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Lehrer lernen Lyrik

"Wandrers Nachtlied" und Schillers "Glocke" - wer Schüler von heute für Poesie begeistern will, sollte auch aktuellere Beispiele im Repertoire haben. Man könnte zum Beispiel Till Reiners einladen: Der für seine Poetry Slams preisgekrönte Performer und Dichter gibt gerne Workshops - auch an Schulen.

Von Jürgen König |
    Poetry Slam - die Dichterschlacht, der Dichterwettstreit, bei dem eigene Texte vorgelesen werden; Texte, die sich nicht zwingend reimen, auch nicht zwingend hoch konzentriert in Tempo und Dichte sein müssen: Am Ende krönt das Publikum eine Siegerin oder einen Sieger. Der Performer und Slammer Till Reiners ist 26 Jahre alt, mehrfach preisgekrönt bespielt er die Slam- und Kabarettbühnen Deutschlands, gibt gerne Workshops - für Schüler und auch für Lehrer und leitet sie meist mit einem kleinen Auftritt ein.

    Geradezu ideal seien die Mittel des Poetry Slam, um Jugendliche zur Literatur und zum Schreiben zu bringen, erzählt die Lehrerin und Didaktikerin an der Freien Universität Berlin, Claudia Maaß:

    "Also, ich denke, Poetry Slam ermöglicht Schülerinnen und Schülern einen ganz anderen Umgang mit Sprache und vor allen Dingen auch mit Lyrik, weil sie die Chance haben, die Texte nicht einfach nur kognitiv-analytisch auf dem Blatt in irgendeiner Form zu lesen, sondern sie schreiben ja ihre eigenen Texte im Idealfall und präsentieren die auch. Das heißt, ich bin in der Konzeption, wenn ich über ein Thema nachdenke, immer auch schon gleichzeitig in der Überarbeitung, dass ich mir anhöre, wie klingt das eigentlich, was ich mache."

    Eigene Texte vor der Klasse vorzutragen, vorzuspielen - das ist eine große Herausforderung, vieles gibt man von sich preis - und dennoch: Erstaunlich viele Schüler scheinen es zu mögen.

    "Das müssen ja für einen Poetry Slam nicht nur Gedichte sein, das können auch Kurzgeschichten sein oder Prosatexte und den eigenen Alltag im Text und dann aber eben auch für ein Publikum zu verarbeiten, ist eine Selbsterfahrung, die auch zu sehr viel Selbstbewusstsein und Persönlichkeitsbildung beiträgt und oft sind es die Schüler, die ansonsten im Unterricht eigentlich eher die Stillen sind, die plötzlich sich auf die Bühne stellen und mit einer unglaublichen Verve ihre Positionen formulieren und die meistens dann ja auch noch literarisch überarbeitet."

    Die Lehrerin Beatrix Ortleb von der Berliner Georg Herwegh-Oberschule hat nicht ganz so gute Erfahrungen gemacht:

    "Wenn man das in der neunten oder zehnten Klasse bekannt macht, wissen die meisten noch gar nichts davon und haben, es hat noch nicht so dieses breite Publikum, von dem man immer glaubt, dass es immer da ist. Also man macht sie eigentlich damit bekannt, und einige springen richtig gut darauf an, und für andere ist es eben nichts. Also viele scheuen sich auch, auf der Bühne zu stehen und dann so frei zu sprechen und wirklich diese Performance zu machen. Das ist ja noch mal eine andere Stufe, ne?"

    Auch für die Arbeit an "klassischen Gedichten" seien die Erfahrungen aus dem Poetry Slam sehr hilfreich.

    "Das kann ein Impuls sein, das denke ich schon. Einfach sich da ein bisschen auszuprobieren, auch zuspüren, dass Lyrik ja eine gewisse Melodie auch hat, einen gewissen Rhythmus auch hat. Und das zeigt natürlich ein Poetry Slam besser als so das klassische Gedicht."

    Geht Till Reiners selber in die Schulen, will er vor allem eines: Jugendliche zum Schreiben animieren.

    "Dass man sagen kann: vergesst jetzt erstmal alles, alle Kontrolle und all das, was ihr so gelernt habt, und schreibt doch einfach mal das, was euch interessiert."

    Die Lehrerinnen und Lehrer in seinem Workshop behandelt Till Reiners wie die Schüler - damit sie genau das erfahren, was ihre Schüler später auch erleben. Seine Workshops sind zweigeteilt, zunächst steht Schreiben, danach die Performance auf dem Programm.

    "Erstmal geht es darum, sich ein bisschen locker zu machen, wir machen so viele Aufwärmspielen und dann gibt es ganz verschiedene Schreibübungen, die wir machen. Es geht dann immer mehr darum, später dann ganz frei zu schreiben. Am Anfang noch mit ganz viel Anleitung und noch relativ wenig, also immer so fünf bis zehn Minuten nur schreiben, und ganz kurze Schreibphasen und dann wird das dann immer mehr."

    Wie es klingt, wenn Lehrerinnen und Lehrer zu Slammern werden: Das muss heute noch - leider - ein Geheimnis bleiben ... Das ist dann doch - noch - zu privat, als dass Tonaufnahmen schon zulässig wären. Aber wir bleiben dran.