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Lebensmittel ohne Verpackung
Gegenprogramm zum bequemen Einkauf

In Deutschland gibt es mittlerweile 40 Geschäfte, die fast alle Lebensmittel ohne Verpackung anbieten. Die muss der Verbraucher mitbringen, wenn er Nudeln, Öl oder auch Milch kaufen will. Das soll nicht nur ein Beitrag zum Umweltschutz sein, die Kunden sollen auch Verantwortung übernehmen.

Von Benjamin Dierks | 12.07.2017
    Gläser mit direkt im Laden abgefüllten Lebensmitteln in einem Einkaufsnetz, fotografiert am 19.09.2014 in Berlin im Supermarkt "Original unverpackt" in der Wiener Straße in Kreuzberg, der ohne Verpackungsmüll auskommt.
    Wer unverpackte Ware kauft, muss die nötigen Behälter selbst mitbringen. Der Einkauf will also vorab geplant sein. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Christine Dangel steht am hölzernen Verkaufstresen ihres Eckladens in Berlin-Friedrichshain und kassiert Kunden ab. Einer hat ein Stück Käse gekauft, die Frau dahinter hat lose ein paar Pfifferlinge und Zucchini in ihren Flechtkorb gelegt. Christine Dangels Geschäft kommt weitgehend ohne Verpackungen aus. Ob Nüsse, Tofu, Öl oder Gemüse, Verpackungen und Gefäße sollen die Kunden möglichst selbst mitbringen.
    "Sie können hier mit ihren Behältern herkommen und müssen nur am Anfang wiegen. Oder wir haben hier kostenlos Zweite-Hand-Gläser oder Eierpackungen oder, ja, ein bisschen von allem."
    Die Idee ist, Verpackungsmüll und Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Wer Nudeln braucht, muss keine Pfundpackung kaufen, sondern kann auch nur hundert Gramm nehmen. Bei den Kunden in Friedrichshain kommt die Idee gut an.
    "Mich reizt daran, dass einfach weniger Plastikmüll erzeugt wird und dass es hier eben Mehl oder Leinsaat nicht im Plastebeutel gibt, sondern ich komme mit meiner Dose und das finde ich schlau."
    "Wir müssen unsere Konsumenten ein Stück weit erziehen"
    Dangels Laden ist eines von mittlerweile 40 verpackungsfreien Lebensmittelgeschäften in Deutschland. In Kiel entstand das erste Geschäft bereits vor drei Jahren. Heute bietet auch die Supermarktkette Biocompany in einigen Filialen verpackungsfreie Waren an. Mit wachsendem Geschäft kommt aber auch die Frage auf, wie viel Mehrwert für Umwelt und Kunden der Verzicht auf Verpackungen tatsächlich bringt – und wie viel davon schlicht Marketing ist. Branchenvertreter haben sich gestern Abend in Berlin getroffen, um diese Frage zu erörtern. Nicht immer sei der Kauf loser Ware sinnvoll, sagt Denis Schulz, der bei der Biocompany für die unverpackte Ware verantwortlich ist.
    "Wir müssen unsere Konsumenten ein Stück weit erziehen, die zwar zu uns kommen und auch an die Unverpackt-Station rangehen, aber dann trotzdem Papiertüten verwenden, wo ich dann sage, ok, darauf kann ich auch verzichten."
    Mit dem Kauf von ein paar losen Nüssen nämlich ist es nicht getan. Wer unverpackte Ware kauft, der soll nach Vorstellung der Anbieter nicht wie gewohnt nur einen schnellen Abstecher in den Supermarkt machen. Der Einkauf soll geplant werden. Kunden sollen sich genau überlegen, was sie brauchen, und die benötigten Behälter mitbringen.
    "Wir wollen Verantwortung auf den Verbraucher übertragen im Bereich Verpackung", sagt Reinhard Manger von der Lobetaler Bio-Molkerei. Der Betrieb hat in einigen Bio-Supermärkten bereits Zapfanlagen aufgestellt, an denen Kunden sich selbst Milch abfüllen können. Manger glaubt, dass sich die Müllproduktion nur eindämmen lässt, wenn die Kunden den Aufwand spüren, der nötig ist, um Verpackungen parat zu halten.
    Umweltkosten im eigenen Haushalt übernehmen
    "Ich muss die Flasche selber spülen und das warme Wasser muss ich selber erzeugen. Die Art und Weise, wie ich die Flasche spüle, die liegt in meiner Verantwortung. Da ist der eigentliche wesentliche Effekt der Verantwortungsübernahme von Umweltkosten – also Umweltkosten in seinen eigenen Haushalt übernehmen."
    Es sind also hohe Ziele, die sich die Branche steckt – das Gegenprogramm zum herkömmlichen bequemen Einkauf.
    "Das machen diese Läden, die stellen etwas relativ radikal infrage."
    Melanie Kröger erforscht den verpackungsfreien Einkauf mit einem Team an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Sie glaubt, dass davon ein großer Einfluss ausgehen kann.
    "Dass einfach diese Läden eine Funktion wie damals die Bioläden übernehmen, so eine Szene um sich zu scharen und Gleichgesinnte und Menschen, die das in ihrem Leben umsetzen und integrieren."
    Bleibt nur die Frage, ob manch ein Kunde bei so viel Verantwortung nicht vielleicht doch lieber zur fertig verpackten Ware greift.