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Leben wie ein Inuit

Biologie. - Heute startet im Nordwesten von Grönland eine ungewöhnliche Expedition: 16 Versuchspersonen vom dänischen Festland verbringen dabei die nächsten sechs Wochen im ewigen Eis, bei Temperaturen von bis zu minus 40 Grad. Und das alles im Dienste der Wissenschaft.

Von Jens Wellhöner |
    Was unterscheidet einen Inuit von einem Festlandsdänen? Diese Frage beschäftigt Forscher der Medizinischen Fakultät der Universität Kopenhagen schon seit Jahren. Im Oktober testeten sie grönländische Jäger und ihre Frauen auf ihre Zuckerwerte und Fettverbrennung. Die 20 Testpersonen ernähren sich fast ausschließlich von Fleisch und Fett. Sprechen also allen Regeln der modernen Ernährungsforschung Hohn. Außerdem waren sie alle um die 40. Also in einem Alter, in dem Menschen in anderen Teilen der westlichen Welt Krankheiten entwickeln, wie Zucker oder Herz-Kreislaufschwäche. Aber: Alle Grönländer sind kerngesund, keine Spur von Diabetes oder zu hohen Fettwerten konnten die Wissenschaftler feststellen. Sportwissenschaftler Jörn-Wulf Helge:

    Die Jagd in dieser Umwelt erfordert von den Inuit eine sehr große körperliche Leistungsfähigkeit, besonders im Oberkörper. Das sind also völlig andere Lebensumstände als in Europa, und zwar schon seit Hunderten von Jahren.

    Aber nicht nur die Inuit sind Meister der Zucker- und Fettverbrennung. Auf Spitzbergen leben die Nachfahren dänischer Auswanderer schon seit Generationen.

    Sie können sehr effizient Zucker und Muskelfett abbauen. Wir vermuten, dass auch die Spitzbergener diese Fähigkeit in ihrem Oberkörper haben. Aufgrund ihrer Lebensweise, im Gegensatz zu Nordeuropäern.

    Vielleicht ist es ja nur die ständige Bewegung, die die Bewohner der Polarregion so widerstandsfähig macht. Um das zu klären, hat Jörn Wulf Helge zum Vergleich Festlandsdänen untersucht, die sich ähnlich intensiv bewegen. Aber: Auch sie sind anfällig für Diabetes oder erhöhte Blutfettwerte.

    Wir vermuten, dass sich die Inuits genetisch an ihre Umwelt angepasst haben, im Laufe der Jahrtausende. Wir hoffen, Unterschiede zu den Festlandsdänen zu finden, und zwar bei der Steuerung der Fettverbrennung.

    Immunität gegen Diabetes und zu viel Fett durch Selektionsdruck in extremer polarer Umwelt: Um Jörn Helges Theorie zu untersuchen, haben die Forscher eine Grönland-Expedition vorbereitet. Heute brechen 16 Festlandsdänen von Thule im Nordwesten der Polarinsel auf. Sie sollen sich 6 Wochen lang in derselben Umwelt bewegen, wie die Inuit. Dieselben körperlichen Strapazen durchstehen. Und dabei die gleiche Nahrung zu sich nehmen.

    Sie müssen schwere Schlitten ziehen, mit sämtlichem Proviant, Zelten, Waffen etc. Nach 6 Stunden Marsch werden sie ihr Lager aufbauen, und Essen kochen. Es wird eine harte Zeit, besonders bei diesem extremem Klima.

    Die Männer und Frauen zwischen 20 und 50 Jahren werden dabei ständig von Forschern der Uni Kopenhagen begleitet. Die entnehmen von Zeit zu Zeit Muskelproben von ihren Versuchspersonen.

    Wir untersuchen vor allem die Mitochondrien. Das sind die Energie-Kraftwerke in den Muskeln. Hier wird der Sauerstoff verbraucht. Wir hoffen, Unterschiede herauszufinden, in der Sauerstoffausbeute zwischen Inuit und den Versuchspersonen.

    Sollten zudem auch die Zucker- und Fettwerte der Teilnehmer trotz der hohen körperlichen Belastung im Polarklima steigen, wäre das ein Indiz für Jörn Wulf Helges Theorie. Die Existenz eines speziellen Gesundheits-Gens bei den Inuits wäre dann wahrscheinlicher. Mit den Testergebnissen ist aber erst in einem knappen Jahr zu rechnen.