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Leistung und Engagement

Betül Cobanli ist unermüdlich. Die 23-jährige Studentin aus Vechta erhält heute in Hannover den Niedersächsischen Wissenschaftspreis. Den bekommt sie nicht nur für hervorragende Studienleistungen im Bereich Sozialwissenschaft. Gleichzeitig ist es eine Auszeichnung für ihr hohes ehrenamtliches Engagement.

Von Tiede Thedinga | 27.10.2010
    Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe im "Verein zur pädagogischen Arbeit mit Kindern aus Zuwandererfamilien" gehören dazu. Außerdem gibt Cobanli für angehende Abiturienten an regelmäßig eine Art Fremdenführerin an ihrer Universität Osnabrück:

    Die 15-jährige Özlam und Pelin, 17 Jahre alt träumen von einem Studium. Die beiden türkischstämmigen Osnabrücker Schülerinnen haben große Ziele:

    "Auf jeden Fall. Nach dem Abitur, wenn nicht sogar im Ausland. Ja, ich auch auf jeden Fall. Erstmal mein Abi und dann hoffentlich studieren, aber die Richtung weiß ich jetzt noch nicht"

    Und auch an der Universität kennen sie sich kaum aus. Welche Fächer gibt es? Wie hoch sind die Anforderungen? Für welchen Beruf brauche ich welches Studium? In der Cafeteria der Uni-Bibliothek treffen sie sich mit Betül Cobanli:

    Cobanli macht das regelmäßig. Sie möchte mehr sein als nur eine Art Uni-Fremdenführerin:

    "Ich spiele wirklich eine Vorbildfunktion, weil ich selber einen Migrationshintergrund habe. Und ich lege auch sehr viel wert darauf, dass ich mehr als Nachhilfe und Hausaufgabenbetreuung mache. Ich möchte nicht nur beispielsweise englische Grammatik lehren. Ich möchte mehr als das. Ich möchte quasi die große Schwester sein, auch bei privaten Problemen, bei persönlichen Problemen ansprechen können. Ich möchte ihnen auch zur Seite stehen, wenn sie Orientierung brauchen. Es ist nicht nur einfach: Da studiere ich, es geht auch darum, ob ich überhaupt einen Abschluss erwerben kann."

    Sie selbst fühlt sich sowohl in der deutschen, als auch in der türkischen Kultur zu Hause:

    "Ich möchte mich nicht entscheiden. Ich kann mich auch gar nicht entscheiden, denn ich bin in Deutschland geboren, habe einen türkischen Migrationshintergrund und ich sehe das als Vorteil an. Also ich kann beides, ich will beides und ich vereine das und baue mir gerade so meinen eigenen Weg."

    Der führt gemeinsam mit ihren Schützlingen Özlam und Pelin durch die langen Bücherreihen der Uni-Bibliothek. Cobanli zeigt ihnen ihre persönliche Lieblingsecke mit philosophischen Werken und demonstriert gleich mal die korrekte Lautstärke:

    Die Besuchstouren mit angehenden Studenten, die Betreuung für Schüler von Zuwanderern und ein Masterstudiengang im Fach "Demokratisches Regieren und Zivilgesellschaft" - das alles klingt nach Stress. Doch Cobanli wirkt ganz entspannt und überzeugt ihren Professor den Sozialwissenschaftler Ralf Kleinfeld mit ihren Stärken:

    "Fleiß, Ehrgeiz und systematisches analytisches Arbeiten."

    Die kamen zum Beispiel in einer Arbeit zum Tragen mit dem Titel "Wo die Liebe hinfällt", Teil des Forschungsprojektes Migration und Partnerwahl. Kleinfeld geht davon, dass es auch bei ihm ein bisschen kribbeln wird vor Aufregung, wenn Betül Cobanli am Abend den Wissenschafts-Preis bekommt:

    "Das freut eine selber, vor allem für diejenige, die ihn bekommt, weil man dann sagt, das ist doch ein Klasse-Beispiel dafür, dass ein Mädchen hier an der Universität und jemand mit Migrationshintergrund ohne in irgendeine Ecke, ohne kontingentiert zu werden, alleine durch ihre Leistung in den Mittelpunkt gestellt wird und das finde ich toll."

    Die 23-jährige aus Vechta bleibt beim Gedanken an den Preis ganz bescheiden:

    "Die Unterstützung und Motivation meiner Eltern spielt eine ganz große Rolle, die Unterstützung meiner Großeltern, die eben als erste Generation nach Deutschland gekommen sind. Meine Professoren, meine Freunde. Aber ich freue mich auch persönlich, dass ich einen Preis gewonnen habe. Das tut auch ganz gut, kann ich nicht verleugnen. Das ist sehr schön, dass meine Leistungen so anerkannt worden sind."

    Es wird ihr Kraft geben sich weiterhin dafür einzusetzen, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund eine gute Ausbildung bekommen, zum Beispiel an der Uni. Und wenn sich Cobanli dafür Löcher in den Bauch fragen lassen muss. Bei Özlam und Pelin ist der Grundstein schon gelegt.