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Leben von Licht, Luft und Wasser

Biologie. - Von den Tropen bis zu den Polen, vom Hochgebirge bis in die Tiefsee: Die Erde platzt schier vor Leben. Und mehr als 99 Prozent aller Arten, die jemals gelebt haben, sind bereits wieder ausgestorben. Trotz dieses "Erfindungsreichtums" gab es im Laufe der Evolution Veränderungen, die aus dieser Fülle herausragen, so wie etwa die Photosynthese.

Von Dagmar Röhrlich |
    Das Sonnenlicht ist fahl. Schwer wie Blei lastet der orangerote Himmel auf dem Meer. Kein Wind regt sich. Matt spülen die Wellen an den Strand. Das nackte Land ist öd und leer. Aus den Vulkanen quellen Wasserdampf und Kohlendioxid, füllen die Luft, hüllen die Erde in eine wärmende Decke. Seit Äonen mischen zahllose Mikroben Methan dazu. Die Erde ist ihr Planet. Trotzdem bleiben die Mikroben winzig klein, denn aus den Kohlenstoff- oder Schwefelverbindungen, von denen sie leben, lässt sich kaum Energie ziehen. Aber gerade hat es eine Mutation gegeben:

    "Es muss mit einer einzigen mutierten Zelle begonnen haben."

    Dem ersten Cyanoakterium gelingt etwas Ungeheuerliches: Es "erfindet" die Photosynthese - und zwar die, bei der Sauerstoff frei wird.

    "Die Fähigkeit, Wasser mit Hilfe des Sonnenlichts aufzuspalten und dabei Biomasse aufzubauen und Sauerstoff freizusetzen, ist ein wirklich fundamentaler Prozess, der heute die gesamte Biosphäre auf der Erde antreibt."

    Joe Kirschvink vom California Institute of Technology in Caltech, Pasadena. Rund 21 Prozent Sauerstoff füllen heute die Luft, und jedes einzelne Molekül stammt von Cyanobakterien, Algen und höheren Pflanzen - jedes einzelne. Wann dieses eine Cyanobakterium mutierte und eine neue Art Photosynthese in die Welt setzte, ist unbekannt. Vielleicht geschah es vor 2,3 Milliarden Jahren, denn irgendwann damals tauchten die ersten Spuren von Rost in den Steinen auf. Jedenfalls verband dieses Cyanobakterium zwei ältere "Erfindungen" der Evolution: zwei Methoden, mit denen sich mit Hilfe des Sonnenlichts aus Verbindungen wie Schwefelwasserstoff Energie gewinnen ließ:

    "Dabei wird kein Sauerstoff frei. Es sieht so aus, als habe das Cyanobakterium, das die Sauerstoffproduktion entwickelte, beide Systeme verschmolzen."

    Die Nachfahren dieser "Mutterzelle" nutzten fortan das Sonnenlicht, Wasser und Kohlendioxid, um Biomasse aufzubauen. Den für sie nutzlosen Sauerstoff gaben sie an die Umwelt ab - und warfen die Erde erst einmal aus der Bahn:

    "Falls wir richtig liegen, ließen die Nachfolger dieser einen mutierten Zelle die Erde zu einem Schneeball vereisen, bei dem die Gletscher die Tropen erreichten. Die Frage ist: Wie?"

    Nach Joe Kirschvink könnte es so passiert sein: Die Sonne schien zunächst nicht so kräftig wie heute, doch Methan bewahrte als mächtiges Treibhausgas die Erde vor dem Einfrieren. Die Methan produzierenden Mikroben schufen sich so ihre eigene, angenehme Welt:

    ""Das Problem ist, dass das Methan instabil wird, sobald Sauerstoff ins Spiel kommt. Diese einzelne mutierte Zelle brachte eine Lawine in Gang, die letztlich das Methan-Treibhaus zerstörte."

    Während die Cyanobakerien immer mehr Gewässer mit ihrem Schleim füllten, verklappten sie auch immer mehr Sauerstoff in die Luft - bis das Methan-Treibhaus zusammenbrach: Die Erde gefror - und das Leben hing an einem seidenen Faden. Wer vor rund 2,3 Milliarden Jahren keine Sonne brauchte, zog sich in die ewige Finsternis der Meere zurück. Wer von ihr abhing, musste eine lebensfreundliche Insel am Licht finden. Vielleicht überdauerten die "Sonnenanbeter" an vulkanischen Quellen oder in Schmelzwassertümpeln auf sonnenbeschienenem Eis.

    "Mir als Kalifornier, der seinen Jakuzi im Garten genießt, erscheinen die heißen, vulkanische Quellen als optimaler Platz, an dem unsere Ahnen überleben konnten."

    Eine Weile flog die Erde als Schneeball um die Sonne. Gleichzeitig arbeiteten die Vulkane weiter und füllten die Luft mit Kohlendioxid. Ein galoppierender Treibhauseffekt setzte ein, die Temperaturen schnellten empor. Der Schneeball schmolz – und die Cyanobakterien konnten die Erde übernehmen.
    Bis heute basiert auf der Photosynthese fast das gesamte irdische Leben. Den Nachfahren eines einzigen Cyanobakteriums gehört die Sonnenseite des Planeten. Den Herrschern der Urzeit dagegen, den anaeroben Mikroben, wurde der Sauerstoff zum Verhängnis. Sie führen nur noch ein Schattendasein: in Schlämmen, stehenden Gewässern und – in den Mägen der Tiere. Aber das ist eine andere Geschichte.