Langsam ruckelt der kleine Bus über die holprige Straße. Ab und zu ist ein buntbemaltes Holzhaus mit gepflegtem Garten zu sehen. Die Landschaft ist leicht hügelig. Die meisten weitläufigen Felder liegen brach und wechseln sich ab mit dichten Wäldern. Wir befinden uns in der Nähe von Rshew, circa 250 Kilometer nordwestlich von Moskau.
"Zur Einstimmung auf Rshew habe ich mal ein bisschen zusammengefasst, was wir an Informationen über die letzten Tage unseres Vaters besitzen. Es gibt Fotos, es gibt alte Karten. Wir haben zum Beispiel die Originalkarte, die er 1942 hatte, mit der er um Rshew herum seine Bataillone einsetzte."
Eberhardt von Strotha aus München ist gemeinsam mit seinen Geschwistern, mit Neffen, Nichten und Großneffen auf der Suche nach dem Vater. Oberstleutnant Karl Adolf von Strotha fiel am 1. September 1942 in der Schlacht von Rshew - durch "Friendly fire", versehentlich von den eigenen Leuten erschossen.
Die Familie hat sich nun einer organisierten Reisegruppe angeschlossen. Von Moskau aus fährt der Reisebus auf schnurgeraden Straßen erst in Richtung Rshew und dann nach Smolensk, nahe der Grenze zu Weißrussland. Ungefähr fünfzig Deutsche haben sich auf eine zehntägige Spurensuche begeben - nach Angehörigen, die im Zweiten Weltkrieg in Russland fielen.
"Hätte ich nur ein paar ordentliche Stiefel, ich wäre sehr glücklich. Hier ist man in der reinsten Mausefalle. Man muss immer wieder Gott danken, dass man so durchgekommen ist. Wie viele meiner Kameraden sind inzwischen gefallen. Neulich schlug eine Granate fünf Meter entfernt von mir ein. Einige Pferde tot, ich kam noch heil davon. Ja, so geht's. Herzliche Grüße und alles Gute und wenn Ihr wieder mal was übrig habt, so schickt mir es per Feldpost, Euer Hubertus,"
schrieb Hubertus von Ow-Wachendorf aus dem Kampfgebiet um Rshew. Er kam nicht mehr zurück. Sein jüngerer Bruder Sigurd ist nun nach Russland gereist. Während der Busfahrt liest er aus den Briefen seines Bruders vor.
Jahrzehntelang hatten Angehörige so gut wie keine Möglichkeit, an die Orte zu reisen, an denen ihre Väter, Ehemänner, Söhne, Brüder, Verwandten oder Freunde umgekommen waren. "Gräber aus der Kampfzeit gibt es nicht", hieß es von offizieller sowjetischer Seite noch in den achtziger Jahren. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde auch die Frage der Kriegsgräber geregelt - durch, so Fritz Kirchmeier vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, das Kriegsgräberabkommen von 1992.
"Die ersten Schritte waren Umbettungen. Wir haben aufgrund unserer Unterlagen, die wir in Kassel haben, Bestattungsorte im ganzen Land versucht zu finden. Sofern wir die dann gefunden haben wurden die Soldaten exhumiert und nach Möglichkeit identifiziert. Der nächste Schritt war die Suche nach geeigneten Friedhofsstandorten, nach Gelände, wo wir Friedhöfe errichten könnten."
Dank dieses Abkommens zwischen Deutschland und der russischen Föderation konnten auch Eberhardt von Strotha und seine Angehörigen nach Russland reisen. Für einen Tag hat sich die Familie von der Reisegruppe getrennt, um das Grab zu suchen. Vom Volksbund hatte Eberhardt von Strotha Kartenmaterial sowie den Hinweis auf eine mögliche Grabstätte erhalten - in Dubakino, nahe Rshew. Allerdings: die Orte, die auf der alten Karte noch eingezeichnet waren, existieren zum Teil nicht mehr. Nur mit Hilfe von Ortskundigen lassen sie sich wiederfinden.
Angela Lebedew, eine Übersetzerin aus Moskau, begleitet die Gruppe.
Dubakino - das sind nur ein paar Hütten und verlassene Stallungen einer ehemaligen Kolchose. Aus den Fensteröffnungen und dem kaputten Dach wuchern Pflanzen. Am Ende des Feldweges hält der kleine Bus. Aus einem windschiefen Holzhäuschen kommt ein Mann in abgerissener Kleidung, Zigarette im Mundwinkel, heraus. Er zeigt auf ein Feld hinter dem Haus.
"Ja, hier seien überall Friedhöfe gewesen. Die Polizei sollte aufpassen, dass keine Plünderer kommen, habe aber keinen Erfolg gehabt. Vor kurzem sei eine alte Dame gestorben, die damals die Verwundeten und Kranken noch gepflegt habe. Denn da, wo er jetzt mit seiner Mutter wohne, habe früher ein Spital aus Stein gestanden."
Der ehemalige Friedhof: ein großes, weites Feld. Leise rauscht der Wind in den Silberpappeln, die am Rand stehen. Erika von Strotha blickt bewegt über die Stätte, an der ihr Vater Karl Adolf von Strotha seine letzte Ruhe gefunden hat.
"Ich bin dankbar, dass wir diese Reise haben machen können, dass wir an einer Stelle stehen, wo über 2000 Soldaten seinerzeit gefallen sind und beerdigt sind. Wir stehen an einem Baum, der damals schon da war, wir betrachten ein langes, großes Naturgebiet mit jungen und alten Bäumen, mit einer großen Wiese, über die der Wind rauscht. Und eigentlich ist es sehr still und tröstlich zu wissen, dass hier nun kein Lärm mehr ist und keine Gewalt herrscht."
Mein liebes Frauchen, Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was für ein Dreck und Schlamm bei uns ist. Man staunt selber nur so über sich selbst, dass man gesundheitlich noch so auf der Höhe ist. Sei und geküsst von Deinem lieben Mann Paul. Lebe wohl bis wir uns wiedersehen.
Zu einem Wiedersehen kam es nicht mehr. Paul Thamm starb am 8. Mai 1943 im Feldlazarett bei Rshew - an Fleckfieber. Herwarth Thamm, Jahrgang 1941, ist Pauls Sohn. Auch er wollte mehr über den Verbleib seines Vaters wissen und hatte sich, wie die Strothas, für eine Reise nach Russland angemeldet. Eine Reise voller Emotionen. An seinen Vater erinnert sich Herwarth Thamm kaum. Alles, was er weiß, hatte ihm einst seine Mutter erzählt.
"Sie war eine Seele von Mensch, sie hab ich ja kennengelernt, aber den Papa eben nicht. Und die müssen sich so gut verstanden haben, die haben geheiratet aus Liebe."
Deutsche Kriegsgräber in Russland sind auch heute, über sechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ein sensibles Thema. Die Erinnerungskultur und der Umgang mit Kriegstoten sind anders als in Deutschland. Dass dann Mitte der neunziger Jahre bei Rshew - einer Stadt, die während des Zweiten Weltkriegs dem Erdboden gleichgemacht wurde - ein deutscher Soldatenfriedhof errichtet werden sollte, sorgte, so Galina Chmilkowa aus Rshew, für Unruhe.
"Das waren Feinde. Aber sie haben auch später gesagt, man darf die Toten ruhen lassen, man kann gegen die sterblichen Überreste nicht kämpfen."
In den russischen Wäldern liegen immer noch zahlreiche unbestattete Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Viele Spuren sind endgültig verwischt. Einige, wie die von Paul Thamm, lassen sich verfolgen. Sein Sohn hat nun nahe Rshew die Stelle entdeckt, an der der Vater seine letzte Ruhe gefunden hat. Ein bewegender Moment, auch für seine Frau Renate.
"Er lag an dieser Stelle und hat fürchterlich geweint, er musste die 64 Jahre irgendwo loslassen und musste sagen, ich bin hiermit zufrieden. Und er hat mir auch nachher gesagt, also von meiner Seite aus muss der Vater nicht umgebettet werden. Wenn die Umbettung nicht zustande kommt, es ist so ein wunderschönes Fleckchen Erde, ich bin mehr als zufrieden. Und ich denke, mehr kann man nicht sagen."
Der Reisebus ist von Rshew nach Smolensk weitergefahren. In der Nähe der Stadt befindet sich ein großer Friedhof. Bewachsen mit zahlreichen Tannen und hohen Birken wirkt er fast wie ein lichter Wald, wären da nicht die weißen Kreuze in Dreierformation, die in unregelmäßigen Abständen auf dem Rasen stehen.
Ein Weg führt vom Eingangstor ins Zentrum des Friedhofs. Dort sind auf einer Granitstele zahlreiche Namen eingraviert.
Ute Anickers Vater starb an einem doppelten Lungenschuss, zwei Monate bevor sie zur Welt kam. Seiner Frau schrieb er noch in Stenoschrift zwischen den Zeilen seines letzten Feldpostbriefes: "Ich freue mich auf die Geburt des Kindes. Hoffentlich wird es ein Mädchen, damit es nicht in den Krieg muss."
Ute Anicker legt einen Blumenstrauß an dem Gedenkstein nieder. Die pensionierte Lehrerin einer Erzieherfachschule in Hamburg hatte sich der Reisegruppe angeschlossen, um die letzte Ruhestätte ihres Vaters zu finden. Nun steht sie auf dem großen Soldatenfriedhof bei Smolensk. Reihe 17, Grab 602 - dort sollen seine sterblichen Überreste liegen.
"So richtig realisiert habe ich das noch gar nicht, ich muss es mir zwischendurch ins Bewusstsein rufen, dass er hier jetzt liegt, also der Rest von ihm. In diesem Bericht von der Kriegsgräberfürsorge hat mir Frau Müller so einen Umbettungsbericht gegeben in Stichworten, und da steht: keine messbaren Knochen. Was heißt das? Das heißt wohl, das meiste von ihm ist ja wohl vergangen, ist ja auch normal, nach über sechzig Jahren, das heißt, es ist nicht mehr viel, es ist auch nur noch ein Symbol, was hier liegt."
"Zur Einstimmung auf Rshew habe ich mal ein bisschen zusammengefasst, was wir an Informationen über die letzten Tage unseres Vaters besitzen. Es gibt Fotos, es gibt alte Karten. Wir haben zum Beispiel die Originalkarte, die er 1942 hatte, mit der er um Rshew herum seine Bataillone einsetzte."
Eberhardt von Strotha aus München ist gemeinsam mit seinen Geschwistern, mit Neffen, Nichten und Großneffen auf der Suche nach dem Vater. Oberstleutnant Karl Adolf von Strotha fiel am 1. September 1942 in der Schlacht von Rshew - durch "Friendly fire", versehentlich von den eigenen Leuten erschossen.
Die Familie hat sich nun einer organisierten Reisegruppe angeschlossen. Von Moskau aus fährt der Reisebus auf schnurgeraden Straßen erst in Richtung Rshew und dann nach Smolensk, nahe der Grenze zu Weißrussland. Ungefähr fünfzig Deutsche haben sich auf eine zehntägige Spurensuche begeben - nach Angehörigen, die im Zweiten Weltkrieg in Russland fielen.
"Hätte ich nur ein paar ordentliche Stiefel, ich wäre sehr glücklich. Hier ist man in der reinsten Mausefalle. Man muss immer wieder Gott danken, dass man so durchgekommen ist. Wie viele meiner Kameraden sind inzwischen gefallen. Neulich schlug eine Granate fünf Meter entfernt von mir ein. Einige Pferde tot, ich kam noch heil davon. Ja, so geht's. Herzliche Grüße und alles Gute und wenn Ihr wieder mal was übrig habt, so schickt mir es per Feldpost, Euer Hubertus,"
schrieb Hubertus von Ow-Wachendorf aus dem Kampfgebiet um Rshew. Er kam nicht mehr zurück. Sein jüngerer Bruder Sigurd ist nun nach Russland gereist. Während der Busfahrt liest er aus den Briefen seines Bruders vor.
Jahrzehntelang hatten Angehörige so gut wie keine Möglichkeit, an die Orte zu reisen, an denen ihre Väter, Ehemänner, Söhne, Brüder, Verwandten oder Freunde umgekommen waren. "Gräber aus der Kampfzeit gibt es nicht", hieß es von offizieller sowjetischer Seite noch in den achtziger Jahren. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde auch die Frage der Kriegsgräber geregelt - durch, so Fritz Kirchmeier vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, das Kriegsgräberabkommen von 1992.
"Die ersten Schritte waren Umbettungen. Wir haben aufgrund unserer Unterlagen, die wir in Kassel haben, Bestattungsorte im ganzen Land versucht zu finden. Sofern wir die dann gefunden haben wurden die Soldaten exhumiert und nach Möglichkeit identifiziert. Der nächste Schritt war die Suche nach geeigneten Friedhofsstandorten, nach Gelände, wo wir Friedhöfe errichten könnten."
Dank dieses Abkommens zwischen Deutschland und der russischen Föderation konnten auch Eberhardt von Strotha und seine Angehörigen nach Russland reisen. Für einen Tag hat sich die Familie von der Reisegruppe getrennt, um das Grab zu suchen. Vom Volksbund hatte Eberhardt von Strotha Kartenmaterial sowie den Hinweis auf eine mögliche Grabstätte erhalten - in Dubakino, nahe Rshew. Allerdings: die Orte, die auf der alten Karte noch eingezeichnet waren, existieren zum Teil nicht mehr. Nur mit Hilfe von Ortskundigen lassen sie sich wiederfinden.
Angela Lebedew, eine Übersetzerin aus Moskau, begleitet die Gruppe.
Dubakino - das sind nur ein paar Hütten und verlassene Stallungen einer ehemaligen Kolchose. Aus den Fensteröffnungen und dem kaputten Dach wuchern Pflanzen. Am Ende des Feldweges hält der kleine Bus. Aus einem windschiefen Holzhäuschen kommt ein Mann in abgerissener Kleidung, Zigarette im Mundwinkel, heraus. Er zeigt auf ein Feld hinter dem Haus.
"Ja, hier seien überall Friedhöfe gewesen. Die Polizei sollte aufpassen, dass keine Plünderer kommen, habe aber keinen Erfolg gehabt. Vor kurzem sei eine alte Dame gestorben, die damals die Verwundeten und Kranken noch gepflegt habe. Denn da, wo er jetzt mit seiner Mutter wohne, habe früher ein Spital aus Stein gestanden."
Der ehemalige Friedhof: ein großes, weites Feld. Leise rauscht der Wind in den Silberpappeln, die am Rand stehen. Erika von Strotha blickt bewegt über die Stätte, an der ihr Vater Karl Adolf von Strotha seine letzte Ruhe gefunden hat.
"Ich bin dankbar, dass wir diese Reise haben machen können, dass wir an einer Stelle stehen, wo über 2000 Soldaten seinerzeit gefallen sind und beerdigt sind. Wir stehen an einem Baum, der damals schon da war, wir betrachten ein langes, großes Naturgebiet mit jungen und alten Bäumen, mit einer großen Wiese, über die der Wind rauscht. Und eigentlich ist es sehr still und tröstlich zu wissen, dass hier nun kein Lärm mehr ist und keine Gewalt herrscht."
Mein liebes Frauchen, Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was für ein Dreck und Schlamm bei uns ist. Man staunt selber nur so über sich selbst, dass man gesundheitlich noch so auf der Höhe ist. Sei und geküsst von Deinem lieben Mann Paul. Lebe wohl bis wir uns wiedersehen.
Zu einem Wiedersehen kam es nicht mehr. Paul Thamm starb am 8. Mai 1943 im Feldlazarett bei Rshew - an Fleckfieber. Herwarth Thamm, Jahrgang 1941, ist Pauls Sohn. Auch er wollte mehr über den Verbleib seines Vaters wissen und hatte sich, wie die Strothas, für eine Reise nach Russland angemeldet. Eine Reise voller Emotionen. An seinen Vater erinnert sich Herwarth Thamm kaum. Alles, was er weiß, hatte ihm einst seine Mutter erzählt.
"Sie war eine Seele von Mensch, sie hab ich ja kennengelernt, aber den Papa eben nicht. Und die müssen sich so gut verstanden haben, die haben geheiratet aus Liebe."
Deutsche Kriegsgräber in Russland sind auch heute, über sechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ein sensibles Thema. Die Erinnerungskultur und der Umgang mit Kriegstoten sind anders als in Deutschland. Dass dann Mitte der neunziger Jahre bei Rshew - einer Stadt, die während des Zweiten Weltkriegs dem Erdboden gleichgemacht wurde - ein deutscher Soldatenfriedhof errichtet werden sollte, sorgte, so Galina Chmilkowa aus Rshew, für Unruhe.
"Das waren Feinde. Aber sie haben auch später gesagt, man darf die Toten ruhen lassen, man kann gegen die sterblichen Überreste nicht kämpfen."
In den russischen Wäldern liegen immer noch zahlreiche unbestattete Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Viele Spuren sind endgültig verwischt. Einige, wie die von Paul Thamm, lassen sich verfolgen. Sein Sohn hat nun nahe Rshew die Stelle entdeckt, an der der Vater seine letzte Ruhe gefunden hat. Ein bewegender Moment, auch für seine Frau Renate.
"Er lag an dieser Stelle und hat fürchterlich geweint, er musste die 64 Jahre irgendwo loslassen und musste sagen, ich bin hiermit zufrieden. Und er hat mir auch nachher gesagt, also von meiner Seite aus muss der Vater nicht umgebettet werden. Wenn die Umbettung nicht zustande kommt, es ist so ein wunderschönes Fleckchen Erde, ich bin mehr als zufrieden. Und ich denke, mehr kann man nicht sagen."
Der Reisebus ist von Rshew nach Smolensk weitergefahren. In der Nähe der Stadt befindet sich ein großer Friedhof. Bewachsen mit zahlreichen Tannen und hohen Birken wirkt er fast wie ein lichter Wald, wären da nicht die weißen Kreuze in Dreierformation, die in unregelmäßigen Abständen auf dem Rasen stehen.
Ein Weg führt vom Eingangstor ins Zentrum des Friedhofs. Dort sind auf einer Granitstele zahlreiche Namen eingraviert.
Ute Anickers Vater starb an einem doppelten Lungenschuss, zwei Monate bevor sie zur Welt kam. Seiner Frau schrieb er noch in Stenoschrift zwischen den Zeilen seines letzten Feldpostbriefes: "Ich freue mich auf die Geburt des Kindes. Hoffentlich wird es ein Mädchen, damit es nicht in den Krieg muss."
Ute Anicker legt einen Blumenstrauß an dem Gedenkstein nieder. Die pensionierte Lehrerin einer Erzieherfachschule in Hamburg hatte sich der Reisegruppe angeschlossen, um die letzte Ruhestätte ihres Vaters zu finden. Nun steht sie auf dem großen Soldatenfriedhof bei Smolensk. Reihe 17, Grab 602 - dort sollen seine sterblichen Überreste liegen.
"So richtig realisiert habe ich das noch gar nicht, ich muss es mir zwischendurch ins Bewusstsein rufen, dass er hier jetzt liegt, also der Rest von ihm. In diesem Bericht von der Kriegsgräberfürsorge hat mir Frau Müller so einen Umbettungsbericht gegeben in Stichworten, und da steht: keine messbaren Knochen. Was heißt das? Das heißt wohl, das meiste von ihm ist ja wohl vergangen, ist ja auch normal, nach über sechzig Jahren, das heißt, es ist nicht mehr viel, es ist auch nur noch ein Symbol, was hier liegt."
