spirituels institutionalisierte. Die Protektion der königlichen Familie hatte Destouches zwar finanziell gut ausgestattet, aber das Ansehen zur Lebenszeit bewahrte nicht von dem Vergessen nach dem Tode.

    Nun hat Hervé Niquet mit seiner Opern-Neuentdeckung den Beweis angetreten, dass Destouches durchaus ein Komponist von bemerkenswerter Originalität war, der sich aus dem Schatten Lullys und Campras hat lösen können und in der Entwicklung der Oper die Verbindung zu Rameau und Gluck darstellte.

    Frei nach der antiken griechischen Vorlage geht es hier einmal mehr um ein Plädoyer für die tugendhafte Liebe. Die Königstochter Callirhoé weist die Avancen des mächtigen Bacchus-Priesters Corésus zurück, weil sie Agénor liebt. Der eifersüchtige Priester bringt daraufhin den Zorn der Götter gegen die Liebenden auf und letztendlich soll das Mädchen geopfert werden.

    Doch die todesmutige Liebe des jungen Paares kann schließlich den Widersacher bezwingen und der verzweifelte Corésus tötet sich schließlich selbst auf dem Altar, um sie zu retten.

    Die Uraufführung fand 1712 statt, wurde aber 1743 vom Komponisten wesentlich überarbeitet und auch gekürzt. Niquet hat noch weitere Teile wie auc einige Airs und Tänze gestrichen, was eigentlich schade ist, gab es doch auf den beiden CDs noch genügend Platz und ist gerade die Instrumentalmusik sehr abwechselungsreich und lebendig musiziert. Doch glücklicherweise schaden diese Kürzungen dem musikalischen dramatischen Ablauf nicht.

    Das junge Sängerensemble vollbringt hier eine gesangliche Glanzleistung: die gekonnt temperamentvoll deklamierende Stéphanie d'Oustrac als Callirhoé, Cyril Auvity, dem es gelingt als Agénor den typischen französischen, leicht näselnden Heldentenor zu geben sowie der Bass João Fernandes als männlich-leidenschaftlicher Corésu .

    Hören Sie hier die große Schluss-Szene des 2. Aktes mit Corésus und seinen Priestern, die von ihrer dramatischen Steigerung her absolut einmalig ist. Wo ist die Verzweifelung eines unglücklich Liebenden und sein Zorn in der Zeit jemals so eindrücklich dargestellt worden ?

    " Musikbeispiel: A.C.Destouches, aus: Callirhoé - Acte Deuxième, Scène Cinquième "

    Hervé Niquet und Le Concert Spirituel haben die Oper Callirhoé von André Cardinal Destouches erstmals 2005 beim Barock-Opernfestival in Beaune konzertant aufgeführt, diese CD-Aufnahme entstand im Februar 2006 in Metz. Der Klang ist ausgewogen, wenn auch sehr großräumig mit ordentlich Hall und eher fett als schlank, das tut der Musik glücklicherweise aber kaum einen Abbruch. Doch wenn man sich vorstellt, wie kompromisslos und bissig zum Beispiel Minkowski diese Szene dargestellt hätte, da hätte der Wohlklang ruhig einmal durchbrochen werden können.

    Zu Lebzeiten von Destouches waren dabei gar nicht einmal solche Szenen beliebt, da überwogen in der Gunst vor allem die Tänze, also die Instrumentalmusik. Und sieht man sich die Abschriften und Adaptionen an, da war der ‚Hit' der Oper hier die Musette-Szene aus dem Schäfer-Tableau des 4.Aktes.

    " Musikbeispiel: A.C.Destouches, aus: Callirhoé - Acte Quattrième, Scène Troisième "

    Hervé Niquet hat die Partitur der Oper Callirhoé in Zusammenarbeit mit dem Centre de Musique Baroque de Versailles aus dem Manuskript erstellen lassen.

    Das Besondere an diesem Werk ist, dass es zwar der traditionellen Form der Tragédie lyrique entspricht, aber nicht in einzelne statische Nummern zerfällt. Hier sind die Übergänge zwischen den schon komprimierten Rezitativen und den prägnanten Airs fließend, die Dramatik kann sich entwickeln, es gibt genügend Raum sowohl für dynamische Theatralik als auch für intime Zwiegespräche und üppige Tableaus. Ob es heute in dem Bemühen um Authentizität noch opportun ist, solch ein Werk, gerade wenn es sich um eine erste Wiedereinspielung handelt, so zu kürzen, mag diskussionswürdig sein, das ändert aber kaum etwas an dem Genuss des Ganzen.

    Das eigentlich Neue an Destouches' Oper aber war, dass es kein 'lieto fine' im eigentlichen Sinne gab. Das 5-aktige Werk endet nicht mit einem Ensemble oder Chor sondern mit einer geradezu verstörenden Solo-Nummer des Priesters Corésus, der einsieht, dass er verloren hat und sich opfert, um seine, ihn verschmähende Angebetete zu retten. Hier gelang dem Komponisten eine beeindruckende Charakterzeichnung, wie sie zum Beispiel auch in Oratorien von Händel zu finden ist.

    Niquet vermag den Spannungsbogen dieser hochbarocken opulenten Tragödie von der ersten bis zu letzten Sekunde aufrecht zu halten.

    " Musikbeispiel: A.C.Destouches, aus: Callirhoé - Acte Cinquième, Scène Troisième "

    Die Neue Platte im Deutschlandfunk. Im Mittelpunkt stand heute die Oper Callirhoé von André Cardinal Destouches, eine neue Einspielung mit Le Concert Spirituel unter der Leitung von Hervé Niquet, erschienen beim spanischen Label Glossa Music im deutschen Vertrieb von Note1. In Deutschland ist Le Concert Spirituel jetzt übrigens am 22.August im Rahmen des Rheingau Musik Festivals mit geistlichen Werken von Charpentier zu hören.