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Lebensmittel-Abfälle
Plastikmüll aus dem Supermarkt auf dem Acker

Wenn Supermärkte abgelaufene Lebensmittel entsorgen, wandert auch die Verpackung auf den Müll. Über Umwege geraten dadurch Jahr für Jahr tonnenweise kleine Plastikteile auf die Äcker. Die nächstliegende Lösung wäre, die Ware vor der Verwertung auszupacken - doch das ist der Recyclingbranche zu aufwendig.

Peer-Axel Kroeske | 10.07.2018
    Obst-, Gemüse- und andere Lebensmittelabfälle lagern am Donnerstag (25.08.2011) in der mechanischen Aufbereitungsanlage der Biowerk-Biogasanlage der Stadtreinigung in Hamburg. Essensreste und Biomüll werden immer öfter zu Energie.
    Essensreste enthalten oft Plastikrückstände - und die landen häufig auf dem Acker (dpa / Christian Charisius )
    In der Stadt Schleswig ist etwas schiefgelaufen: Millionen von Plastikschnipseln gelangten vermutlich über Monate von einer Biogasanlage über das Klärwerk in die Schlei, einen Seitenarm der Ostsee. Der Streit um die Verantwortung dafür dauert an.
    Klar ist aber: Es handelte sich um zerkleinerte Lebensmittelverpackungen. Und durch diesen Vorfall wurde in größerem Maße bekannt, dass Recyclingunternehmen ganz offiziell Käse oder Joghurt mitsamt Hülle kleinschreddern.
    Robert Habeck von den Grünen hatte von dieser Praxis nach eigenem Bekunden vorher nichts gewusst. In seiner letzten Rede als Schleswig-Holsteinischer Umweltminister vor dem Bundesrat warb er nun am Freitag für strengere Grenzwerte und eine "Pflicht zum Auspacken" der abgelaufenen Lebensmittel vor der Verwertung.
    "In der Verpackungsverordnung ist vorgegeben, dass organische Materialien entpackt werden sollen, aber nur, so lange es wirtschaftlich zumutbar ist. Und die wirtschaftliche Zumutbarkeit ist ein Trojanisches Pferd, ein Einfalltor."
    Ausgepackt wird meist nicht
    Tatsache ist: Entpackt wird meist nicht. Stattdessen trennt z.B. der Branchenriese ReFood bundesweit in seinen 16 Werken Biomasse und den Kunststoff erst nach dem Zerkleinern wieder mit Zentrifugen und Sieben ab. Laut Sprecher Marcel funktioniert das gut:
    "Der Handlungsbedarf ist in dieser Hinsicht überhaupt nicht gegeben. Und alle Beteiligten unterschreiten den Grenzwert - In der Regel ist es 1/10 - sehr sehr deutlich."
    Die erlaubte Kunststoffmenge liegt im Promillebereich. Doch bei 500.000 Tonnen, die ReFood nach eigenen Angaben an Lebensmittel- und Speiseresten insgesamt verarbeitet, dürften trotzdem einige Tonnen Kunststoff im Jahr auf die Äcker kommen. Habeck rechnet für Schleswig-Holstein vor, welche Mengen allein hier theoretisch erlaubt wären.
    "Würde man die groben Plastikstoffe nehmen, sind wir sogar bei 750 Tonnen in meinem Bundesland. Das heißt: Wir haben ein titanisches Problem da, und das liegt daran, dass am Anfang und am Ende eine Regelungslücke klafft."
    Offiziell begrüßt ReFood den Vorstoß, diese Lücke zu schließen, sieht aber dann die Supermärkte in der Pflicht, bereits ausgepackte Lebensmittel anzuliefern. Der Handelsverband Deutschland entgegnet, das dürften die eigenen Mitarbeiter aus hygienischen Gründen gar nicht. Die Recyclingunternehmen müssten dies übernehmen.
    Das SPD-geführte Bundesumweltministerium signalisiert zunächst Offenheit für strengere Regeln. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter im Bundesrat:
    "Verpackungen sind kein zulässiger Zuschlagsstoff für die Verwertung zusammen mit Bioabfällen. Unabhängig vom technischen Verfahren wissen wir, dass Fremd- und Störstoffe aus Bioabfällen nicht vollständig heraus sortiert werden können."
    Sie will die Regeln auf den Prüfstand stellen, aber:
    "...mit Augenmaß. Und ich glaube Aktionismus hilft und hier nicht weiter."
    Zerkleinern in Grenzen erlaubt
    Ihr Kollege, der parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold im Bundesumweltministerium betont, das Zerkleinern mitsamt Verpackungen sei im Rahmen der Grenzwerte zulässig.
    "Bisher gibt es keinerlei Vorschriften, welches Verfahren sozusagen anzuwenden ist."
    Und aus Pronolds Sicht wird das wohl so bleiben. Der Staatssekretär hält die "Pflicht zum Auspacken" rechtlich für nicht durchsetzbar:
    "Weil ich in einem demokratischen Rechtsstaat und einer Marktwirtschaft erst einmal den Wirtschaftstreibenden etwas nur vorschreiben darf, wenn es einen zwingenden Grund dafür gibt. Und wenn Wirtschaftstreibende eine Methode auch einer maschinellen Bearbeitung von verpackten Lebensmitteln finden, die zum Schluss von allen erachtete Grenzwerte einhalten, darf ich als Staat aufgrund des Übermaßgebotes das nicht regulieren."
    Bei den Grenzwerten sieht er zumindest Spielräume.
    "Wir sind bereit, die Frage von Grenzwerten zu überprüfen. Ich bin da sehr, sehr offen und freue mich auch, dass wir bei der Umweltministerkonferenz da sehr, sehr nah zusammengekommen sind. Und wir müssen an all diese Punkte ran..."
    Gigantischer Lobbyismus
    Bei der Umweltministerkonferenz vor einem Monat in Bremen hatten die Fachminister der Länder den Vorstoß unterstützt, den Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg gemeinsam eingebracht hatten. Im Bundesrat sagte Habeck nun vor der Abstimmung.
    "Ich weiß aus eigener Erfahrung, und Ihre Kollegen werden das bestätigen können, dass der Lobbyismus in der Sache gigantisch ist. Ich bitte Sie aber inständig, an dieser Stelle dann auch standhaft zu sein."
    Der Antrag im Bundesrat hätte noch keine Fakten geschaffen, sondern nur die Bundesregierung aufgefordert, tätig zu werden. Zur sofortigen Annahme fand sich am Freitag trotzdem keine Mehrheit. Das Thema wurde in die Ausschüsse verwiesen.