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Lebende Chemiefabrik

Gentechnik. - Von an die 200 Bakterien hat man schon das vollständige Genom sequenziert. Vom Einblick in den genetischen Bauplan der Einzeller profitiert nicht nur die Grundlagenforschung. Auch die Biotechnologie ist sehr interessiert. Denn über die Gene lassen sich die chemischen Fähigkeiten der Bakterien so steuern, dass sie teure technische Produktionsschritte ersetzen können. Zum Beispiel bei der Herstellung von Vitaminen, Medikamenten oder Pflanzenschutzmitteln. An der Universität Göttingen hat man nun das Genom eines Einzellers entschlüsselt, von dem sich die Biotechnologie besonders viel verspricht.

Von Björn Schwentker |
    Gluconobacter oxydans hat es gut. Es lebt auf Früchten und Blüten und damit mitten im Schlaraffenland. Denn dort gibt es sein Nahrungsmittel im Überfluss: Zucker. Die meisten Bakterien fressen Zucker ganz auf. Chemisch gesprochen: Ihr Zellkörper oxidiert das Glukose-Molekül, bis nur noch Kohlendioxid und Wasser übrig bleiben. Aber Gluconobacter oxydans ist anders als die anderen Bakterien:

    Gluconobacter, wenn er in einer Zuckerlösung wächst, nimmt die Glukose nur zu einem ganz geringen Prozentsatz auf, die Hauptmenge der Glukose bleibt außerhalb der Bakterienzelle und wird durch Enzymsysteme, die nach außen schauen, nicht vollständig zersetzt, sondern in Zwischenprodukte umgewandelt, eines zum Beispiel die Gluconsäure, die dann gar nicht erst in der Zelle erscheint, sondern sie bleibt als partielles Oxidationsprodukt außerhalb der Zelle.

    Gerhard Gottschalk, Professor am Institut für Mikrobiologie und Genetik an der Universität Göttingen, nennt das hochspezialisierte Bakterium einen "lebenden Katalysator": ohne das Zuckermolekül aufzunehmen, oxidiert es nur ganz bestimmte Teile davon - der Rest bleibt erhalten. Auch andere Einzeller können das, Verwandte des Gluconobacter aus der Familie der Essigsäurebakterien. Gluconobacter oxydans jedoch kann die meisten verschiedenen Biomoleküle herstellen - aus Zucker oder Alkoholen. Aus der Biotechnologie ist es darum nicht mehr wegzudenken. Zum Beispiel bei der Massenproduktion von Vitamin C: Dort wandelt es das organische Molekül Sorbit in Sorbose - eine Zuckerart - um. Ein Produktionsschritt, der technisch sehr umständlich und teuer wäre. Wollte man bisher wissen, wo und wie man das hilfreiche Bakterium einsetzen konnte, half nur eins: Ausprobieren. Das ist jetzt nicht mehr nötig. Den nun hat man den Bauplan der bakteriellen Chemiefabrik entschlüsselt, das komplette Genom des Gluconobacter. Gottschalk:

    Wir haben also die exakte Folge von drei Millionen Basen auf dem Genom sequenziert, und kommen dann auf 2700 Gene, die man - wie wir sagen - annotiert, also man versucht, diese Gene dann bestimmten Funktionen zuzuordnen, und man sieht: Aha, der hat zum Beispiel achtzig Gene für Dehydrogenasen.

    Die Dehydrogenasen sind der eigentliche Clou bei Gluconobacter oxydans. Jede dieser 80 Enzymgruppen ermöglicht als chemischer Katalysator eine bestimmte selektive Oxidation. Da man jetzt die Gene des Bakteriums kennt, weiß man auch genau, welche Stoffe es zu welchen Produkten umwandeln kann. Denn die Gene sind nichts anderes als die Bauvorschrift für die Enzyme. Biotechnologisch lassen sich die Gene des Gluconobacter nun gezielt mutieren - um damit seine chemischen Fähigkeiten je nach Wunsch zu optimieren. Bei der Produktion von Vitamin C etwa könnte der Einzeller in Zukunft so nicht nur einen von vier Schritten übernehmen - sondern gleich alle auf einmal. In einen großen Topf mit Zuckerlösung muss man dann nur noch genug vom mutierten Bakterium einmischen, und das produziert das Vitamin ganz von selbst. Gottschalk:

    Vitamin C im sogenannten Eintopfverfahren aus Glukose zu gewinnen, ist eine sehr reale Möglichkeit und diese nun in die Wirtschaftlichkeit zu führen, wird durch die Kenntnis der genomischen Sequenz von Gluconobacter oxydans sehr gefördert.

    Vitamin C ist dabei nur eins von vielen Produkten, auf die sich der Einzeller genetisch programmieren ließe. Was er wirklich alles herstellen kann, wird sich erst nach und nach in der Praxis zeigen, glaubt Gerhard Gottschalk:

    Man muss sich natürlich immer klar machen, dass es nicht so sein wird, dass innerhalb von 12 Monaten nun 20 neue Prozesse auf der Grundlage von Gluconobacter entwickelt werden. Die Einführung eines neuen Verfahrens nimmt Jahre in Anspruch.