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Lesen unterm Weihnachtsbaum

Es ist die Quintessenz eines Bücherjahres: Traditionell vor Weihnachten empfehlen die Moderatoren des Büchermarkts die Bücher, die sie möglichst häufig unter dem Weihnachtsbaum sehen würden. Bildbände, Romane und ein 18-Kilo-Buch sind dieses Jahr dabei.

Moderation: Hajo Steinert |
    Weihnachtsempfehlungen der Buchredaktion

    Angela Gutzeit empfiehlt:
    1.) Corso-Folio - Städtereisen

    Corso-Folio im Corso Hamburg, jeweils ca. 160 Seiten, vierfarbig,
    Einzelpreis 26.95 Euro.

    Ein Magazin der Extraklasse für Reiselustige oder für alle, die vom Reisen träumen! Im Corso Verlag sind seit September 2010 sieben großformatige Bände erschienen, für die jeweils ein Autor oder eine Autorin als Herausgeber verantwortlich zeichnet: Georg Stefan Troller für Paris, Matthias Politycki für London, Eva Menasse für Wien, Ulrich Sonnenberg für Kopenhagen ... und zuletzt Wilhelm Genazino für Istanbul. Die schön ausgestatteten Stadtführer vereinen literarische Erkundungen mit dem kritischen Geist des Sachbuchs.

    2.) Foto- und Textband - Pilgerreisen
    Annie Leibovitz: Pilgrimage. Pilgerreisen zu Kultorten. Schirmer/Mosel, 246 Seiten, 128 Farbtafeln, 49.80 Euro.

    Man kennt die amerikanische Starfotografin eigentlich ganz anders - als Porträtistin der Reichen und Mächtigen. Und nun auf einmal ein sehr persönlicher Bildband von Annie Leibovitz ohne knallige Effekte, sogar ohne Menschen. Versammelt sind in diesem Band Fotos und Texte, die Geschichten erzählen von Gegenständen, Orten, Häusern und Landschaften, die einmal zur Lebenswelt von längst verstorbenen berühmten Menschen gehörten, die für sie und ihre langjährige Lebensgefährtin Susan Sontag Bedeutung hatten. Eine nachdenkliche Zeitreise in das englische Gartenhaus von Virginia Woolf, zu Freuds letztem Domizil in London oder in das Lincoln-Museum im amerikanischen Springfield.

    Tanya Lieske empfiehlt:
    Cornelia Funke, Geisterritter. Mit Bildern von Friedrich Hechelmann. Dressler Verlag, 256 Seiten, 16,95 Euro

    Ein englisches Internat, eine dunkle Kathedrale aus dem Mittelalter, jede Menge Rittergräber, in denen es sich nach Mitternacht regt:
    In Cornelia Funkes jüngstem Roman "Geisterritter" geht es ganz klassisch schauerlich zu. Er birgt viele Themen und Motive der mittelalterlichen Mystik. Und für junge Leser eine Herausforderung: Wird es dem elfjährigen Jon gelingen, das Herz des guten Ritters Longspee zu finden?

    Tilman Spreckelsen: Der Mordbrand von Oernolfsdalur und andere Isländer Sagas. Mit Bildern von Kat Menschik. Galiani Verlag, Berlin. 204 Seiten gebunden 24,99

    Das schönste Mords-Buch des Islandjahres 2011: Tilman Spreckelsen hat fünf der großen Sagas aus dem 9. und 10. Jahrhundert in unserer heutigen Sprache nacherzählt, dabei alles bewahrt, was sie rau, schrecklich und poetisch macht. Mit archaisch wirkenden Illustrationen von Kat Menschik. Auch als limitierte Vorzugsausgabe mit Originaldrucken erhältlich.

    Denis Scheck empfiehlt:

    Belletristik

    Perry Rhodan Nr. 2613. Michael Marcus Thurner "Agent der Superintelligenz", (Eins A Medien GmbH), Euro 07,95

    Jan Brandt: "Gegen die Welt", (DuMont Buchverlag), Euro 22,99

    Was haben der eigentümlichste deutsche Heftroman und das beeindruckendste literarische Debut des Jahres 2011 miteinander zu tun? Intensive "Perry-Rhodan"-Lektüre taucht als aussagekräftiges Element zur Charakterisierung der jugendlichen Hauptfigur in Jan Brandts Kleinstadtroman "Gegen die Welt" auf; und der längste und komplexeste Kollektivroman aller Zeiten über den dank eines "Zellaktivators" mittlerweile gute 3000 Jahre alten Serienhelden Perry Rhodan feiert in diesem Jahr 50. Geburtstag. Beide zusammen ergibt eine ideale Feiertagslektüre und schönen Anlass zum Nachdenken über E und U, Provinz und Metropole, literarische Borniertheit und künstlerische Weltoffenheit.
    Bildband/Sachbuch

    Nathan Myrvohld, Chris Young und Maxime Bilet Modernist Cuisine.
    Deutsch von Monika Niehaus und zehn Kollegen, Taschen Verlag,
    6 Bände, 2500 Seiten, 18 Kilo, 399 Euro.

    Hinter diesem Kochbuch steckt ein kluger Kopf: Nathan Myhrvold, eine Art Daniel Düsentrieb mit Kochschürze. Der promovierte Physiker hat als Assistent bei Stephen Hawking gearbeitet, bevor er als Technikvorstand bei Microsoft anheuerte und mit Bill Gates über alle Maßen reich wurde. Ein Teil seines Vermögens investierte der leidenschaftliche Hobbykoch nun in dieses Buch. Es ist eine Unternehmung wie aus einem Jules-Verne-Roman: sie hat quasi kapitalistische Poesie, den Charme von Geld, Geschmack & Genie - muss ich betonen, dass so etwas wirklich sehr selten ist?

    Dieses Buch gehört in die Hände eines jeden, der sich ernsthaft mit Essen beschäftigt.


    Hajo Steinert empiehlt:

    Belletristik:

    Michel Bergmann: Machloikes. Roman. Arche Verlag. 336 S., 19,90 Euro

    Die Helden in diesem filmisch-virtuos erzählten Schelmenroman sind Überlebende des Holocaust. 1945 zurück gekommen nach Frankfurt am Main, verdienen sie ihr Geld als Hausierer und Teppichhändler. Doch trotz aller Geistesgegenwart holt sie - allesamt sympathische Schlitzohren - ihre Vergangenheit Tag für Tag ein. Einer von ihnen soll
    wegen seiner Kunst Witze zu erzählen, sogar vom "Führer" persönlich geladen worden sein . . .

    Bildband:

    Peter Geyer und OA Krimmel: Kinski.Vermächtnis. Edel:Books. 400 Seiten, 500 Bilder, 49,95 Euro

    Vor 20 Jahren gestorben, doch immer noch, in Wort und Bild, höchst lebendig: das ebenso größenwahnsinnige wie kindsköpfige Schauspielergenie Klaus Kinski.

    Autobiografische Aufzeichnungen, literarische Fragmente, Fotografien, Zeichnungen und anderes noch nie gezeigtes Bildmaterial tragen zum Vermächtnis dieses Wahnsinnskerls bei. Ein Kultbuch für die Fans einer großen Legende. Seite für Seite schlägt sein Schlachtruf durch: "Ich brenne!"


    Hubert Winkels empfiehlt:

    Belletristik, mein Lieblingsbuch des Herbstes:

    Judith Schalansky. "Der Hals der Giraffe" (Suhrkamp), 222 Seiten, Euro 21,90

    Eine Biologielehrerin im nordöstlichsten Teil Deutschlands, in Vorpommern, in DDR-Zeiten wesentlich geprägt, unterrichtet eine Klasse im Gymnasium, deren Schüler sie einzeln und kollektiv zerlegt nach bestem darwinistischem Rezept. Bösartig erstellt sie Überlebensexpertisen für ihre Mitmenschen, ihre Verbitterung ist grenzenlos, doch an einer kleinen Stelle ist sie verletzlich; dort nämlich, wo die Liebe einen Halt findet, im Mikroskopischen der Haut und des Alltags. Das will sie nicht wahrhaben. Darum geht ihr Kampf. Hinreißend aus der Perspektive der älteren Frau geschrieben. Maliziös, witzig und berührend.

    Bild-Band

    "Samurai, Bühnenstars und schöne Frauen. Japanische Farbholzschnitte von Kunisada und Kuniyoshi; hrsg. von Stiftung Museum Kunstpalast, Düsseldorrf: Gunda Luyken und Beat Wismer (Hatje Cantz Verlag). (Hatje Cantz Verlag), 296 Seiten, Euro 40,80

    Die Mächtigen und die Schönen, die Fleißigen und die Beladenen: doch immer alles in großen Szenen und streng-schönem Dekor gefasst - das gilt schon für das traditionelle japanische Theater, namentlich Kabuki. Doch wie gesteigert erst im Farbholzschnitt der großen Künstler des 19. Jahrhunderts, die alles in wunderbar geometrisierte Farbfelder einteilen. Und wenn dann erfahrene Museumsleute und Buchmacher einen Bildband ganz unter dem Gesichtspunkt der ästhetischen Überwältigung erzeugen, dann ist ein Gipfel des Buchgenusses erreicht.