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Leiden und Erleuchtung

Insgesamt fünf deutsche Filme sind in Cannes gelaufen: Robert Thalheim "Am Ende kommen Touristen", Jan Bonny "Gegenüber", Nicolas Wackerbarth "Halbe Stunden" (Kurzfilm), Volker Schlöndorff "Ulzhan" und Fatih Akin "Auf der anderen Seite". Auch wenn nur der Fatih Akin-Film im Wettbewerb gelaufen ist - die anderen Filme eröffneten ebenso sehenswert eine weite Reise ins Innnen und Außen.

Von Christoph Schmitz |
    Altmeister Volker Schlöndorff verreist in seinem Cannes-Film "Ulhzan" geographisch am weitesten. Seine Helden schickt er ins tiefste Hinterland von Kasachstan auf die Suche nach Sinn. Sein jüngster deutscher Cannes-Kollege, der 28jährige Regisseur Jan Bonny, bleibt mit "Gegenüber" lieber im Ruhrgebiet bei der Karriere und Psyche eines Polizisten und seiner Frau.
    O-Ton aus "Gegenüber", Anne trifft ihren Vater

    Annes Vater kann die Tochter mit seinem Karrierefimmel hetue noch schikanieren. Anne ist Grundschullehrerin, ihr Mann, Georg, Polizist, der jetzt befördert werden soll, worauf sie mächtig stolz ist. Nach außen spielen Anne und Georg heile Familie und trautes Paar. In Wirklichkeit aber leben sie in der Hölle.

    Anne schlägt ihren Mann blau und blutig. Sie kann seine Harmoniesucht nicht mehr ertragen. Georg ist auf unerträgliche Weise freundlich, bescheiden, konfliktscheu und unfähig sich zu wehren. In einem brutalen Realismus entwickelt Regisseur Jan Bonny die eskalierende Gewalt, zeichnet er mit dunklen und grobkörnigen Bildern der intensiv eingesetzten Handkamera die beklemmend engen Wohnverhältnisse und die Tristesse eines Ruhrgebietswinters. Eine psychologische Fallstudie ohne sozialkritische Ambitionen.

    In seiner ästhetischen Kargheit ist Bonnys Spielfilmdebüt wohl der radikalste Beitrag unter den deutschen Festival-Filmen. Aber auch Robert Thalheims "Am Ende kommen Touristen", der Kurzfilm "Halbe Stunden" von Nicolas Wackerbarth und selbst der Wettbewerbsfilm "Auf der anderen Seite" von Fatih Akin schwelgen nicht gerade in üppigen Kinobildern.

    Nimmt man Volker Schlöndorffs "Ulzhan" einmal aus, dann scheint bei den anderen sehr viel jüngeren Beiträgern Schlichtheit stilistische Grundhaltung zu sein. Nicolas Wackerbarths "Halbe Stunden" erzählt sehr still von der Einsamkeit einer jungen Ehefrau. Und Robert Thalheims "Am Ende kommen Touristen" kommt mit dem Low-Budged-Charme eines Studentenfilms daher.

    "Ich heiße Sven Lehnert und mache hier Zivildienst". Sven ist in Auschwitz. Er soll in einer Bildungseinrichtung für Jugendliche mitarbeiten. Und er soll sich um den Auschwitzüberlebenden Krzeminski kümmern, der als Zeitzeuge die jungen Besucher unterrichtet. Herablassend und ungeduldig springt er mit dem Zivi um.

    "Ein Deutscher, der keine Uhr hat?" so bringt Krzeminski seine polnischen Freunde zum Lachen. Ein anderer Pole findet es lustig, dass mit dem Zivil-Soldaten Sven wieder ein Deutscher Dienst in Auschwitz schiebt. Zeit- und Bedeutungskoordinaten sind an diesem Ort verbogen: Polnische Gegenwart mit Arbeitslosigkeit und Abwanderung, übermächtige Relikte des Grauens, hohle Betroffenheitsrituale des Auschwitz-Tourismus. Und dann verliebt sich Sven noch in die Polen Ania, die früh bekennt, dass auch sie fort will:

    Robert Thalheims Film "Am Ende kommen Touristen" erzählt eine wundersam schwebende Übergangsgeschichte, eine Schwellengeschichte.

    Die Helden in Fatih Akins "Auf der anderen Seite" dagegen haben die Schwelle schon überschritten. Deutsche und Deutschtürken versuchen nach Heimatverlust und Tod ihren Lebensort neu zu bestimmen. Ganz und gar existenziell versteht diese Suche Volker Schlöndorff in "Ulzhan".

    "Ich will alleine sein. Ich habe eine Mission", bekennt der franzosische Forscher Charles der jungen Kasachin Ulzhan. Er will in den Bergen einen christlichen Goldschatz finden. Vielleicht sucht er in der menschenleeren Landschaft auch nur das Ende, aus Verzweiflung über den Unfalltod seiner Frau und seiner Kinder. Ulzhan begleitet ihn bis ins Schneegestöber des Hochgebirges.

    " Es ist eigentlich eine Traumreise, die sehr real anfängt und die immer unwirklicher wird, was die äußeren Umstände betrifft, und die immer realer wird, was die menschliche Wahrheit betrifft. ( ... ) Er glaubt den Tod zu suchen und entdeckt nach und nach, dass er in Wirklichkeit nicht nur am Leben hängt, sondern das Leben liebt und dass das Leben, selbst wo nichts ist, immer noch vor ihm ist."

    Volker Schlöndorff zeigt die großen Kinobilder. Weite Naturlandschaften, mächtige Symbole des kasachischen Ölbooms, visionäre Zeichen mythischer Vergangenheit. Er ist unabhängig genug, um die Sinnfrage zu stellen. Er gibt zwar keine konkrete Antworten, eröffnet aber ein Bedeutungsfeld.

    " Ein verstorbener Freund und Produzent der "Blechtrommel", Anatole Dauman, hat einmal gesagt, Film ist metaphysisch oder gar nicht. Vielleicht hätte ihm der Film gefallen."

    Eine weite Reise hat Schlöndorff mit seinen Werken dazu hinter sich bringen müssen. Eine weite Reise nach innen und außen unternahmen auch die deutschen Filme in Cannes.