Mittwoch, 08. Mai 2024


Leiden und Sterben im Kessel

Wir sind einen Tag vor Heiligabend plötzlich aus der vordersten Linie, also der Hauptkampflinie, abgelöst worden. Wir haben fünf Wochen drin gelegen, und ich habe hundertfach Glück gehabt. Wie wir jetzt abgelöst wurden und wieder nachts nach Stalingrad marschierten, bin ich zusammengeklappt, und seit der Zeit lieg ich in einem Bunker, wo die alle sind, die auch dasselbe haben, eine Art Ruhr. Ich bin total abgemagert. Ich habe die Fingerspitzen, Zehen und Fersen angefroren.

Von Doris Bulau | 25.11.2002
    Der Schütze Friedrich Eberhardt. Er schreibt diesen Brief am 2. Januar 1943. Wenige Tage später wird er vermisst. - Zu den Verwundungen und Erfrierungen im Kessel von Stalingrad sind Seuchen hinzugekommen, und die Läuse bringen die Männer um den Schlaf.

    Ich kann nicht viele Worte mehr machen, ich habe nur eine große Sehnsucht im Herzen - die Heimat, denn das Leben ist hier nicht mehr lebenswert, denn ich bin ein richtiger "Läusejunge" geworden. Die Läuse lassen mir keinen Schlaf und treiben mich zum Wahnsinn. .... Wie lange das noch so gehen wird - wir wissen es vielleicht am wenigsten, denn wir sind müde und apathisch geworden und leben von einem Tag auf den anderen.


    Der Soldat Walter Gehr am 6. Dezember, er ist wenige Wochen später gefallen. - Der Infanterist Walter Mussaeus schreibt am 2. Januar seinen Eltern und seiner Freundin:

    Leider konnte ich Euch während der Feiertage keinen Brief schreiben; denn da lag ich im Krankenbunker mit Furunkulose. Sie soll von den Läusen kommen.... Wir haben jetzt eine grausige Kälte, und die Erfrierungen nehmen dauernd zu. Ich habe mir auch meinen linken Fuß tüchtig angefroren und durchgelaufen. Hoffentlich wird nicht wieder so ein Abzess mit Lymphdrüsenentzündung daraus, denn hier wird so etwas anders behandelt als in Frankfurt/Oder. Mein drittes Leiden sind die Läuse. Sie fressen mich geradezu auf, obwohl ich fast täglich einige Hundert knacke. Sie können einen verrückt machen.


    Der Arzt Dr. Erich Weber schildert den Alltag der Mediziner und Sanitäter.

    Ein kleiner Omnibus ist als "Operationssaal" hergerichtet. Dass sich da alles im Raum stößt, kannst Du Dir denken. Dazu die Misere mit der Beleuchtung, manchmal klappt es mit dem elektrischen Licht, aber noch öfter müssen wir beim Schein einer Kerze oder Karbidlampe operieren.


    Günther Merbold, Sanitätsunteroffizier:

    Wir machen alles, behandeln jeden, Deutsche, Rumänen, Russen, Ukrainer, Hilfswillige, russische Zivilpersonen, alte Männer, Frauen, von Bomben und Granaten getroffen, Verbrannte, verbrühte kleine Jungens, die mit Handgranaten gespielt haben, Säuglinge, Kinder jeden Alters, junge Mädchen mit verführerischen Augen, von Granatsplittern getroffen, wie es gerade kommt. Allmählich kann man ahnen, wie es einem praktischen Arzt zumute sein mag, der vielleicht im Osten eingesetzt ist. Interessante Perspektiven, ja?


    Günter Merbolds Schicksal bleibt ebenfalls ungeklärt. - Viele versuchen auch in dieser Situation noch, die Angehörigen zu Hause zu beruhigen. Der Soldat Simon Krings schreibt wenige Wochen, bevor sich auch seine Spur verliert:

    Bei mir selbst waren die Feiertage sehr hart. Am 22.12. war ich wegen Platzmangel aus dem Lazarett zur Kolonne entlassen. Seitdem liege ich mit eiterndem rechten Arm - eine Gewebeentzündung - in einem dunklen Erdbunker. Die Sache ist sehr gut verlaufen, aber die Löcher heilen bei der Kälte nicht. Der Arzt gibt sich rührende Mühe und es wird alles gut werden. An Fingerspitzen und Füßen habe ich leichte Erfrierungen. Auch nicht schlimm.


    Ich war bei der letzten Fahrt beim Arzt wegen meines Rheuma und habe zur Zeit stark damit Last in dem linken Fuß vom Knie bis zu den Hüften und bin jedes Mal froh, wenn ich die 25 km von der Front hinter mir habe, zumal es sich bei dem Schnee und dem Glatteis recht schlecht geht. Die tollsten Schmerzen sind des Nachts, dann kann man nicht schlafen, und habe in den letzten Wochen keine Nacht über drei/vier Stunden geschlafen. Der Arzt verschrieb mir die Originalwehrmachtmedizin: Aspirin und Pfefferminztee.

    Der Gefreite Heinz Risse, auch er kehrt nicht zurück. - Schmerzen, Schlaflosigkeit und der Tod sind längst alltäglich geworden. Dr. Franz Schmitt, ein Tierarzt, kommt am 28. Januar 1943 zu Tode. Drei Wochen vorher schreibt er an seine Angehörigen:

    Gestern wurde hier gegenüber ein Oberst, Regimentskommandeur, beerdigt. Er hatte einen Granatsplitter im Bauch und hat noch 2 Tage damit gelegen. Ich glaube, das ist das Schlimmste, was einem augenblicklich passieren kann, so schwer verwundet zu sein, man ist dann restlos aufgeschmissen.


    Diese Scharen Verwundeter, die wir bekamen!


    Der Sanitätssoldat Paul Gerhardt Möller, in einem Brief an seine Frau.

    Einige liegen, hocken, kauern auf einem Haufen Decken. Da will einer umgebettet, ein anderer zugedeckt, eingepackt werden. Hier wimmert einer in seinen Schmerzen und bekommt eine Spritze. Und dann muss ich fieberheiße Lippen kühlen und streiche wohl dabei einem Jungen mit der Hand über die Stirn. Das tue ich gern, und es ist oft das einzige, was ich neben einem freundlichen Wort an "Trost" spenden kann. Ach es ist so wenig, so bitter wenig.


    Wie glänzend war damals auf dem Vormarsch alles organisiert! Alle schwer Verwundeten wurden zu Spezialoperationen sofort abtransportiert. Heute sind wir froh, wenn die Schlimmsten mit der JU wegkönnen.